MOSKAU – Der Schulhof meiner sowjetischen Schule war von einem Gitterzaun umgeben. Jede Woche rissen Kinder, die zu spät kamen und ihren Weg durch den Hof abkürzen wollten, ein Loch in den Zaun. Jedes Wochenende wurde das Loch im Zaum wieder geflickt, nur, um am Morgen danach wieder aufzutauchen. Das hörte niemals auf. Ich wünschte, US-Präsident Donald Trump, der Zaunbauer des Westens, wäre auf meine Schule gegangen.
Die Sowjetunion war ein Land der Zäune, Barrieren und Mauern. Alles war verboten, verschlossen und bewacht. Warnschilder wurden unmissverständlich formuliert: „Nicht eintreten: Tod!” „Fremde sind verboten.” „Die Grenze ist geschlossen. ”
Die Barrieren hinderten die Menschen allerdings nicht daran, die Warnungen zu ignorieren. Aber sie verkomplizierten die Dinge. Um Ziegel und Kabel von Baustellen zu stehlen, entfernten die Bürger Bretter von Holzzäunen oder kletterten über Betonzäune, auf die Gefahr hin, von rostigen Nägeln oder Stacheldraht zerkratzt, von Wachhunden gebissen oder sogar mit Steinsalz beschossen zu werden. Baumaterialien waren knapp, aber die Menschen brauchten sie, und nicht jeder konnte Schwarzmarktpreise zahlen. Für die Eindringlinge waren Zäune keine so große Sache.
Auch die Kolchosen wurden eingezäunt, um zu verhindern, dass hungrige Bürger ständig Obst, Gemüse und Getreide stahlen. Während der ukrainischen Hungersnot führte Joseph Stalin, ein Zaunbauer par excellence, 1932 das „Gesetz der drei Ährchen” ein, das das Entnehmen einer Handvoll Getreide aus einer Kolchose zu einem Verbrechen machte, das mit dem Erschießungskommando bestraft wurde. Es störte ihn nicht, dass Leute stahlen, weil sie nichts zu essen hatten. Den Hungernden loszuwerden war einfacher als den Hunger loszuwerden.
Sowjetische Krankenhäuser wurden in ähnlicher Weise von Mauern umgeben. Der Besuch eines Patienten war ein Alptraum: überall waren Türsteher, Besuchszeiten waren knapp, und das Betreten von Intensivstationen oder Kreißsälen war schlichtweg verboten, weil das Krankenhauspersonal glaubte, alle Außenstehenden seien wandelnde Bakterienschleudern. Im Westen halten die Ehemänner während der Geburt die Hände ihrer Frauen, scheinbar unbekümmert was Bakterien betrifft. Die Infektions- und Sterblichkeitsraten waren in der Sowjetunion trotz aller Vorsichtsmaßnahmen deutlich höher.
Die Bürger bauten selbst oft Barrieren, trotz der Sinnlosigkeit ihres Unterfangens. In den 90er Jahren begannen die Russen, Metalltüren in ihren Wohnungen zu installieren, um sich vor Einbrüchen zu schützen, die im wirtschaftlichen Chaos jener Jahre immer kühner und häufiger wurden. Der Effekt war marginal, da Diebe mit Metallschneidern auftauchten.
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Sommerlager für Kinder waren immer eingezäunt, mit Checkpoints, vergitterten Toren und Wachen. An den Eingängen zu Stränden und anderen Bereichen, die für unbefugten Zugang anfällig waren, wurden Aussichtspunkte positioniert. Das Verlassen eines Lagers war strengstens verboten, und der Ausbruch war noch schwieriger als der Einbruch. Die Kinder taten es trotzdem - einige aus Mut, einige aus Trotz, andere einfach nur, weil sie ohne Händchenhalten baden wollten, eine übliche Sicherheitspraxis. Jedes Jahr ertrank mindestens ein Ausreißer, ein anderer verirrte sich in den umliegenden Wäldern oder wurde in einem Zug ohne Ticket auf dem Weg nach Hause geschnappt. Mir persönlich gefiel das Lager, trotz des endlosen Marsches und des Rufs „Immer bereit!”. Aber wie die meisten meiner Kameraden wusste ich, wie ich rauskam, wenn ich wollte.
Abgesehen vom Gulag war das Musterbeispiel für die sowjetische Unbezwingbarkeit die Fleischfabrik. Sie hatten alles: den Zaun, die schnüffelnden Hunde, den Stacheldraht, Kontrollpunkte, eine Bürgerwehr und manchmal Milizen. Dennoch hatten die Menschen großen Appetit auf Fleisch, eine seltene Ware in der Ära des „fortgeschrittenen Sozialismus”. Hier ging es darum, den Hindernisparcours mit dem unter der Kleidung verborgenen Fleisch zu meistern: eine Herausforderung, wenn man bedenkt, dass rohes Fleisch dazu neigt, zu tropfen.
Der Ausbruch aus der Sowjetunion war natürlich die schwierigste Aufgabe von allen. Die meisten haben es angesichts der realen Risiken nicht einmal versucht. Aber die, die es taten, setzten alles aufs Spiel. Sie schwammen über kalte Meere, versteckten sich in Kofferräumen und entführten sogar Flugzeuge. 1961 entkam der Kirov-Ballettstar Rudolf Nureyev seinen KGB-Leibwächtern und flog einfach über die Grenze zum Pariser Flughafen Le Bourget, um die gefährlichste Ovation seines Lebens zu erhalten - und die Chance, das zu sein, was er sein wollte.
Andere, die nicht so erfolgreich waren, wurden erschossen, per Elektroschock getötet oder eingesperrt. Und selbst diejenigen, die das Gesetz nicht gebrochen hatten, litten trotzdem. Im sowjetischen Dissidentenfegefeuer war den refuseniks, Menschen jüdischer Abstammung, deren Anträge auf Auswanderung abgelehnt worden waren, ein besonderer Platz vorbehalten. Mit dem Stempel „abgelehnt” im Pass, der bereits durch die Bezeichnung „Jude” im Pflichtfeld „Nationalität” belastet war, wurden sie zu Geächteten. Refuseniks wurden von Nachbarn und Freunden gemieden. Sie wurden vom KGB überwacht. Und einige bekamen nicht einmal niedere Jobs. Doch sie konnten nicht gehen, denn die Menschen, die Mauern bauen und eiserne Vorhänge aufhängen, wollen dir wirklich nur zeigen, wer der Chef ist, auch wenn sie von Sicherheit und Schutz reden.
Am Ende kann keine Mauer, kein Zaun oder Vorhang - Eisen oder Stahl - Menschen daran hindern, um ihr Überleben zu kämpfen. Aber diese Barrieren können ein einst offenes Land in ein Land der Gefangenen und Wachen verwandeln, eine riesige, eingezäunte Zone, in der alles vergiftet ist und langsam in sich zusammenbricht. Das war das Schicksal der Sowjetunion. Wenn Trump seinen Willen durchsetzt, könnte es auch das Schicksal Amerikas sein.
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Less than two months into his second presidency, Donald Trump has imposed sweeping tariffs on America’s three largest trading partners, with much more to come. This strategy not only lacks any credible theoretical foundations; it is putting the US on a path toward irrevocable economic and geopolitical decline.
Today's profound global uncertainty is not some accident of history or consequence of values-free technologies. Rather, it reflects the will of rival great powers that continue to ignore the seminal economic and social changes underway in other parts of the world.
explains how Malaysia and other middle powers are navigating increasingly uncertain geopolitical terrain.
MOSKAU – Der Schulhof meiner sowjetischen Schule war von einem Gitterzaun umgeben. Jede Woche rissen Kinder, die zu spät kamen und ihren Weg durch den Hof abkürzen wollten, ein Loch in den Zaun. Jedes Wochenende wurde das Loch im Zaum wieder geflickt, nur, um am Morgen danach wieder aufzutauchen. Das hörte niemals auf. Ich wünschte, US-Präsident Donald Trump, der Zaunbauer des Westens, wäre auf meine Schule gegangen.
Die Sowjetunion war ein Land der Zäune, Barrieren und Mauern. Alles war verboten, verschlossen und bewacht. Warnschilder wurden unmissverständlich formuliert: „Nicht eintreten: Tod!” „Fremde sind verboten.” „Die Grenze ist geschlossen. ”
Die Barrieren hinderten die Menschen allerdings nicht daran, die Warnungen zu ignorieren. Aber sie verkomplizierten die Dinge. Um Ziegel und Kabel von Baustellen zu stehlen, entfernten die Bürger Bretter von Holzzäunen oder kletterten über Betonzäune, auf die Gefahr hin, von rostigen Nägeln oder Stacheldraht zerkratzt, von Wachhunden gebissen oder sogar mit Steinsalz beschossen zu werden. Baumaterialien waren knapp, aber die Menschen brauchten sie, und nicht jeder konnte Schwarzmarktpreise zahlen. Für die Eindringlinge waren Zäune keine so große Sache.
Auch die Kolchosen wurden eingezäunt, um zu verhindern, dass hungrige Bürger ständig Obst, Gemüse und Getreide stahlen. Während der ukrainischen Hungersnot führte Joseph Stalin, ein Zaunbauer par excellence, 1932 das „Gesetz der drei Ährchen” ein, das das Entnehmen einer Handvoll Getreide aus einer Kolchose zu einem Verbrechen machte, das mit dem Erschießungskommando bestraft wurde. Es störte ihn nicht, dass Leute stahlen, weil sie nichts zu essen hatten. Den Hungernden loszuwerden war einfacher als den Hunger loszuwerden.
Sowjetische Krankenhäuser wurden in ähnlicher Weise von Mauern umgeben. Der Besuch eines Patienten war ein Alptraum: überall waren Türsteher, Besuchszeiten waren knapp, und das Betreten von Intensivstationen oder Kreißsälen war schlichtweg verboten, weil das Krankenhauspersonal glaubte, alle Außenstehenden seien wandelnde Bakterienschleudern. Im Westen halten die Ehemänner während der Geburt die Hände ihrer Frauen, scheinbar unbekümmert was Bakterien betrifft. Die Infektions- und Sterblichkeitsraten waren in der Sowjetunion trotz aller Vorsichtsmaßnahmen deutlich höher.
Die Bürger bauten selbst oft Barrieren, trotz der Sinnlosigkeit ihres Unterfangens. In den 90er Jahren begannen die Russen, Metalltüren in ihren Wohnungen zu installieren, um sich vor Einbrüchen zu schützen, die im wirtschaftlichen Chaos jener Jahre immer kühner und häufiger wurden. Der Effekt war marginal, da Diebe mit Metallschneidern auftauchten.
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Abgesehen vom Gulag war das Musterbeispiel für die sowjetische Unbezwingbarkeit die Fleischfabrik. Sie hatten alles: den Zaun, die schnüffelnden Hunde, den Stacheldraht, Kontrollpunkte, eine Bürgerwehr und manchmal Milizen. Dennoch hatten die Menschen großen Appetit auf Fleisch, eine seltene Ware in der Ära des „fortgeschrittenen Sozialismus”. Hier ging es darum, den Hindernisparcours mit dem unter der Kleidung verborgenen Fleisch zu meistern: eine Herausforderung, wenn man bedenkt, dass rohes Fleisch dazu neigt, zu tropfen.
Der Ausbruch aus der Sowjetunion war natürlich die schwierigste Aufgabe von allen. Die meisten haben es angesichts der realen Risiken nicht einmal versucht. Aber die, die es taten, setzten alles aufs Spiel. Sie schwammen über kalte Meere, versteckten sich in Kofferräumen und entführten sogar Flugzeuge. 1961 entkam der Kirov-Ballettstar Rudolf Nureyev seinen KGB-Leibwächtern und flog einfach über die Grenze zum Pariser Flughafen Le Bourget, um die gefährlichste Ovation seines Lebens zu erhalten - und die Chance, das zu sein, was er sein wollte.
Andere, die nicht so erfolgreich waren, wurden erschossen, per Elektroschock getötet oder eingesperrt. Und selbst diejenigen, die das Gesetz nicht gebrochen hatten, litten trotzdem. Im sowjetischen Dissidentenfegefeuer war den refuseniks, Menschen jüdischer Abstammung, deren Anträge auf Auswanderung abgelehnt worden waren, ein besonderer Platz vorbehalten. Mit dem Stempel „abgelehnt” im Pass, der bereits durch die Bezeichnung „Jude” im Pflichtfeld „Nationalität” belastet war, wurden sie zu Geächteten. Refuseniks wurden von Nachbarn und Freunden gemieden. Sie wurden vom KGB überwacht. Und einige bekamen nicht einmal niedere Jobs. Doch sie konnten nicht gehen, denn die Menschen, die Mauern bauen und eiserne Vorhänge aufhängen, wollen dir wirklich nur zeigen, wer der Chef ist, auch wenn sie von Sicherheit und Schutz reden.
Am Ende kann keine Mauer, kein Zaun oder Vorhang - Eisen oder Stahl - Menschen daran hindern, um ihr Überleben zu kämpfen. Aber diese Barrieren können ein einst offenes Land in ein Land der Gefangenen und Wachen verwandeln, eine riesige, eingezäunte Zone, in der alles vergiftet ist und langsam in sich zusammenbricht. Das war das Schicksal der Sowjetunion. Wenn Trump seinen Willen durchsetzt, könnte es auch das Schicksal Amerikas sein.
Aus dem Englischen von Eva Göllner.