laurent5_NICOLAS MAETERLINCKAFPGetty Images)_climate protest Nicholas Maeterlinck/AFP/Getty Images

Die Iden der Klimakrise

PARIS – An den Iden des März (am 15. des Monats), also an jenem Tag, an dem man im alten Rom seine Schulden zu begleichen hatte, werden junge Menschen in 60 Ländern weltweit der Schule fernbleiben, um Druck auf die führenden politischen Entscheidungsträger auszuüben, dringliche Maßnahmen gegen den Klimawandel zu ergreifen. Es ist eine Tragödie, dass jüngere Generationen gezwungen sind, ihre Stimme gegen Ungerechtigkeiten zu erheben, unter denen sie infolge der Entscheidungen anderer zu leiden haben werden; gleichzeitig allerdings ist es auch sehr beruhigend, die Kraft und Leidenschaft der jungen Menschen zu beobachten, mit der sie versuchen, den Lauf der Geschichte zu verändern.

Die Bedenken hinsichtlich der intergenerationellen Ungerechtigkeit der Klimakrise finden ihre Entsprechung in der Sorge vor der Ungleichheit im Hier und Jetzt. Den Spuren seines Namensgebers Franz von Assisi folgend (seit 1979 himmlischer Patron des Natur- und Umweltschutzes), hielt Papst Franziskus im Mai 2015 in seiner Enzyklika fest: „Es gibt nicht zwei Krisen nebeneinander, eine der Umwelt und eine der Gesellschaft, sondern eine einzige und komplexe sozio-ökologische Krise.”

Das heißt, im Laufe des notwendigen Übergangs zu einer ökologisch nachhaltigen Wirtschaft darf man jene Herausforderungen nicht übersehen, mit denen bereits heute viele Menschen konfrontiert sind. Allerdings sind Klimawandel und Ungleichheit ebenso miteinander verwoben wie die Lösungen dieser Probleme. Der Einsatz erneuerbarer Energieträger beispielsweise kann enorme gesundheitliche Vorteile mit sich bringen, Arbeitsplätze schaffen und auch andere Indikatoren des sozialen Wohlergehens verbessern. Laut Angaben der Lancet Commission „könnte in der Bekämpfung des Klimawandels die größte Chance des 21. Jahrhunderts zur Verbesserung der weltweiten Gesundheit liegen.”

Wie jüngere Generationen bereits erkennen, können unsere Wirtschaftssysteme nicht mehr auf der Logik der Kompromisse aufbauen, sondern müssen nun der Logik sozio-ökologischer Synergie folgen. Glücklicherweise gelangen auch immer mehr politische Entscheidungsträger zu dieser Erkenntnis.

Man denke an die Vorschläge der Vereinigten Staaten für einen „Green New Deal,” der auf die Bekämpfung der „systemischen Ungerechtigkeit“ abzielt, die als Triebkraft der ökologischen Krise von heute gilt, deren Hauptlast wiederum von den „an vorderster Front stehenden gefährdeten Gemeinschaften“ getragen wird.  Die Not und die Katastrophen, unter denen diese Bevölkerungsgruppen - darunter Kinder, ältere Menschen, Arme und viele ethnische Minderheiten - bereits leiden, werden uns alle treffen, wenn wir unseren Lebensraum weiterhin blind und ungehemmt zerstören.

Oder man denke an den jüngst veröffentlichten und von vielen Spitzenökonomen unterzeichneten offenen Brief, in dem „Kohlenstoffdividenden“ jener Art gefordert werden, wie sie der Ökonom James K. Boyce vorgeschlagen hat. Natürlich würde eine derartige Strategie dazu beitragen, die Treibhausgasemissionen zu verringern. Aber sie wäre nur erfolgreich, wenn darin auch Maßnahmen enthalten wären, die sicherstellen, dass die am stärksten gefährdeten Menschen durch die Einführung eines CO2-Preises nicht geschädigt werden. Vermutlich sind politische Entscheidungsträger, die eine derartige Vorgehensweise in Betracht ziehen, durch die jüngsten Proteste in Frankreich in ausreichendem Maße gewarnt. Umweltpolitik muss auch Sozialpolitik sein.

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Ein Land, das auf dem Weg in Richtung sozio-ökologische Synergie bedeutenden Fortschritte erzielt, ist China. Nun, da sich im Kampf der Regierung gegen die Umweltverschmutzung erste Erfolge einstellen, genießen die Menschen in vielen Teilen des Landes die Vorteile einer besseren Luftqualität. Laut des kürzlich vom Energy Policy Institute veröffentlichten Air Quality Life Index  kann dauerhafte Feinstaubexposition bei betroffenen Bevölkerungsgruppen zu niedrigerer Lebenserwartung führen. Doch mit der Reduzierung der Luftverschmutzung insbesondere in städtischen Gebieten, verbessert China nicht nur das Wohlbefinden seiner Bürger, sondern senkt auch die CO2-Belastung weltweit.

Auch politische Entscheidungsträger in Europa setzen sich für konkrete Vorschläge ein, um die Ziele nachhaltiger Gleichheit voranzutreiben. In einem Bericht der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament wird beispielsweise festgestellt, dass „Ungleichheit in gleicher Weise auch ein Umweltproblem ist wie Umweltzerstörung eine soziale Frage.“ Dementsprechend werden in dem Bericht eine Reihe von Empfehlungen für Emissionssenkungen in Schlüsselsektoren wie der Schwerindustrie und der Landwirtschaft ausgesprochen und gleichzeitig die am stärksten betroffenen Bevölkerungsgruppen unterstützt.

Definitionsgemäß werden alle rund um das Thema sozio-ökologische Synergie erarbeiteten Strategien einen „Kollateralnutzen“ im Hinblick auf Ungleichheit und Klimawandel mit sich bringen.  Ebenso wichtig ist allerdings, dass die Menschheit davon sowohl jetzt als auch in Zukunft profitieren wird.  

Faktum ist, dass unsere Gesellschaften gerechter werden, wenn sie nachhaltiger agieren und dass sie nachhaltiger werden, wenn sie stärker auf Gerechtigkeit setzen. Gesellschaften, die aufgrund der Ungleichheit sozial und politisch brüchig wurden, sind für die Umweltschocks durch den Klimawandel schlecht gerüstet. Und da sich die ökologischen Bedingungen weiter verschlechtern, sollte man mit einer Explosion neuer und altbekannter Ungerechtigkeiten rechnen.

„Was kümmern mich zukünftige Generationen? Was haben die jemals für mich getan?” soll Groucho Marx einmal gefragt haben. Am 15. März werden uns junge Menschen auf der ganzen Welt daran erinnern, dass diese Frage irrelevant ist. Während unsere Schulden gegenüber der Nachwelt immer weiter anwachsen, bitten die jungen Menschen uns lediglich darum, ihnen zu helfen, indem wir uns selbst helfen.

Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier

https://prosyn.org/aA1bSctde