Das Internet muss steuerfrei bleiben

WASHINGTON, DC – Wenn man einen der größten Proteste in Osteuropa seit dem Fall des Kommunismus auslöst, weiß man, dass man das Wahlvolk wirklich gegen sich aufgebracht hat. Genau dies ist der ungarischen Regierung geschehen, als sie kürzlich eine „Internetsteuer“ von 50 Eurocent pro Gigabyte vorgeschlagen hat. In Budapest versammelten sich über 100.000 Demonstranten, die ihre Wut über die politische Symbolkraft und die sehr realen wirtschaftlichen Auswirkungen der Steuer ausdrückten. Die Regierung von Premierminister Viktor Orbán ruderte schnell zurück.

Der ungarische Steuervorschlag war absurd – vergleichbar mit Gebühren auf das Lesen von Büchern oder Unterhaltungen mit Freunden. Aber auch, wenn er verworfen wurde (obwohl Orbán andeutete, ihn in anderer Form erneut auf die Tagesordnung zu bringen), bleibt er erschreckend, da er Teil eines bedenklichen Trends ist. Eine große Anzahl von Ländern hat Steuern und Abgaben verhängt, die die Verbreitung oder Verwendung von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) behindern. Insgesamt 31 Länder – darunter die Türkei, Brasilien und Griechenland – schlagen zusätzlich zur Mehrwertsteuer noch weitere 5% oder mehr auf die Kosten für IKT auf.

In Ungarn wäre die vorgeschlagene Steuer besonders erdrückend gewesen, da sie die Kosten mobiler Daten um 5-15% erhöht und auf feste Breitbandverbindungen einen noch stärkeren Einfluss gehabt hätte. Für junge und arme Menschen wäre dies eine massive Bürde gewesen. Eine Begrenzung der Belastung pro Person auf 2,30 Euro, wie sie nach dem ersten öffentlichen Aufschrei und vor dem endgültigen Rückzug hastig vorgeschlagen wurde, hätte wenig zur Erleichterung gering verdienender Internetnutzer beigetragen, aber gleichzeitig die Gesamteinnahmen des Programms drastisch reduziert.

Wie die Demonstranten in Budapest richtig erkannten, wäre die vorgeschlagene Steuer für Ungarn falsch gewesen. Auch für andere Länder ist sie falsch. Solche Steuern werden von klammen Regierungen eingeführt, weil Güter und Dienstleistungen aus dem Bereich der IKT für Steuerbehörden ein leichtes Opfer sind. Oft werden sie auch fälschlich als Luxusprodukte eingeschätzt – als ob das Internet für das Leben der Menschen nicht zentral geworden sei.

Diese Maßnahmen sind letztlich selbstzerstörerisch. Der daraus resultierende Preisanstieg behindert die Verbreitung und Verwendung von IKT, was die Steuereinnahmen durch Käufe von Gütern oder Dienstleistungen verringert. Und die Erfahrung zeigt einen sogar noch größeren indirekten Effekt: die Einschränkung der Verbreitung von IKT dämpft das Wachstum. Letztlich hat dies einen negativen Einfluss auf die Gesamtsteuereinnahmen und setzt jegliche Gewinne durch Gebühren auf die Internetnutzung außer Kraft. Eine Studie kam zu dem Ergebnis, dass für jeden Dollar an Zöllen, die Indien auf importierte IKT-Produkte erhob, die Wirtschaft des Landes 1,30 Dollar durch Produktivitätsverlust einbüßte.

Steuern auf IKT sind die moderne Entsprechung dessen, das Getreide zu essen, das eigentlich für die Aussaat im nächsten Jahr gedacht ist. IKT sind eine Hauptantriebskraft grundlegenden technologischen Wandels, der nicht nur einen weiten Bereich von Industriezweigen transformieren kann, sondern auch das tägliche Leben der Menschen. Für Unternehmen können IKT eine Verbesserung der Effizienz und eine Vereinfachung der Koordination bewirken. Individuen können durch sie ihr Einkommen steigern und ihr tägliches Leben bequemer machen.

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Je mehr Unternehmen und Konsumenten IKT-Güter und -Dienstleistungen verwenden, desto mehr Nutzen kann daraus entstehen. Ihre Verbreitung kann dadurch beschleunigt werden, dass Nutzern, die sie sich sonst nicht hätten leisten können, durch intelligente Regierungsmaßnahmen wie Subventionen oder Steuererleichterungen geholfen wird. Eine Besteuerung des Internets hat ebenso wie andere Steuern und Abgaben auf Güter oder Dienstleistungen im IKT-Bereich den gegenteiligen Effekt.

Aufgrund ihrer schlechten Gestaltung wäre die vorgeschlagene ungarische Steuer besonders schädlich gewesen. Da eine feste Steuer von 0,50 Euro pro Gigabyte geplant war, hätte sich ihr Anteil an den Gesamtausgaben für IKT umgekehrt proportional zu den beinahe garantiert sinkenden Kosten pro Gigabyte entwickelt. Die Obergrenze der Steuer hätte eine Aufwärtsspirale blockiert, aber aufgrund steigender Bandbreiten wären die meisten Nutzer schnell dort angekommen, was nicht nur die ärmsten Konsumenten, sondern auch neue oder kleine Unternehmen betroffen hätte. Eine Regierung sollte sich nicht dadurch finanzieren, dass sie Arme und Unternehmer vom Internet fern hält.

Mit Maßnahmen zur Förderung von IKT wären die Staaten besser bedient: Steuern und Abgaben auf IKT-Produkte und -Dienstleistungen sowie sonstige Barrieren wie die Verpflichtung zu lokaler Datenspeicherung sollten abgeschafft werden, und digitale Innovationen und Veränderungen müssen durch Regulierungs- und Beschaffungsreformen in allen Wirtschaftsbereichen gefördert werden. Der so erreichte Zuwachs an Produktivität, Wettbewerbsfähigkeit und Wirtschaftswachstum würde eine viel stabilere und erfolgreichere Grundlage für steigende Steuereinnahmen schaffen.

Die Europäische Union als Ganze hat gute Arbeit dabei geleistet, Steuern und Abgaben auf IKT niedrig zu halten, obwohl es in vielen Ländern eklatante Haushaltsprobleme gibt. In der Tat war die allgemeine nichtdiskriminierende Besteuerung für die Einführung von IKT ein Segen, und der EU-Kommissar für die Digitale Agenda hat sich deutlich gegen die von Ungarn vorgeschlagene Steuer ausgesprochen und sie „eine besonders schlechte Idee“ genannt. Das einzige Land der EU mit erheblichen Steuern auf Produkte und Dienstleistungen im IKT-Bereich (etwa 9%) ist Griechenland, das so etwas wie einen europäischen Sonderfall darstellt.

Die jüngsten Aktionen der ungarischen Politiker zeigen, dass kein Land gegen schlechte politische Ideen immun ist. Staaten brauchen Einnahmen, aber die Art, wie sie sie erheben, prägt ihre Wirtschaft, indem manche Transaktionen gefördert und andere behindert werden. Maßnahmen, die die Einführung von IKT fördern, sind für langfristiges und umfassendes Wirtschaftswachstum die richtige Wahl. Wie am Fall von Ungarn sichtbar, ist es letztlich Sache der Bürger, ihre Regierung zur Verantwortung zu ziehen und zu gewährleisten, dass Steuer- und Abgabenpolitik dem Wohle aller dienen.

Aus dem Englischen von Harald Eckhoff

https://prosyn.org/idLeCjlde