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Agenda für die Euro-Rettung

NEW YORK – Drei Jahre sind seit dem Ausbruch der Eurokrise vergangen, und nur ein unverbesserlicher Optimist würde sagen, dass das Schlimmste eindeutig überstanden ist. Einige stellen fest, dass der erneute Absturz in die Rezession der Eurozone beendet ist und kommen zu dem Schluss, dass die Sparmedizin funktioniert hat. Das dürfte ein schwacher Trost für Länder sein, in denen der Konjunkturrückgang anhält, das Pro-Kopf-BIP immer noch unter dem Niveau von 2008 liegt, die Arbeitslosenquote über 20% und die Jugendarbeitslosigkeit bei über 50%. Beim derzeitigen Tempo der „Erholung“ kann bis weit ins nächste Jahrzehnt hinein keine Rückkehr zur Normalität erwartet werden.

In einer aktuellen Studie der US-Notenbank Federal Reserve sind Wirtschaftswissenschaftler zu dem Schluss gelangt, dass Amerikas anhaltend hohe Arbeitslosigkeit auf Jahre hinaus schwere negative Auswirkungen auf das BIP haben wird. Wenn das auf die Vereinigten Staaten zutrifft, wo die Arbeitslosigkeit 40% geringer ist als in Europa, sind die Aussichten für europäisches Wachstum wahrhaftig trübe.

Was in erster Linie gebraucht wird, ist eine grundlegende Reform der Struktur der Eurozone. Inzwischen existiert ein recht klares Verständnis dessen, was erforderlich ist:

· Eine echte Bankenunion mit gemeinsamer Aufsicht, gemeinsamer Einlagensicherung und gemeinsamer Abwicklung; ohne dies würde das Geld weiter von den schwächsten Ländern in die stärksten fließen;

· Eine Form der Vergemeinschaftung von Schulden, wie etwa Eurobonds: Da Europas Staatsschuldenquote geringer ist als die der USA, könnte die Eurozone, so wie die USA, Kredite zu negativen Realzinsen aufnehmen. Die niedrigeren Zinssätze würden Geld zur Konjunkturbelebung freisetzen und den Teufelskreis der krisengeschüttelten Länder durchbrechen, in dem der Sparkurs die Schuldenlast erhöht und die Schulden durch die Schrumpfung des BIP weniger tragfähig werden;

· Industriepolitische Maßnahmen, die säumige Länder in die Lage versetzen aufzuholen; dazu gehört die Neuregelung derzeitig geltender Einschränkungen, die solche Maßnahmen als inakzeptable Eingriffe in freie Märkte verhindern;

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· Eine Zentralbank, die sich nicht nur auf Inflation konzentriert, sondern auch auf Wachstum, Beschäftigung und Finanzstabilität;

· Ein Ersatz wachstumsfeindlicher Sparpolitiken durch wachstumsfreundliche Politiken, die Investitionen in Menschen, Technologie und Infrastruktur in den Mittelpunkt stellen.

In vielerlei Hinsicht reflektiert der Euro die neoliberale Doktrin, die vorherrschte als die Gemeinschaftswährung konzipiert wurde. Man dachte, es sei notwendig die Inflation niedrig zu halten und würde so gut wie ausreichen, um Wachstum und Stabilität zu schaffen; dass unabhängige Zentralbanken die einzige Möglichkeit seien, um für Vertrauen in das Währungssystem zu sorgen; dass niedrige Schuldenstände und Defizite wirtschaftliche Konvergenz zwischen den Mitgliedsländern sicherstellen würden und dass ein Binnenmarkt mit freiem Personen- und Kapitalverkehr Effizienz und Stabilität gewährleisten würde.

Jede dieser Doktrinen hat sich als falsch erwiesen. Die unabhängigen US-amerikanischen und europäischen Zentralbanken haben im Vorfeld der Krise deutlich schlechter abgeschnitten als weniger unabhängige Banken in einigen großen Schwellenmärkten, weil ihr Schwerpunkt auf die Inflation die Aufmerksamkeit vom weitaus wichtigeren Problem der Fragilität des Finanzsystems abgelenkt hat.

Auch haben Spanien und Irland vor der Krise Haushaltsüberschüsse und geringe Staatsschuldenquoten aufgewiesen. Die Krise hat die Defizite und die hohe Verschuldung verursacht, nicht andersherum, und die fiskalischen Zwänge, die Europa beschlossen hat, werden weder eine rasche Erholung von dieser Krise ermöglichen, noch die nächste Krise verhindern.

Abschließend bleibt zu sagen, dass der freie Personenverkehr, wie auch der freie Kapitalverkehr, sinnvoll erschienen; Produktionsfaktoren würden dorthin gehen, wo Lohn und Erträge am höchsten sind. Doch die Migration aus krisengeschüttelten Ländern, teils um die Rückzahlung von Altlasten zu vermeiden (von denen einige diesen Ländern von der europäischen Zentralbank aufgezwungen worden sind, die auf eine Vergesellschaftung privater Verluste bestanden), hat die schwächeren Volkswirtschaften ausgehöhlt. Zudem kann eine Fehlallokation von Arbeitskräften die Folge sein.

Innere Abwertung – die Senkung von Löhnen und Preisen in einem Land – ist kein Ersatz für Wechselkursflexibilität. Tatsächlich wächst die Sorge vor einer Deflation, die den ohnehin schon hohen Verschuldungsgrad und die Belastung durch die Staatsverschuldungen weiter steigen lassen würde. Wäre Innere Abwertung ein guter Ersatz, wäre der Goldstandard in der Weltwirtschaftskrise 1929 kein Problem gewesen und Argentinien hätte die Bindung des Peso an den Dollar beibehalten können, als es dort vor zehn Jahren zum Ausbruch der Schuldenkrise kam.

Kein Land hat den Wohlstand jemals durch Sparmaßnahmen wiederhergestellt. Historisch betrachtet hatten einige kleine Länder das Glück, dass Exporte den Ausfall an Gesamtnachfrage kompensieren konnten, während die Staatsausgaben schrumpften, was es ihnen ermöglichte den belastenden Auswirkungen der Sparpolitik zu entgehen. Doch die europäischen Exporte sind seit 2008 kaum gestiegen (trotz sinkender Löhne in einigen Ländern, vor allem in Griechenland und Italien). Bei einem derart schwachen globalen Wachstum werden Exporte Europa und Amerika nicht so bald zu neuem Aufschwung verhelfen.

Deutschland und einige der anderen nordeuropäischen Länder haben einen ungehörigen Mangel an europäischer Solidarität bewiesen, indem sie erklärten, dass man nicht von ihnen verlangen solle, für ihre verschwenderischen Nachbarn im Süden die Rechnung zu übernehmen. Das ist in mehrfacher Hinsicht falsch. Zunächst einmal würden niedrigere Zinssätze, die sich aus Eurobonds oder einem ähnlichen Mechanismus ergeben würden, die Schuldenlast tragbar werden lassen. Es sei daran erinnert, dass die USA mit einer sehr hohen Schuldenlast aus dem Zweiten Weltkrieg hervorgegangen sind, die Wirtschaft des Landes in den Folgejahren aber so rasch gewachsen ist wie nie zuvor.

Wenn die Eurozone dem oben dargelegten Programm folgt, dürfte es keine Notwendigkeit für Deutschland geben, irgendeine Rechnung zu übernehmen. Aber die widersinnige Politik, die Europa eingeschlagen hat, lässt eine Umschuldung der nächsten folgen. Wenn Deutschland und die anderen nordeuropäischen Länder weiter auf einer Fortsetzung der derzeitigen Politik beharren, werden sie, zusammen mit ihren Nachbarn im Süden, am Ende einen hohen Preis zahlen müssen.

Der Euro sollte Wachstum, Wohlstand und ein Zusammengehörigkeitsgefühl nach Europa bringen. Stattdessen hatte er Stagnation, Instabilität und Gespaltenheit im Gepäck.

Es muss nicht so sein. Der Euro kann gerettet werden, aber dafür braucht es mehr als große Reden, in denen das Bekenntnis zu Europa bekräftigt wird. Wenn Deutschland und andere nicht bereit sind, das Notwendige zu tun – wenn nicht genug Solidarität vorhanden ist, um die Politik funktionieren zu lassen – dann muss der Euro vielleicht der Rettung des europäischen Projektes halber aufgegeben werden.

Aus dem Englischen von Sandra Pontow.

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