ghosh_GettyImages187890299 Getty Images

Die Ausbeutungszeitbombe

NEU DELHI – Seitdem die Verringerung der Ungleichheit zu einem offiziellen Ziel der internationalen Gemeinschaft geworden ist, haben sich die Einkommensunterschiede vergrößert. Dieser Trend wird allgemeinhin auf Handelsliberalisierung und technologische Fortschritte zurückgeführt, die die Verhandlungsmacht der Arbeit gegenüber dem Kapital geschwächt haben. Das hat in vielen Ländern einen politischen Rückschlag verursacht, wobei die Wähler ihre wirtschaftliche Notlage eher auf „die Anderen” als auf die nationale Politik schieben. Und solche Gefühle verschärfen die sozialen Spannungen natürlich nur noch, ohne die eigentlichen Ursachen für die Zunahme der Ungleichheit anzugehen.

Aber in einem wichtigen neuen Artikel argumentiert der Ökonom der University of Cambridge, José Gabriel Palma, nationale Einkommensverteilungen seien nicht das Ergebnis unpersönlicher globaler Kräfte, sondern würden vielmehr von politischen Entscheidungen beeinflusst, die die Kontroll- und Lobbymacht der Reichen widerspiegeln. Palma beschreibt insbesondere die in jüngster Zeit deutlich gestiegene Ungleichheit in den OECD-Ländern, den ehemaligen sozialistischen Volkswirtschaften Mittel- und Osteuropas sowie Chinas und Indiens als einen Prozess des „umgekehrten Aufholens”. Diese Länder, so Palma, ähneln zunehmend vielen ungleichen lateinamerikanischen Volkswirtschaften, wobei zinsorientierte Eliten die meisten Früchte des Wachstums ernten.

In seiner früheren Arbeit zeigte Palma, wie der Anteil der Einkommen im mittleren und mittleren bis oberen Bereich am Gesamteinkommen in den meisten Ländern im Laufe der Zeit bemerkenswert stabil geblieben ist, nämlich etwa die Hälfte ausmacht. Veränderungen in der Gesamteinkommensverteilung resultierten daher weitgehend aus Veränderungen der jeweiligen Anteile der oberen 10 Prozent und der unteren 40 Prozent der Bevölkerung (das Verhältnis zwischen diesen Anteilen wird nun als „Palma Ratio” bezeichnet).

https://prosyn.org/Q7gmQQvde