NEW YORK – Trotz der tiefen Spaltung der amerikanischen Politik scheint hinsichtlich des Umgangs mit den ökonomischen Folgen der COVID-19-Pandemie mehr Einigkeit als Unstimmigkeit zu herrschen. Die US-Notenbank Federal Reserve ergreift bereits entschiedene geldpolitische Maßnahmen und der Kongress arbeitet mit Tempo an einem umfassenden Konjunkturpaket, das staatliche Rettungsaktionen mit Beteiligungen an Privatunternehmen ebenso vorsieht wie ein- oder zweimalige Bargeldauszahlungen an private Haushalte.
Allerdings wird sich dieser seltene Moment parteiübergreifender Einigkeit als eine verpasste Chance erweisen, wenn man in den USA nicht auch den seit langem währenden Niedergang des Arbeitnehmerschutzes und der Tarifverhandlungsmacht umkehrt. Wie Lawrence H. Summers von der Universität Harvard und viele andere gezeigt haben, trug dieser Trend erheblich zur Stagnation der US-Wirtschaft in den letzten Jahren bei und mittlerweile droht er auch die nächste Erholungsphase zu untergraben.
Trotz zunehmend angespannter Arbeitsmärkte seit 2009 ist der Anteil der Arbeit am Einkommen stetig und hartnäckig gesunken. Ohne politische Maßnahmen, im Rahmen derer Löhne und wirtschaftliche Sicherheit wieder in Einklang mit Profiten und Produktivitätswachstum gebracht werden, ist ein plötzlicher Rückgang der Wirtschaftsleistung unausweichlich. Schlimmer noch: die derzeitige Konzeption des parteiübergreifenden Plans würde eine weitere Konsolidierung von Monopolen und der Macht der Monopsone mit sich bringen und zu weiterer Repression und Stagnation für Arbeitskräfte führen. Ohne Maßnahmen zur Stärkung der automatischen Stabilisatoren, der Sozialversicherungsprogramme und der Tarifverhandlungsmacht der Arbeitnehmer wird das erhöhte Arbeitskräfteangebot aufgrund der steigenden Arbeitslosigkeit den Reservationslohn vieler Arbeitnehmer (Mindestlohn, den eine Arbeitskraft akzeptieren will oder kann) weiter drücken.
In der Rezession herrscht üblicherweise kein Arbeitskräftemangel, aber im konkreten Fall steigt der Bedarf an Arbeitskräften an den Frontlinien der Pandemie rapide an. Das gilt allerdings auch für das Risiko für diese Menschen, von denen viele tendenziell älter und durch COVID-19 stärker gefährdet sind. Wenn sie nicht mehr arbeiten können, trifft das die gesundheitspolitischen Maßnahmen im weiteren Sinne. Mitten in der Krise steigen freilich die Löhne in den Bereichen Gesundheit, Transport, Nahrungsmittelversorgung und anderen kritischen Bereichen. Diese Zuwächse sind allerdings temporärer Natur und viele andere Arbeitskräfte werden gezwungen sein, (als Haushaltshilfen oder unbezahlte Pflegehilfen ohne Gewerkschaftszugehörigkeit) Überstunden ohne zusätzliche Abgeltung zu leisten, auch wenn ihre beruflichen Risiken steigen.
Wir wissen bereits, welche Maßnahmen den Arbeitnehmern in der Krise und danach helfen würden. Zunächst sollten alle Arbeitgeber in den Vereinigten Staaten verpflichtet werden, bezahlte Krankenstände anzubieten. Nach Lobbyarbeit von Amazon und anderen haben jedoch der US-Kongress und Präsident Donald Trump Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern von dieser Notwendigkeit befreit. Das ist nicht nur schlecht für die Arbeitnehmer und damit für die wirtschaftliche Erholung, sondern stellt auch ein Risiko für die öffentliche Gesundheit dar (das ist genau der Grund, warum die Centers for Disease Control auch Daten über bezahlte Krankenstände speichern).
Zweitens müssen wir es Unternehmen erleichtern, ihre Mitarbeiter in Zeiten des Schocks eher zu beurlauben als sie gleich zu entlassen. Arindrajit Dube von der University of Massachusetts argumentiert, dass die USA von allen Bundesstaaten verlangen sollten, Kurzarbeitsmodelle anzubieten, im Rahmen derer die Regierung teilweise für die Lohnkosten jener Arbeitnehmer aufkommt, die andernfalls entlassen werden würden.
At a time of escalating global turmoil, there is an urgent need for incisive, informed analysis of the issues and questions driving the news – just what PS has always provided.
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Außerdem müssen die USA mit Blick auf die nächste Krise ihr System der Arbeitslosenversicherung umgestalten. Die Anspruchsberechtigung sollte dramatisch ausgeweitet werden (und nicht zuletzt auch Gig-Arbeitskräfte umfassen), und die Leistungen sollten weit über das derzeitige Lohnersatzniveau angehoben werden, das nur bei rund 40 Prozent liegt. In diesem Bereich hinken die USA dem Vereinigten Königreich weit hinterher, wo die Regierung bereits angekündigt hat, 80 Prozent der Lohnkosten für potenziell überzählige Arbeitnehmer zu übernehmen, die vom Arbeitgeber nicht entlassen werden.
Drittens sollte es Unternehmen, die öffentliche Mittel jeglicher Art erhalten, unmöglich gemacht werden, Arbeitsplätze auszulagern oder ins Ausland zu verlegen, gegen Arbeitsgesetze zu verstoßen oder Aktienrückkäufe zu tätigen. US-Senatorin Elizabeth Warren bringt dieses Argument seit langem vor und mittlerweile stimmt sogar Trump zu.
Viertens bedarf es in den USA Maßnahmen, um während des Abschwungs die Entstehung von „Reservearmeen“ an Arbeitskräften zu verhindern. Beispielsweise hätten ältere Arbeitskräfte bei höheren Renten weniger Notwendigkeit, auf den Arbeitsmarkt zu drängen. Das Problem besteht darin, dass 401(k)-Pläne und die Sozialversicherungsprogramme im Gegensatz zu leistungsorientierten Renten nicht als automatische Stabilisatoren fungieren.
Ein besonders unüberlegter (und vom Editorial Board des Wall Street Journalforcierter) Vorschlag würde es den Menschen ermöglichen, ihre Rentenkonten ohne Strafzahlung vorzeitig in Anspruch zu nehmen. Aber Strafzahlungen haben Menschen sowieso nie wirklich davon abgehalten, sich im Notfall ihr Geld zu holen. Durch die Streichung dieser Strafe würde die Regierung bloß signalisieren, dass es für Haushalte durchaus in Ordnung ist, ihre Zukunft für ihre aktuelle Sicherheit zu plündern. Angesichts der zunehmenden finanziellen Fragilität in den USA wäre das ein Rezept, Millionen Rentner auf den Arbeitsmarkt zu bringen, die dann in Zeiten des Abschwungs dort in Konkurrenz zu jüngeren Arbeitskräften treten.
Schließlich sollten die USA den bundesweiten Mindestlohn auf 15 Dollar pro Stunde anheben und die Strafen für jene Unternehmen erhöhen, die ihre Arbeitskräfte falsch einstufen, um sich die Bereitstellung von Leistungen zu ersparen. Diese und die anderen aufgeführten Maßnahmen würden nicht nur den Anteil der Arbeit am Einkommen erhöhen und die Nachfrage in Krisenzeiten stabilisieren; man könnte das sogar ohne einen Anstieg des Defizits tun.
Ein vielversprechender Aspekt der gegenwärtigen Krise ist, dass sie zu einer massiven und wohlwollenden Ausweitung der öffentlichen Unterstützung für Arbeitnehmer geführt hat, insbesondere für diejenigen, die an vorderster Front Hilfe leisten und dabei (vielfach ohne Schutzausrüstung) ihr Leben riskieren. Es bleibt zu hoffen, dass diese Stimmung in der Politik ihren Niederschlag findet.
Jahrzehntelang haben die USA zugelassen, dass sich die Situation für die Gewerkschaften und die Beziehungen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern im weiteren Sinne erheblich verschlechtern. In der Vergangenheit haben die Gewerkschaften bezahlte Krankenstände und Alternativen zur Arbeitslosigkeit ausgehandelt, ebenso wie sich die United Auto Workers in der aktuellen Krise für die Schließung der Autowerke eingesetzt haben. Stünden mehr Arbeitnehmer unter gewerkschaftlichem Schutz - ein weiterer automatischer Stabilisator – hätte man die durch die Pandemie verursachten Probleme bereits abgemildert. Bei der Konzeption politischer Gegenmaßnahmen ist es nun an der Zeit, dass beide Parteien die Arbeitnehmer an die erste Stelle setzen.
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US President Donald Trump’s import tariffs have triggered a wave of retaliatory measures, setting off a trade war with key partners and raising fears of a global downturn. But while Trump’s protectionism and erratic policy shifts could have far-reaching implications, the greatest victim is likely to be the United States itself.
warns that the new administration’s protectionism resembles the strategy many developing countries once tried.
It took a pandemic and the threat of war to get Germany to dispense with the two taboos – against debt and monetary financing of budgets – that have strangled its governments for decades. Now, it must join the rest of Europe in offering a positive vision of self-sufficiency and an “anti-fascist economic policy.”
welcomes the apparent departure from two policy taboos that have strangled the country's investment.
NEW YORK – Trotz der tiefen Spaltung der amerikanischen Politik scheint hinsichtlich des Umgangs mit den ökonomischen Folgen der COVID-19-Pandemie mehr Einigkeit als Unstimmigkeit zu herrschen. Die US-Notenbank Federal Reserve ergreift bereits entschiedene geldpolitische Maßnahmen und der Kongress arbeitet mit Tempo an einem umfassenden Konjunkturpaket, das staatliche Rettungsaktionen mit Beteiligungen an Privatunternehmen ebenso vorsieht wie ein- oder zweimalige Bargeldauszahlungen an private Haushalte.
Allerdings wird sich dieser seltene Moment parteiübergreifender Einigkeit als eine verpasste Chance erweisen, wenn man in den USA nicht auch den seit langem währenden Niedergang des Arbeitnehmerschutzes und der Tarifverhandlungsmacht umkehrt. Wie Lawrence H. Summers von der Universität Harvard und viele andere gezeigt haben, trug dieser Trend erheblich zur Stagnation der US-Wirtschaft in den letzten Jahren bei und mittlerweile droht er auch die nächste Erholungsphase zu untergraben.
Trotz zunehmend angespannter Arbeitsmärkte seit 2009 ist der Anteil der Arbeit am Einkommen stetig und hartnäckig gesunken. Ohne politische Maßnahmen, im Rahmen derer Löhne und wirtschaftliche Sicherheit wieder in Einklang mit Profiten und Produktivitätswachstum gebracht werden, ist ein plötzlicher Rückgang der Wirtschaftsleistung unausweichlich. Schlimmer noch: die derzeitige Konzeption des parteiübergreifenden Plans würde eine weitere Konsolidierung von Monopolen und der Macht der Monopsone mit sich bringen und zu weiterer Repression und Stagnation für Arbeitskräfte führen. Ohne Maßnahmen zur Stärkung der automatischen Stabilisatoren, der Sozialversicherungsprogramme und der Tarifverhandlungsmacht der Arbeitnehmer wird das erhöhte Arbeitskräfteangebot aufgrund der steigenden Arbeitslosigkeit den Reservationslohn vieler Arbeitnehmer (Mindestlohn, den eine Arbeitskraft akzeptieren will oder kann) weiter drücken.
In der Rezession herrscht üblicherweise kein Arbeitskräftemangel, aber im konkreten Fall steigt der Bedarf an Arbeitskräften an den Frontlinien der Pandemie rapide an. Das gilt allerdings auch für das Risiko für diese Menschen, von denen viele tendenziell älter und durch COVID-19 stärker gefährdet sind. Wenn sie nicht mehr arbeiten können, trifft das die gesundheitspolitischen Maßnahmen im weiteren Sinne. Mitten in der Krise steigen freilich die Löhne in den Bereichen Gesundheit, Transport, Nahrungsmittelversorgung und anderen kritischen Bereichen. Diese Zuwächse sind allerdings temporärer Natur und viele andere Arbeitskräfte werden gezwungen sein, (als Haushaltshilfen oder unbezahlte Pflegehilfen ohne Gewerkschaftszugehörigkeit) Überstunden ohne zusätzliche Abgeltung zu leisten, auch wenn ihre beruflichen Risiken steigen.
Wir wissen bereits, welche Maßnahmen den Arbeitnehmern in der Krise und danach helfen würden. Zunächst sollten alle Arbeitgeber in den Vereinigten Staaten verpflichtet werden, bezahlte Krankenstände anzubieten. Nach Lobbyarbeit von Amazon und anderen haben jedoch der US-Kongress und Präsident Donald Trump Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern von dieser Notwendigkeit befreit. Das ist nicht nur schlecht für die Arbeitnehmer und damit für die wirtschaftliche Erholung, sondern stellt auch ein Risiko für die öffentliche Gesundheit dar (das ist genau der Grund, warum die Centers for Disease Control auch Daten über bezahlte Krankenstände speichern).
Zweitens müssen wir es Unternehmen erleichtern, ihre Mitarbeiter in Zeiten des Schocks eher zu beurlauben als sie gleich zu entlassen. Arindrajit Dube von der University of Massachusetts argumentiert, dass die USA von allen Bundesstaaten verlangen sollten, Kurzarbeitsmodelle anzubieten, im Rahmen derer die Regierung teilweise für die Lohnkosten jener Arbeitnehmer aufkommt, die andernfalls entlassen werden würden.
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Drittens sollte es Unternehmen, die öffentliche Mittel jeglicher Art erhalten, unmöglich gemacht werden, Arbeitsplätze auszulagern oder ins Ausland zu verlegen, gegen Arbeitsgesetze zu verstoßen oder Aktienrückkäufe zu tätigen. US-Senatorin Elizabeth Warren bringt dieses Argument seit langem vor und mittlerweile stimmt sogar Trump zu.
Viertens bedarf es in den USA Maßnahmen, um während des Abschwungs die Entstehung von „Reservearmeen“ an Arbeitskräften zu verhindern. Beispielsweise hätten ältere Arbeitskräfte bei höheren Renten weniger Notwendigkeit, auf den Arbeitsmarkt zu drängen. Das Problem besteht darin, dass 401(k)-Pläne und die Sozialversicherungsprogramme im Gegensatz zu leistungsorientierten Renten nicht als automatische Stabilisatoren fungieren.
Ein besonders unüberlegter (und vom Editorial Board des Wall Street Journalforcierter) Vorschlag würde es den Menschen ermöglichen, ihre Rentenkonten ohne Strafzahlung vorzeitig in Anspruch zu nehmen. Aber Strafzahlungen haben Menschen sowieso nie wirklich davon abgehalten, sich im Notfall ihr Geld zu holen. Durch die Streichung dieser Strafe würde die Regierung bloß signalisieren, dass es für Haushalte durchaus in Ordnung ist, ihre Zukunft für ihre aktuelle Sicherheit zu plündern. Angesichts der zunehmenden finanziellen Fragilität in den USA wäre das ein Rezept, Millionen Rentner auf den Arbeitsmarkt zu bringen, die dann in Zeiten des Abschwungs dort in Konkurrenz zu jüngeren Arbeitskräften treten.
Schließlich sollten die USA den bundesweiten Mindestlohn auf 15 Dollar pro Stunde anheben und die Strafen für jene Unternehmen erhöhen, die ihre Arbeitskräfte falsch einstufen, um sich die Bereitstellung von Leistungen zu ersparen. Diese und die anderen aufgeführten Maßnahmen würden nicht nur den Anteil der Arbeit am Einkommen erhöhen und die Nachfrage in Krisenzeiten stabilisieren; man könnte das sogar ohne einen Anstieg des Defizits tun.
Ein vielversprechender Aspekt der gegenwärtigen Krise ist, dass sie zu einer massiven und wohlwollenden Ausweitung der öffentlichen Unterstützung für Arbeitnehmer geführt hat, insbesondere für diejenigen, die an vorderster Front Hilfe leisten und dabei (vielfach ohne Schutzausrüstung) ihr Leben riskieren. Es bleibt zu hoffen, dass diese Stimmung in der Politik ihren Niederschlag findet.
Jahrzehntelang haben die USA zugelassen, dass sich die Situation für die Gewerkschaften und die Beziehungen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern im weiteren Sinne erheblich verschlechtern. In der Vergangenheit haben die Gewerkschaften bezahlte Krankenstände und Alternativen zur Arbeitslosigkeit ausgehandelt, ebenso wie sich die United Auto Workers in der aktuellen Krise für die Schließung der Autowerke eingesetzt haben. Stünden mehr Arbeitnehmer unter gewerkschaftlichem Schutz - ein weiterer automatischer Stabilisator – hätte man die durch die Pandemie verursachten Probleme bereits abgemildert. Bei der Konzeption politischer Gegenmaßnahmen ist es nun an der Zeit, dass beide Parteien die Arbeitnehmer an die erste Stelle setzen.
Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier