borrell21_Arif Hudaverdi YamanAnadolu Agency via Getty Images_bazoum Arif Hudaverdi Yaman/Anadolu Agency via Getty Images

Im Sahel muss sich die Demokratie durchsetzen

BRÜSSEL – Manche Ereignisse prägen sich stärker ein als andere und bleiben als Meilensteine einer Amtszeit in Erinnerung. Ich werde nie vergessen, wie ich im Dezember 2019 in Paris an einer feierlichen Veranstaltung teilnahm, um 13 französischen Soldaten, die in Mali gefallen waren, die letzte Ehre zu erweisen. Es war mein erster offizieller Termin als Hoher Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik.

Auch mein Besuch in Niger im Juli wird mir in Erinnerung bleiben. Bei der Einweihung des Solarkraftwerks Gorou Banda in der Nähe von Niamey konnte ich mich von den konkreten Ergebnissen überzeugen, die die Zusammenarbeit zwischen der EU und Niger hervorgebracht hat. In Agadez sah ich auch hunderte, mit Unterstützung der EU gebaute Sozialwohnungen. Mit ehrgeizigen Visionen und Maßnahmen gab der nigrische Präsident Mohamed Bazoum Anlass zu echter Hoffnung in einer Region, die mehr und mehr in autoritäre Hände gefallen war. Deshalb war der Militärputsch vom 26. Juli, kurz nach meinem Besuch, ein Schock für mich.

Nach einer Beratung mit meinen europäischen Amtskollegen, bei der auch der nigrische Außenminister und der Präsident der Kommission der Wirtschaftsgemeinschaft der westafrikanischen Staaten (ECOWAS) zugegen waren, möchte ich ein paar Gedanken zur Lage in Niger und im Sahel weitergeben.

Wir müssen – „so lange wie nötig“ – an unserer unerschütterlichen Unterstützung für den demokratisch gewählten Präsidenten Bazoum festhalten und eine Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung in Niger fordern. Die Zukunft der Demokratie in der gesamten Region steht auf dem Spiel. Die Demokratie, die die Menschen in Niger verlangen, für die sich die ECOWAS einsetzt und die die EU weltweit verteidigt.

Auch an unserer Unterstützung für die ECOWAS müssen wir festhalten. Es gibt keinen Raum für Nebenabsprachen oder parallele Vermittlungskanäle. Als Europäer unterstützen wir schon lange die Suche nach „afrikanischen Lösungen für afrikanische Probleme“. Zu einem Zeitpunkt, an dem die ECOWAS einen beispiellos deutlichen und konsequenten Standpunkt vertritt, müssen wir unseren Worten Taten folgen lassen.

Über die Verteidigung ihrer demokratischen Werte hinaus hat die EU auch ein großes Interesse daran, dass Niger auf den Weg der verfassungsmäßigen Ordnung zurückkehrt. Fällt ein weiteres Land im Sahel in die Hände einer Militärjunta, so hätte dies weitreichende negative Folgen für Europa, was die Sicherheit, die Migrationsströme und das geopolitische Kräftegleichgewicht betrifft. Wer glaubt, eine Militärjunta könnte terroristische Bewegungen oder Menschenhandel wirksam bekämpfen, irrt sich. Die besten Bollwerke gegen solche Bedrohungen sind demokratische Staaten mit dem Ehrgeiz, dem Willen und den Mitteln, ihrer Bevölkerung neue Chancen zu eröffnen.

Subscribe to PS Digital
PS_Digital_1333x1000_Intro-Offer1

Subscribe to PS Digital

Access every new PS commentary, our entire On Point suite of subscriber-exclusive content – including Longer Reads, Insider Interviews, Big Picture/Big Question, and Say More – and the full PS archive.

Subscribe Now

Die politischen Maßnahmen der EU hinsichtlich der Sahel-Region waren in den letzten Jahren nicht so erfolgreich, wie wir uns erhofft hatten. Bisweilen haben wir unseren Blick zu sehr nur auf die Sicherheitsdimension gerichtet, und unsere Bemühungen, zur Stärkung der Rechtsstaatlichkeit und zur Bereitstellung grundlegender Dienste beizutragen, waren nicht ausreichend oder nicht sichtbar genug. Auch die „strategische Geduld“, die wir den Militärjunten in der Region gegenüber gezeigt haben, hat zu keinen konkreten Ergebnissen geführt, sondern dazu, dass Nachahmer auf den Plan gerufen wurden.

Wir müssen zwar Selbstkritik üben, dürfen jedoch nicht vergessen, dass der Fahrplan Europas für den Sahel in den letzten Jahren ein Fahrplan ebendieser Region war. Wir haben unsere Soldaten, unser Geld und unser politisches Kapital für die Region eingesetzt, weil die Sahelländer uns darum gebeten haben.

Was können wir jetzt tun? Wir können unsere Budgethilfe für Niger und die sicherheitspolitische Zusammenarbeit mit Niger aussetzen, wir können darauf hinarbeiten, Sanktionen zu verhängen, und wir können – als Reaktion auf die ungerechtfertigte Ausweisung des Botschafters eines unserer Mitgliedstaaten – Solidarität zeigen. Wir müssen aber noch weiter gehen. Es ist nicht sinnvoll, so weiterzumachen wie bisher und ein anderes Ergebnis zu erwarten; daher müssen wir einen neuen Ansatz verfolgen.

Die sicherheitspolitische Zusammenarbeit, die Visavergabe und die Programme zur wirtschaftlichen Entwicklung müssen überdacht werden, und wir müssen schnell entscheiden, was sich ändern muss – sowohl in Bezug auf Niger als auch auf andere Länder im Sahel. Wir müssen das Kräftemessen mit den Militärjunten angehen, ohne in die Fallen von Regimen zu geraten, die ihre Macht in erster Linie auf Manipulation und Desinformation stützen. Da sie kaum Erfolge vorweisen können, wenn es um die Terrorismusbekämpfung oder die wirtschaftliche Entwicklung geht, haben die Junten der Region darin ihr wirksamstes Instrument gefunden.

Der Sahel ist ein Test für die gesamte EU. Niemand sollte Frankreichs Schwierigkeiten in der Region mit Schadenfreude betrachten. Das Land ist zu einem bequemen Sündenbock für Junten geworden, die so mit Leichtigkeit nationalen Zusammenhalt fabrizieren und gleichzeitig von ihrem eigenen Versagen und ihrem Machtmissbrauch ablenken können. Frankreich ist jedoch nicht das Problem im Sahel; es sind die Militärjunten, denn ihnen fehlen die Mittel für eine tatsächliche Terrorismusbekämpfung und der Ehrgeiz, das tägliche Leben und die Zukunftsaussichten ihrer Bevölkerung zu verbessern.

Diejenigen – in Europa oder anderswo –, die sich über die europäischen Probleme im Sahel freuen, haben nicht verstanden, was auf dem Spiel steht. Wir alle werden einen hohen Preis zahlen, wenn wir nicht geschlossen und geeint bleiben. Nur ein geeintes Europa kann Einfluss auf den Lauf der Ereignisse üben. Die nächsten Wochen werden zeigen, ob wir der Aufgabe gewachsen sind, den Erwartungen in dieser strategischen Region gerecht zu werden.

https://prosyn.org/FVAomTzde