adda1_ Nicholas KajobaXinhua via Getty Images_hbv Nicholas Kajoba/Xinhua via Getty Images

Ein großer Schritt nach vorn für die Gesundheit der Leber

JALINGO ‑ Ende März hat die Weltgesundheitsorganisation neue Leitlinien zur Prävention, Diagnose und Behandlung der chronischen Hepatitis-B-Infektion (HBV) veröffentlicht. Als jemand, der mit HBV lebt, begrüße ich diese Änderungen, die die Zahl der Todesfälle durch Leberkrebs in Afrika deutlich senken könnten.

Die Geschichte von Wisdom, einem Vater und Gründer einer der besten Privatschulen in seiner Heimatstadt in Nigeria, zeigt, dass ein neuer Ansatz für die Behandlung von HBV erforderlich ist. Nachdem er versucht hatte, seinem kranken Cousin Blut zu spenden, war Wisdom schockiert, als er erfuhr, dass er HBV hatte. Die Ärzte sagten ihm, er solle nach Hause gehen und in sechs Monaten wiederkommen, da seine Viruslast zu niedrig sei, um nach den WHO-Leitlinien von 2015 behandelt zu werden.

Wisdom hatte nie das Bedürfnis, das Krankenhaus erneut aufzusuchen, da er gesund schien und der Arzt sich keine Sorgen wegen seiner Infektion zu machen schien. Doch 13 Wochen später spürte Wisdom bei der Arbeit auf seiner Farm einen stechenden Schmerz im rechten Oberbauch, ihm wurde übel und er fiel fast in Ohnmacht. Nach wochenlangen Untersuchungen wurde bei ihm Leberkrebs im fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert. Im August letzten Jahres, nur fünf Monate nach der ersten Diagnose, starb Wisdom und hinterließ seine Frau, seine Tochter und einen Haufen Arztrechnungen.

Die Heilungschancen bei Leberkrebs sind in ganz Afrika schlecht. Wie bei Wisdom wird die Diagnose bei den meisten Afrikanern erst spät gestellt, so dass nur wenig Zeit für eine Behandlung bleibt. In Afrika südlich der Sahara, wo 95 % der Patienten mit Leberkrebs im fortgeschrittenen Stadium oder im Endstadium sind, liegt die durchschnittliche Überlebensrate bei zweieinhalb Monaten. Im Gegensatz dazu werden in den Ländern mit hohem Einkommen etwa 40 % der Patienten in einem frühen Stadium diagnostiziert, in dem noch heilende oder lebensverlängernde Maßnahmen möglich sind.

Alle Hepatitis-Infektionen führen zu einer Entzündung in der Leber. Daher ist es nicht verwunderlich, dass nach den neusten Krebsstatistiken 70 % der Leberkrebsfälle mit HBV- und Hepatitis-C-Virusinfektionen in Verbindung stehen. Noch beunruhigender ist, dass die Daten einen Anstieg der weltweiten Todesfälle durch Leberkrebs zwischen 2010 und 2019 um 25 % zeigen. Im Jahr 2020 starben 830.200 Menschen an Leberkrebs, und fast die Hälfte dieser Fälle ist auf HBV zurückzuführen.

Bei mir wurde im Jahr 2004 HBV diagnostiziert. Wie bei Wisdom zeigten mehrere Tests, dass ich eine niedrige Viruslast hatte, und meine Ärzte empfahlen auf der Grundlage von Protokollen, die von Leberspezialisten in Nigeria, Europa und den USA entwickelt worden waren, keine Behandlung. Später, in den WHO-Leitlinien von 2015, wurde der gleiche Ansatz für Patienten wie mich empfohlen: Durchführung einer Reihe von diagnostischen Tests und Verzicht auf eine Behandlung, wenn die Viruslast niedrig ist. Ich fühlte mich machtlos, Entscheidungen über meine eigene Gesundheit zu treffen.

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Obwohl mir die Ärzte versicherten, dass ich gesund sei, lebte ich in ständiger Angst vor Leberkrebs; jeden Tag beobachtete ich meinen Körper auf Anzeichen für eine Entwicklung. Meine Angst wurde noch größer, als ich über die Krankheit las und an wissenschaftlichen Tagungen zu diesem Thema teilnahm, vor allem, als ich erfuhr, dass Männer mit HBV in Afrika ein höheres Risiko haben, an Leberkrebs zu erkranken, selbst bei niedriger Viruslast. Also begann ich vor einigen Jahren, täglich die von der WHO zur Behandlung von HBV empfohlenen Medikamente einzunehmen. Diese Medikamente haben mich zwar bisher gesund gehalten, aber ich muss sie aus eigener Tasche bezahlen ‑ ein Privileg, das sich nicht jeder leisten kann.

Da die meisten mit HBV infizierten Menschen weder über die wissenschaftlichen Kenntnisse noch über die finanziellen Mittel verfügen, um für sich selbst einzutreten, werden die neuen WHO-Leitlinien helfen, Leben zu retten. Mit den vier neuen Optionen für die Erfüllung der Behandlungsvoraussetzungen werden bis zu 50 % der Menschen mit HBV in der Lage sein, potenziell lebensrettende antivirale Medikamente zu erhalten, während dies bisher nur für ein Fünftel möglich war.

Darüber hinaus werden in den Leitlinien weitere Umstände genannt, unter denen ein Patient eine Behandlung verlangen kann, z. B. um eine Übertragung auf Familienmitglieder oder Sexualpartner zu verhindern und um das Risiko von Leberkrebs zu verringern. Dies bedeutet, dass fast alle HBV-Patienten potenziell für eine antivirale Behandlung in Frage kommen, im Gegensatz zu früheren Leitlinien, die eine Behandlung nur für Patienten mit fortgeschrittener Lebererkrankung vorsahen.

Die neuen Leitlinien stellen einen großen Fortschritt dar, da sie die Behandlungsmöglichkeiten erweitern und eine gemeinsame Entscheidungsfindung von Ärzten und Patienten ermöglichen, was zweifellos dazu führen wird, dass mehr Menschen gegen HBV behandelt werden. Dennoch gibt es Raum für Verbesserungen. So wird beispielsweise bei der empfohlenen Verwendung von HBV-DNA-Tests zur kontinuierlichen Überwachung nicht berücksichtigt, dass solche Tests in Afrika nicht überall verfügbar sind.

In einem nächsten Schritt müssen die Regierungen, insbesondere in Afrika südlich der Sahara, das Gesundheitspersonal und die Patientenvertreter in den neuen Leitlinien schulen, um deren Umsetzung zu gewährleisten. Außerdem müssen sie die Zahl der Tests erhöhen, um HBV-Infizierte in einem früheren Stadium der Krankheit zu erkennen und so viele Fälle wie möglich zu behandeln.

Zu diesem Zweck fordere ich die nationalen Hepatitis-Programme und die Gesundheitsministerien auf, diese Leitlinien nicht verstauben zu lassen, sondern sofort zu handeln und sie umzusetzen, was eine Ausweitung der Tests und der Behandlung erfordert. Rasches Handeln ist der einzige Weg, um die Zahl der Todesfälle durch Leberkrebs in Afrika zu senken und das Ziel der WHO, Hepatitis B bis 2030 zu eliminieren, zu erreichen.

Deutsch von Andreas Hubig

https://prosyn.org/YtwTCj4de