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Europa muss gegen die von den USA unterstützten „Krisenschwangerschaftszentren“ vorgehen

LONDON – Geht man in Europa in ein öffentliches Krankenhaus, um medizinischen Rat zu suchen, erwartet man korrekte Informationen auf wissenschaftlicher Grundlage. Man geht auch davon aus, dass das Personal dort professionell ausgebildet und zertifiziert ist. Ähnliche Erwartungen hätte man sicher an Universitäten, Schulen, Frauenhäuser und andere staatliche Institutionen, richtig?

Freuen Sie sich nicht zu früh! In einem neuen Bericht enthüllt die globale Nachrichtenseite openDemocracy, wie Frauen und Mädchen in „Krisenschwangerschaftszentren“ (CPCs, crisis pregnancy centers) weltweit „Falschinformationen und Manipulation“ über sich ergehen lassen müssen.

Viele dieser Zentren, die von mächtigen amerikanischen Aktivisten mit engen Verbindungen zur Regierung von Präsident Donald Trump unterstützt werden und häufig wie ganz normale Kliniken aussehen, behaupten, schwangere Frauen unvoreingenommen zu „beraten“. Tatsächlich aber versuchen die Mitarbeiter dort, Frauen von legalen Abreibungen und in einigen Fällen auch von Verhütungsmitteln abzuhalten.

Im Rahmen der ersten Reportage dieser Art untersuchte openDemocracy die globalen Ausgaben, Netzwerke und Aktivitäten zweier einflussreicher Gruppen von Abtreibungsgegnern aus den Vereinigten Staaten: Heartbeat International und Human Life International. Gemeinsam haben sie seit 2007 weltweit 13 Millionen Dollar ausgegeben sowie Hunderte von Organisationen finanziert und ausgebildet.

In 18 Ländern haben wir verdeckte Reporterinnen, die sich als verletzliche schwangere Frauen ausgaben, in Heartbeat-CPCs eingeschleust, wo sie durchweg völlig fehlerhafte und falsche Informationen erhielten: Abtreibungen könnten das Krebsrisiko erhöhen. Eine Frau brauche dazu die Zustimmung ihres Partners. Medizinische Komplikationen würden nicht in Krankenhäusern behandelt. Und Frauen würden unter einem – allgemein widerlegten – „Post-Abtreibungs-Syndrom“ leiden.

Außerdem haben wir einen Reporter zu einem der Heartbeat-Trainings geschickt, die in der ganzen Welt online oder persönlich angeboten werden. Dort wird dazu aufgefordert, Frauen zu ermutigen, Abtreibungen und Notfallverhütung zu verzögern. Ebenso wird im Rahmen dieser Ausbildung verbreitet, Kondome seien zur Vorbeugung von Schwangerschaften nicht effektiv, und Frauen solle erklärt werden, Abtreibungen erhöhten das Risiko des Missbrauchs anderer Kinder und „mache“ die Lebenspartner der Frauen schwul.

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In den USA gibt es Tausende von CPCs. Nach der Roe v. Wade-Entscheidung des Obersten US-Gerichtshofs im Jahr 1973, mit der landesweit Abtreibungen legalisiert wurden, war Heartbeat eine von mehreren Gruppen, die ein Modell verbreiteten, das als Reaktion auf die Liberalisierung bundesstaatlicher Abtreibungsgesetze in den 1960ern begonnen hatte. Ihre CPCs wurden in den USA wiederholt beschuldigt, sich als neutrale Gesundheitseinrichtungen auszugeben und ihre abtreibungsfeindlichen und religiösen Motive vor Hilfe suchenden Frauen zu verstecken. Aber das weltweite Ausmaß dieser Aktivitäten wurde bis jetzt noch nicht dokumentiert.

Die Macht und der Einfluss der religiösen US-Konservativen in Lateinamerika und Afrika sind gut bekannt. Aufgrund der von ihnen unterstützten drakonischen Einschränkung von Abtreibungen wurden Frauen für Fehlgeburten inhaftiert, und Tausende sterben jährlich an unsicheren Abtreibungen. In Uganda wurde unserer Reporterin mitgeteilt, nach einer Abtreibung könne sie niemals wieder Kinder „wirklich“ lieben und sich um sie kümmern, und sie könne Probleme mit einer neuen Empfängnis haben. Und in Argentinien wurde einer Reporterin, die sagte, sie lebe in einer missbräuchlichen Beziehung, erklärt: „Jetzt bist du ein Opfer, aber eine Abtreibung würde dich an dieser Gewalt beteiligen, weil du dann selbst gewalttätig wärst.“

Das Ausmaß dieser Tätigkeiten in Europa hat Gesetzgeber, Ärzte und Gesundheitsexperten schockiert. Allein in Italien fanden wir über 400 mit Heartbeat in Verbindung stehende CPCs – und Dutzende mehr in Spanien, Kroatien, Serbien, Rumänien und der Ukraine. In einem CPC innerhalb eines Krankenhauses in der Lombardei wurde unserer Reporterin gesagt, die Geburt eines Babys könne Leukämie heilen. In Spanien wurden Bücher und Artikel verteilt, in denen steht, Abtreibung führe zu mentalen Gesundheitsproblemen, Sterilität und Herzanfällen. Außerdem wurde gewarnt, Frauen, die abgetrieben haben, misshandelten mit „144% höherer Wahrscheinlichkeit“ ihre Kinder.

Die Organisationen, die diese Zentren betreiben, wurden von Heartbeat finanziert und nahmen an der persönlichen Ausbildung der Organisation teil. Außerdem erhalten sie öffentliche Mittel und politische Unterstützung: in Italien vom rechtsextremen Parteiführer Matteo Salvini und in Spanien von der stramm rechten Vox-Partei.

Neil Datta, Sekretär des Forums für Sexuelle und Reproduktive Rechte des Europäischen Parlaments, findet es „höchst verstörend“, dass ausländische Gruppen „proaktiv versuchen, Frauen ihre legalen Rechte zu nehmen...indem sie sie absichtlich täuschen“. Er nennt dies „ein neues rechtsstaatliches Problem“. Kein Politiker dürfe unabhängig von seiner Einstellung zur Abtreibung untätig bleiben, wenn „die Gesetze seines Landes durch Falschinformationen, emotionale Manipulation und direkte Täuschung schwangerer Frauen umgangen werden“.

Was kann getan werden? Aufschlussreich ist, dass den Reporterinnen von openDemocracy, als sie CPCs in Nordamerika besuchten, keine derart extremen Falschinformationen gegeben wurden. In den USA unterwirft sich Heartbeat einer „Verpflichtungserklärung“, die verspricht, Frauen sollten immer „korrekte Informationen“ erhalten, die „ehrlich, wahrhaftig und akkurat die Dienstleistungen beschreiben, ,die wir anbieten“ – auch über Abtreibung und Verhütung sowie in den Bereichen der Werbung und Kommunikation.

Während viele der weltweiten Heartbeat-Partner diese Regeln eindeutig missachten, scheint es so, dass der juristische Druck und die bessere Überwachung in den USA einen gewissen Effekt hatten – trotz der ausgeprägten amerikanischen Meinungsfreiheit. Dies bedeutet, dass es sicherlich auch in der Europäischen Union Möglichkeiten für engagierteres Handeln gibt. Dass in den meisten EU-Ländern eine Lizenz nötig ist, um Vitamine zu verkaufen, aber nicht, um schwangere Frauen per Ultraschall zu untersuchen, darf nicht sein. Alle von uns untersuchten Länder verfügen über Gesetze oder Regeln gegen die falsche oder irreführende Bewerbung von Waren oder Dienstleistungen, aber außerhalb der USA konnten wir keine Hinweise auf legale Verfahren gegen CPCs aufgrund dieser Regeln finden.

In Ländern wie Italien muss offensichtlich etwas geschehen. Staatliche und regionale Gesetzgeber müssen die CPCs dringend aus den öffentlichen Krankenhäusern verbannen und – ganz wichtig – Frauen und Mädchen korrekte und wissenschaftlich einwandfreie Informationen und Gesundheitsleistungen zur Verfügung stellen. Der katastrophale Mangel an solchen Diensten in Italien hat ein Vakuum hinterlassen, das die religiösen Konservativen gern gefüllt haben. Interessanterweise waren viele der Kundinnen, die unsere Reporterinnen in italienischen CPCs sahen, Roma- und Migrantenfrauen. Auch in Spanien begegneten wir lateinamerikanischen Migrantinnen in finanziellen Schwierigkeiten.

Andere Länder haben sich stärker bemüht: 2017 wurde es in Frankreich illegal, Frauen falsche Informationen über Abtreibung zu geben, obwohl zu diesem Gesetz noch keine Fälle eröffnet wurden und Menschenrechtsgruppen seine Effektivität bezweifeln. Im selben Jahr machte Irland Vorschläge für ein neues Gesetz zur Regulierung von Beratern, nachdem Journalisten herausgefunden hatten, dass die Mitarbeiter eines CPC Frauen unter anderem erzählt hatten, Abtreibung verursache Krebs. Aber diese Gesetzesvorschläge sind nun ins Stocken geraten.

Berechtigterweise wird in Brüssel und den europäischen Hauptstädten viel darüber diskutiert, wie gegen falsche Online-Nachrichten vorgegangen und die Macht der Technologiegiganten eingedämmt werden kann. Aber die toxische Verbreitung von Falschinformationen offline ist vielleicht noch tückischer und einflussreicher. Glaubt man eher etwas, was einem im Krankenhaus oder von einem bekannten Gemeindemitglied gesagt wird, oder einer Anzeige auf Facebook?

Was openDemocracys Nachforschungen ergeben haben, ist wahrscheinlich nur die Spitze des Eisbergs. Heartbeat und Human Life International sind Teil eines riesigen Netzwerks abtreibungsfeindlicher Evangelisten, die es weltweit auf verletzliche Frauen und Mädchen abgesehen haben. Wir haben Hinweise auf Hunderte weiterer CPCs in anderen Ländern gefunden – von der tschechischen Republik bis nach Kenia. Das Modell ist kostengünstig – da es oft auf Freiwilligen beruht – und leicht zu kopieren. Es verbreitet Falschinformationen in globalem Maßstab. Europa muss die Führung übernehmen, um es zu beenden.

Aus dem Englischen von Harald Eckhoff

https://prosyn.org/soQzwFTde