Saudi-Arabiens Pilgerreise nach Pakistan

LONDON – In den letzten Jahren hat sich Saudi-Arabien seiner langjährigen Schutzmacht USA zunehmend entfremdet. Es betrachtete die amerikanische Unterstützung des Sturzes von Hosni Mubarak in Ägypten – und seine daran anschließende Anerkennung der Regierung der Muslimbruderschaft – als Verrat. Dann folgte US-Präsident Barack Obamas Weigerung, seine „rote Linie“ in Syrien durchzusetzen, nachdem Präsident Bashar al-Assads Regime seine Widersacher mit Giftgas bekämpft hatte. Der letzte Strohhalm schließlich war Amerikas Unterstützung für die jüngste Übergangsvereinbarung über Irans Atomprogramm.

Saudi-Arabiens wachsendes Misstrauen gegenüber den USA ist bedeutsam, weil sich das Königreich, wann immer es sich einer existentiellen Bedrohung ausgesetzt sah – und es betrachtet Irans regionale Ambitionen als eine solche Bedrohung –, zu seinem Schutz auf eine externe Macht gestützt hat. Doch wenn es sich auf die USA nicht mehr verlassen kann, wohin kann sich das Königreich für ausreichend militärische Stärke dann wenden?

Die Antwort scheint „Pakistan“ zu lauten, auch wenn die restliche Welt Pakistan als Staat betrachtet, der am Rande des Scheiterns steht.

Pakistan hat den Interessen des Königreichs bereits früher gedient und in schwierigen Zeiten Militär- und Sicherheitshilfe geleistet. Während der Islamischen Revolution im Iran 1979 etwa erhielt Saudi-Arabien 30.000 pakistanische Soldaten. Und diese Truppen blieben dort bis Mitte der 1980er Jahre.

Auch während des Golfkriegs von 1991 setzten die Saudis tausende pakistanischer Soldaten ein. Und Anfang 2014 besuchten Außenminister Saud Al-Faisal und Kronprinz Salman Islamabad, um die Militärübereinkommen zwischen beiden Ländern über die gemeinsame Waffenproduktion zu verlängern. Dieser Besuch sollte zugleich die Grundlagen schaffen, 30.000 pakistanische Soldaten und Militärberater in das Königreich zu holen.

Warum Pakistan, und warum jetzt?

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Die saudischen Herrscher betrachten Pakistan (neben Iran und der Türkei) als eine von drei Regionalmächten, die im Nahen Osten entscheidend etwas bewirken können. Ein Bündnis mit dem schiitischen Iran – dem ideologischen Erzfeind des Königreichs, der selbst regionale hegemoniale Ambitionen verfolgt – ist ausgeschlossen. Die Türkei ihrerseits wird als Wettbewerber um den Führungsmantel der sunnitischen Muslime betrachtet – eine Position, die das Ottomanische Reich lange innehatte.

Die häufige Beschreibung des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdoğan als jemand, der für sein Land „neoottomanische“ Ambitionen verfolge, zeigt diese Rivalität deutlich. Es waren die Ottomanen, die die beiden historischen saudisch-wahabitischen Staaten stürzten. Der erste derartige Staat (1745-1818) wurde von Ägyptens Mehmet Ali mit ottomanischer Unterstützung zerstört; der zweite (1824-1891) wurde ebenfalls von den Ottomanen besiegt.

Mit Pakistan dagegen verbindet das Königreich keine problematische Geschichte. Im Gegenteil: Die Saudis haben den pakistanischen Staat finanziert und sich gegenüber seinem aktuellen Ministerpräsidenten Mian Nawaz Sharif während dessen langen Exils nach dem Sturz seiner Regierung durch einen Militärputsch 1999 als großzügige Gastgeber erwiesen.

Tatsächlich hat Saudi-Arabien schon bald nach der pakistanischen Unabhängigkeit stark in das Land investiert. Da Pakistan 1947 auf religiöser Basis gegründet wurde, verwundert es nicht, dass seine Führung sich um die Unterstützung der Quelle des Islam – dem damals unter saudischer Herrschaft stehenden Mekka – bemühte. Das Königreich wiederum exportierte seine wahabitischen Lehren ins „Land der Reinen“ und heizte damit letztlich den islamischen Extremismus und die sektiererische Gewalt der Taliban und anderer an.

Saudi-Arabien investierte zudem in Pakistans Atomwaffenprogrmam, die sogenannte sunnitische Bombe, indem es die Forschungen von A. Q. Khan, dem Vater der pakistanischen Bemühungen, unmittelbar finanzierte. Die Hoffnungen des Königreichs, dass es direkt von Pakistans Nuklearkapazitäten profitieren würde, zerschlugen sich 2003, als die USA von den Aussichten auf einen Wissenstransfer und mehr erfuhren.

Zudem wurden die von Pakistan ins Königreich entsandten Truppen über die Jahre als allgemein loyal wahrgenommen. Obwohl bis zu 30% der pakistanischen Armee Schiiten sind, akzeptieren die Saudis nur sunnitische Soldaten, und Pakistan hat diese gern als Söldner zur Verfügung gestellt, die im Wechsel entsandt und als Gastarbeiter behandelt wurden.

Teil des saudischen Plans heute ist es, die Pakistani als Rückgrat einer neuen gemeinsamen Streitmacht des Golf-Kooperationsrates einzusetzen. Pakistanische Streitkräfte unter saudischem Kommando wurden bereits bei der Unterdrückung eines schiitischen Aufstandes in Bahrain 2011 eingesetzt, und jetzt wollen die Saudis eine stehende Truppe einrichten, um islamistische und schiitische Provokationen zu unterdrücken, wann und wo immer diese am Golf auftreten sollten. Im Falle einer existenziellen Bedrohung in der Region, insbesondere einer Konfrontation mit dem Iran, würde Pakistan dem Königreich eine Form von tödlichem Schutz bieten, die ihm der Westen versagt.

In welchem Umfang kann Pakistan die Sicherheit Saudi-Arabiens nun wirklich schützen, insbesondere im Falle eines Krieges gegen den Iran? Pakistan ist ein stark zersplittertes Land, in dem der einheimische Terrorismus um sich greift. Seinem Militär fehlen die Kapazitäten, um zur Verteidigung Saudi-Arabiens einzugreifen und zugleich nicht nur die Sicherheit im eigenen Lande, sondern auch die Bereitschaft für einen Krieg gegen Indien (eine Obsession der pakistanischen Generäle) aufrechtzuerhalten.

Zudem könnte Pakistans beträchtliche schiitische Bevölkerung die Reihen der gewaltbereiten Unzufriedenen anschwellen lassen, sollte das Militär die Saudis in einem Krieg zwischen den Glaubensrichtungen unterstützen. Und die Pakistanische Volkspartei – die derzeit in der Opposition ist, aber noch immer eine mächtige nationale Kraft darstellt – teilt gemeinsame Interessen mit dem Iran.

Obwohl der strategische Wert engerer militärischer Beziehungen zu Pakistan hochgradig fragwürdig erscheint, hat Saudi-Arabien kaum eine andere Wahl. Tatsächlich ist der Kooperationsrat nach dem Rauswurf Katars wegen dessen Unterstützung der Muslimbrüder und Omans freiwilligem Austritt aus der Gruppe dabei, zu zerfallen. Dies heizt – zusammen mit dem sich vertiefenden Misstrauen gegenüber den USA – ein zunehmendes Gefühlt der Isolation an. Pakistan mag nicht jedermanns Idee von einem Verbündeten sein, der einem in einer existentiellen Bedrohung beisteht; für Saudi-Arabien jedoch ist dies eine Idee, deren Zeit gekommen ist.

Aus dem Englischen von Jan Doolan

https://prosyn.org/aa9O47gde