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Germany’s Constitution and European Sovereignty

MÜNCHEN – Nach der Eurokrise, dem Brexit, der Corona-Krise hat Europa nun auch noch eine Verfassungskrise, weil sich EuGH und Bundesverfassungsgericht über die Politik der EZB streiten. Diese Krise bricht zur Unzeit auf,  ist aber schon in einer Reihe früherer Urteile und Stellungnahmen zur Politik der Europäischen Zentralbank angelegt und insofern alles andere als überraschend.

Der Aufschrei vieler Kommentatoren gegenüber dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das dem Europäischen Gerichtshof eine Mandatsüberschreitung vorwirft, bekundet, dass hier Wunsch und Rechtswirklichkeit verwechselt werden. Eine Hierarchie zwischen den Gerichten gilt nicht generell, sondern nur in Teilbereichen. Sie besteht eindeutig für Belange der Geldpolitik, nicht aber für andere Politikbereiche, insbesondere nicht für die umfassende und alle Grenzen sprengende fiskalische Rettungspolitik, die die EZB in den letzten Jahren mit der Druckerpresse betrieben hat. Dazu hätte die EZB nach Artikel 5 des Unionsvertrages speziell berechtigt werden müssen. Das ist aber nicht geschehen.  

Es kann nicht die Rede davon sein, dass die EU mit ihren Organen den Status eines Souveräns hat, wie die Kommissionsvorsitzende meint. Europa ist vertraglich meilenweit von der vielleicht wünschenswerten Staatlichkeit entfernt, die der EZB und dem EuGH eine Machtfülle gewähren würde, die man mit anderen Staaten oder Konföderationen dieser Welt vergleichen könnte.  Bislang sind die Nationalstaaten Europas noch die Herren der Verträge, und nach diesen Verträgen konnten die höchsten Gerichte Dänemarks und Tschechiens bereits in anderen Fällen Ultra-Vires-Urteile gegen den EuGH verkünden und durchsetzen.

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