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Die neue Herausforderung für Davos

DAVOS – Im Rahmen des alljährlich stattfindenden Weltwirtschaftsforums wird man sich heuer auf die Frage konzentrieren, wie eine solidarischere und nachhaltigere Welt aufgebaut werden kann. Wie immer ist das Thema aktuell, aber auch ein wenig abstrakt. Um es konkreter zu gestalten, unterbreiten wir einige Vorschläge zur Verbesserung des vorherrschenden Wirtschaftsmodells sowie zur Fokussierung der Diskussion.

Zunächst ist es an der Zeit, die US-amerikanische Steuergesetzgebung zu überarbeiten, um strukturelle Vermögensungleichheiten abzubauen. Dazu sollte Amerika das Steuerschlupfloch rund um die Gewinnbeteiligung schließen. Was ursprünglich als Bestimmung zur Förderung langfristiger Investitionen gedacht war, hat sich zu einer enormen Steuervergünstigung für Finanziers entwickelt, die für Kapitalbeteiligungs- und Hedgefonds arbeiten. Obwohl mit dem Tax Cuts and Jobs Act aus dem Jahr 2017 einige Beschränkungen dieser finanzfreundlichen Bestimmung eingeführt wurden, hat diese ihre Gültigkeit nicht verloren.

Aus dem gleichen Grund sollte Amerika das Steuerschlupfloch aufgrund der einkommenssteuerbefreiten steuerlichen Werterhöhung eines Vermögensgegenstandes abschaffen, das sich zu einer der wichtigsten Möglichkeiten der Steuervermeidung für die Reichen entwickelte, wenn sie ihren Erben Vermögen hinterlassen. Diese Bestimmung ermöglicht den Reichen Dynastien aufzubauen und untergräbt Amerikas angebliches Bekenntnis zur Meritokratie.

Zweitens müssen die Vereinigten Staaten dringend das Durcheinander bei Studienkrediten - eine enorme Belastung junger Menschen -  beseitigen, indem man nach dem Beispiel Australiens eine nationale Treuhandgesellschaft einführt. In Australien leihen sich Studierende jenen Betrag, der zur Finanzierung des Studiums benötigt wird. Das Darlehen ist über einen vordefinierten Zeitraum von einem ebenfalls vorher festgelegten Anteil des späteren Einkommens rückzahlbar. Studierende, die später über ein geringeres Einkommen verfügen, zahlen weniger zurück als sie geliehen haben, doch das wird durch Absolventen mit höheren Einkommen ausgeglichen. Und Absolventen, die in bestimmte Formen des öffentlichen Dienstes eintreten, sollten Anreize für einen Schuldenerlass geboten werden.

Drittens gilt es, die Unternehmensberichterstattung zu ändern, um langfristigeres und nachhaltigeres Denken zu fördern. Der erste Schritt besteht darin, die Besessenheit von den Quartalszahlen zu beenden. Alle drei Monate die Ziele von Finanzanalysten zu erreichen, verzerrt die Entscheidungsfindung der CEOs und der Vorstandsetagen und untergräbt langfristiges Denken.

Auch Aktienrückkäufe verdienen in diesem Zusammenhang stärkere kritische Beachtung. S&P 500-Unternehmen setzen mittlerweile routinemäßig Gewinne oder geliehenes Geld für den Rückkauf ihrer Aktien ein, anstatt in neue Produktionsstätten, Geschäftsbereiche oder anderweitig zu investieren. In den letzten zehn Jahren wurden rund 5 Billionen Dollar für diese Methode zur Steigerung des ausgewiesenen Gewinns je Aktie (und damit des Aktienkurses) ausgegeben. In diesem Bereich sollte auch die Unternehmensberichterstattung geändert werden, um deutlich zu machen, inwieweit Aktienkursbewegungen größtenteils auf Rückkäufe zurückzuführen sind. Für Verwaltungsräte und Aktionäre gilt es dann, die Vergütung der Führungskräfte entsprechend anpassen.

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Darüber hinaus sollten Unternehmen weltweit damit beginnen, Zahlen zur Nachhaltigkeit auszuweisen.Die Berichterstattung der Unternehmen beeinflusst ihr Verhalten. Insgesamt sind sie jedoch lediglich dazu verpflichtet, ihre finanzielle Situation auf Grundlage geprüfter Bilanzierungs- und Bewertungsstandards offenzulegen. Das sollte auf umfassendere Stakeholder-Angaben ausgeweitet werden, wie etwa auf Zahlen hinsichtlich Kundenzufriedenheit, Diversifizierung,  CO2-Bilanz, Spenden für wohltätige Zwecke, politische Spenden und des Gehaltsgefälles zwischen Führungskräften und dem Durchschnitt der Mitarbeiter. Überdies sollten Gremien für Stakeholder-Berichterstattungsregeln (ähnlich dem Financial Accounting Standards Board) etabliert werden, um neue weltweite Übereinkünfte zur nichtfinanziellen Berichterstattung zu überwachen.

Viertens würde eine weltweite Vereinbarung über die Erhebung einer Steuer von 0,1 Prozent auf Finanztransaktionen, ähnlich wie in Hongkong, dazu beitragen, das Finanzsystem im Zaum zu halten. Eine Transaktionssteuer begünstigt langfristige Anleger gegenüber kurzfristig orientierten Spekulanten, verleiht dem Finanzsystem gerade genug Reibung, um zur Vermeidung der Blasenbildung beizutragen und – von größter Bedeutung – lenkt die Kosten für die Systemverwaltung auf jene um, die am meisten von diesem System profitieren. Nach Angaben der amerikanischen Haushaltsbehörde Congressional Budget Office (CBO) könnte eine Transaktionssteuer im Ausmaß von 0,1 Prozent über ein Jahrzehnt allein in den USA  zusätzlich eine Billion Dollar an dringend benötigten Einnahmen bringen.

Fünftens müssen die Länder die Mindestlöhne anheben und sie an die Inflation anpassen. In den USA würde ein auf nationaler Ebene festgelegter Mindestlohn für ausgeglichenere Wettbewerbsbedingungen sorgen und seine automatische Anpassung an steigende Lebenshaltungskosten wäre hilfreich für alle, um nicht abgehängt zu werden  Laut Angaben der Chicago Federal Reserve Bank, würden diese Schritte auch die Gesamtnachfrage in der weltgrößten Volkswirtschaft steigen lassen.

Sechstens wäre in allen Ländern eine Überarbeitung der nationalen Einkommensrechnung angebracht. Seit seiner Einführung in den 1940er Jahren hat das Bruttoinlandsprodukt den inoffiziellen Status als primäres Maß für den nationalen Wohlstand angenommen. Setzt man das BIP jedoch mit „Fortschritt” gleich, geht es in der politischen Entscheidungsfindung nur noch um die Steigerung des Bruttonationaleinkommens ohne Rücksicht auf die damit verbundenen sozialen oder ökologischen Kosten. Es bedarf neuer Messgrößen, um das Wohlergehen nach Abzug der Kosten zu messen.

In diesem Nationaleinkommen sollten Kosten für externe Effekte wie Umweltverschmutzung und Treibhausgasemissionen enthalten sein. Ein auf diese Weise berechnetes Nettoeinkommen würde nachhaltiges Wachstum präziser widergeben. Darüber hinaus sollten alle Länder gemeinsame Standards für die Einbeziehung anderer Messgrößen des sozialen Fortschritts vereinbaren. Dazu könnten etwa Lebenserwartung und Kindersterblichkeit ebenso gehören wie Erkennung, Vorbeugung und Behandlung häufiger Krankheiten, Treibhausgas-Emissionen pro Kopf, Biodiversität, Bildungsniveau, Einkommensverteilung, Zahlen zu Menschenhandel sowie sozioökonomische Errungenschaften nach Geschlecht und Minderheiten. Die Bretton-Woods-Institutionen könnten diese notwendigen neuen gemeinsamen Standards des nationalen Wohlergehens erforschen und entwickeln und sie dann auf Grundlage ihrer weithin beachteten Publikationen einführen.

Nicht zuletzt müssen Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels in einer Art und Weise ergriffen werden, die eine gerechte Aufteilung der Kosten zwischen Ländern und Generationen ermöglicht. Strategien im Bereich Klimaschutz müssen ansprechend gestaltet sein. CO2-Steuern sind dabei ebenso notwendig wie Subventionen. Laut Angaben des amerikanischen Joint Committee on Taxation und des CBO würde eine CO2-Steuer im Ausmaß von 25 Dollar pro Tonne bei einem jährlichen inflationsbereinigten Anstieg von 2 Prozent in den USA in einem Jahrzehnt für Einnahmen von 1 Billion Dollar sorgen.

Es ist sinnvoll, einen noch höheren Betrag vorzusehen, um den von dieser Steuer Betroffenen zu helfen, wie etwa den Gemeinden, in denen heute Kohle, Öl und Gas gefördert werden sowie auch den von regressiver Besteuerung betroffenen Familien mit niedrigen oder bescheidenen Einkommen. Subventionen könnten in Form von Barzahlungen, Umschulungen, neuen Infrastrukturprojekten sowie Investitionen in alternative Energieträger in den Kohle- und Erdölregionen gewährt werden. Wichtig ist, dass diese Subventionen höher ausfallen als die Einnahmen aufgrund der CO2-Steuern. Der daraus resultierende Anstieg der Staatsverschuldung fällt zurecht in die Verantwortung künftiger Generationen, die vom Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft am meisten profitieren werden.

Kurzum: Klimapolitik muss heute greifbare Vorteile bringen, wenn sie politisch akzeptabel sein soll. Man berücksichtige Folgendes: da sich die Nachfrage nach physischen Einkäufen aufgrund des elektronische Handels verringert, sollten die Gemeinden leer stehende Einkaufszentren und Geschäfte - wiederum mit geliehenem Geld, das künftige Generationen zurückzahlen müssen - kaufen und durch Grünflächen ersetzen, die CO2 binden.

Insgesamt würden diese praktischen Schritte einen großen Beitrag zur Verwirklichung jener Vision von „Stakeholder-Kapitalismus“ und Nachhaltigkeit leisten, die in Davos seit einem halben Jahrhundert propagiert wird.

Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier

https://prosyn.org/jSudazQde