suzman5_YE  AUNG  THU_AFP_Getty Images_farming technology Ye Aung Thu/AFP/Getty Images

Ein Silberstreifen am digitalen Horizont

SEATTLE – Technologie wird oft überschätzt – entweder als Allheilmittel für die Probleme der Welt oder als unheilbarer Fluch, der den Ärmsten der Armen Zerstörung und Vertreibung bringt. Aber historisch betrachtet ist keine dieser beiden Einschätzungen richtig. Von der Dampfmaschine bis hin zum Personalcomputer haben neue Erfindungen die Gesellschaft immer wieder auf komplexe Weise verändert. Unterm Strich allerdings wurden durch neue Technologien immer mehr Arbeitsplätze und wirtschaftliche Möglichkeiten geschaffen als zerstört. Und dieser Trend dürfte sich fortsetzen.

Warum bin ich so optimistisch? Überall, wohin ich schaue, richten die Politiker ihre Volkswirtschaften neu aus, um zu gewährleisten, dass technologische Veränderungen und Automatisierung nicht zur Belastung werden, sondern Vorteile bringen. Und wie die Kommission „Pathways for Prosperity“ an der Oxford-Universität kürzlich bemerkte, können so genannte Grenztechnologien gemeinsam mit „Optimismus und gemeinsamem Handeln“ sogar den ärmsten Ländern zugute kommen.

In der jüngsten Geschichte herrschte in den Industriestaaten häufig die Meinung vor, die exportgetriebene Industrialisierung und der Reichtum an natürlichen Ressourcen seien die einzigen Mittel für anhaltendes Wachstum. Aber heute geben neue Technologien gemeinsam mit älteren Innovationen den Menschen die Möglichkeit, ihre wirtschaftliche Zukunft teilweise selbst zu gestalten.

Beispielsweise setzt der Afrikanische Bodeninformationsdienst, der von der Bill & Melinda Gates-Stiftung finanziert wird, Fernerkundungssoftware gemeinsam mit quelloffenen Daten dazu ein, die Kosten der Bodenkartierung um 97% zu verringern. Dies gibt den afrikanischen Kleinbauern neue Möglichkeiten, evidenzbasierte Entscheidungen zu treffen und damit trotz geringerer Betriebskosten ihre Ernteerträge zu verbessern.

Twiga Foods in Kenia ist ein weiteres Beispiel. Das Unternehmen verwendet technologische Lösungen zur Optimierung seiner Lieferketten, um die ländlichen Obst- und Gemüsebauern mit kleinen und mittleren Händlern in Nairobi zusammen zu bringen. So hilft Twigas Ansatz den Bauern dabei, lukrativere Märkte zu erschließen, das Angebot für die Konsumenten zu vergrößern und die Nachernteverluste sowie den Abfall dramatisch zu verringern. Insbesondere für Frauen kann die digitale Inklusion sehr hilfreich sein. Go-Jek, ein Mitfahr- und Lebensmittellieferdienst in Indonesien, konnte das Einkommen seiner Fahrer um durchschnittlich 44% steigern und gleichzeitig vielen seiner meist weiblichen Lieferanten erstmals einen Zugang zu Bankdienstleistungen verschaffen.

Um das Veränderungspotenzial neuer Technologien ausschöpfen zu können, muss natürlich mehr Geld in Menschen investiert werden, insbesondere in Frauen und Kinder. Wie wir im diesjährigen Goalkeepers-Bericht der Gates-Stiftung geschrieben haben, können bessere Gesundheitsfürsorge und Ausbildung – zwei zentrale Bestandteile des „Index menschlichen Kapitals“ der Weltbank – Produktivität und Innovationen entfesseln, die Armut verringern und Wohlstand schaffen. Wollen die Ländern ihre Ziele Nachhaltiger Entwicklung erreichen, sind diese Vorteile von entscheidender Bedeutung.

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Um die Technologie nutzbar zu machen, brauchen wir auch kluge wirtschaftliche Reformen, bessere Infrastruktur, leistungsfähigere Institutionen und Strategien zur Bereitstellung digitaler Lösungen für benachteiligte Bevölkerungsgruppen. Einige Länder gehen bereits in diese Richtung. So hat Indonesien ein ehrgeiziges Programm entwickelt, um zusätzliche 100 Millionen Menschen mit dem Breitbandnetz zu verbinden – und damit die bedeutende Rolle anerkannt, die eine gute Netzanbindung für die wirtschaftliche Entwicklung spielt.

Allerdings sind die grundlegenden Telefon- und Internetdienste für die Mehrheit der „unteren Milliarde“ der Weltbevölkerung immer noch viel zu teuer. Daher müssen Regierungen gemeinsam mit Geldgebern und dem privaten Sektor Unternehmens- und Preisfindungsmodelle entwickeln, die den ärmsten Konsumenten ein angemessenes Niveau digitaler Dienste zur Verfügung stellen und gleichzeitig kostendeckend arbeiten können. Eine der Strategien zur Verringerung der Armut, die dabei untersucht werden könnte, ist die gemeinschaftliche Nutzung von Technologie.

Dass die Armen keinen Zugang zu neuen Technologien haben, liegt nicht nur an zu hohen Preisen. Die digitale Spaltung deutet auf eine allgemeinere soziale Diskriminierung hin, insbesondere gegen Frauen. Dass Frauen noch nie das Internet benutzt haben, ist etwa 40% wahrscheinlicher als bei Männern. Dies lässt darauf schließen, dass soziale Ungleichheiten auch die Unterschiede beim digitalen Zugang vergrößern. Diese Lücke zu schließen ist enorm wichtig. Haben Frauen Zugang zum gesamten Spektrum digitaler Dienstleistungen – vom mobilen Banking bis hin zur Telemedizin – sind sie im Allgemeinen wohlhabender, gesünder und besser ausgebildet.

Angesichts dessen, dass die Politiker sowohl in den Industrie- als auch in den Entwicklungsländern Entscheidungen treffen und Investitionen tätigen, die die Landschaft der technologischen Veränderungen prägen, ist es erfreulich, wenn Länder einen bedeutsamen Dialog über ihre digitale Zukunft führen. Werden Bürger, die die Technologie und ihre Auswirkungen verstehen, an diesen Gesprächen beteiligt, ist es möglich, Lösungen zu entwerfen, die die Bedürfnisse aller Menschen erfüllen.

Die technologische Entwicklung hat heute ein enormes Tempo erreicht. Aber mit Voraussicht und Vorbereitung kann die Welt die zerstörerischen Aspekte des Wandels gering halten, um anhaltendes und inklusives Wachstum zu gewährleisten. Wenn wir unsere Investitionen in Menschen mit unseren Ausgaben für Innovationen koordinieren, wird das neue „Digitalzeitalter“ niemanden im Stich lassen.

Aus dem Englischen von Harald Eckhoff

https://prosyn.org/IayNJogde