NEW YORK – Innerhalb einer einzigen Woche in diesem Monat verlor Jill Abramson, die erste Frau auf dem Posten des Chefredakteurs der New York Times, erzwungenermaßen ihren Job und Natalie Nougayrède trat als Chefredakteurin der führenden französischen Zeitung Le Monde zurück, wobei sie sich in einem offenen Brief beklagte, in ihren Vorrechten beschnitten worden zu sein. Was sagen uns nun diese Abgänge hochrangiger Mitarbeiterinnen über Frauen in Führungspositionen?
Die Times berichtete über Abramsons Abschied in Form einer mit beißenden Bemerkungen und Seitenhieben gespickten Titelgeschichte von der Art, wie sie nicht einmal der unfähigste hochrangige männliche Redakteur nach seiner Entlassung in der Zeitung zu sehen bekommt. In einem kurzen Kampf um öffentliche Wahrnehmung setzte sich Abramson selbstbewusst zur Wehr, wobei Details über eine Lücke im Ausmaß von über 80.000 Dollar zwischen ihrem und dem Gehalt ihres männlichen Vorgängers in der gleichen Position durchsickerten.
Wie absehbar, machten sich Beobachter auf beiden Seiten des Atlantiks Gedanken über den „Führungsstil“ von Frauen. Dabei wurde Abramson als „streitbar” beschrieben, während man Nougayrède nachsagte, „autoritär“ und „Putin-ähnlich“ zu sein. Weder Freund noch Feind wussten, nebenbei bemerkt, allerdings etwas darüber zu berichten, dass eine der Frauen während ihrer Amtszeit wirtschaftliche Ziele verfehlte. Ihr Stil stand im Zentrum der Berichterstattung – und damit auch der Reaktionen darauf.
Es war bizarr, dass man Abramson - eine prominente Enthüllungsjournalistin, deren Aufgabe es war, Reportern gegen viele Widerstände zu ihren Geschichten zu verhelfen - als „schroff“, aggressiv, hart und „aufbrausend“ anprangerte. Wie hätte sie ihren Job ohne diese Attribute ausüben sollen? Hätte sie die gegenteiligen Eigenschaften an den Tag gelegt, würde man sie als schwache und unentschlossene Führungskraft kritisieren.
Man möchte meinen, dass wir die Doppelmoral hinsichtlich der Wahrnehmung der Führungsstile von Männern und Frauen mittlerweile hinter uns gelassen haben. Doch im Fall von Frauen in Führungspositionen hält sich unglücklicherweise ein „Führungsmythos“ – ähnlich dem „Schönheitsmythos“ oder Betty Friedans „Problem ohne Namen”. Und so lange es ein wahrgenommenes Problem mit den Führungsstilen von Frauen gibt, kann keine Frau ein größeres Unternehmen so ruhig, diplomatisch und charmant führen, dass nicht in der gleichen Minute, da sie jemand vor die Tür setzen will, Schimpfwörter wie „streitbar“ „herrisch“ und „Putin-ähnlich“ fallen. Dabei geht es auch überhaupt nicht um Führungsstile, sondern einfach nur um das Messen mit zweierlei Maß.
Sprechen wir also offen und mit Blick auf das Tabu aus, was es für eine Frau in hochrangiger Position heißt, effektiv zu führen: es bedeutet, gelegentlich einem Mann zu widersprechen, so höflich das auch geschehen mag; einen Mann zu überstimmen, so rücksichtsvoll dies auch über die Bühne gehen mag; den strategischen Rat eines Mannes unbeachtet lassen, egal wie taktvoll die Entscheidung formuliert wird; und einen untergebenen Mann, wenn auch noch so einfühlsam, zu sagen, dass seine Leistungen nicht ausreichend sind. Das sind die unerträglichen Augenblicke und die sozialen Schmerzgrenzen, die weibliche Führungskräfte überschreiten müssen. Und das ist das Problem mit dem Führungsstil von Frauen: per Definition bedeutet die Ausübung ihres Jobs, gewisse Typen von Männern zu verärgern.
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In Wahrheit gibt es nämlich nicht die zwei Arten von Frauen, die unterschiedlich führen – die eine zauberhaft sanft und makellos feminin und die andere diktatorisch und unausstehlich. Vielmehr gibt es zwei Arten von Männern: auf der einen Seite diejenigen, die mit solchen, oben beschriebenen Momenten umgehen können und denen es aufgrund ihrer Reife, persönlichen Entwicklung oder einer günstigen familiären Konstellation in ihrer Erziehung gelingt, diese Momente in einem rein professionellen Kontext zu verarbeiten und auf der anderen Seite diejenigen, die, aus welchen Gründen auch immer, das eben nicht können.
Diese zweite genannte Kategorie von Männern hat auch das Problem mit weiblichen Führungsstilen. Dabei handelt es sich um das gut gehütete Geheimnis im Kampf der Frauen in der Arbeitswelt: hinter vorgehaltener Hand bestätigt Ihnen wahrscheinlich jede Frau in führender Position, dass die meisten ihrer männlichen Kollegen kein Problem mit weiblicher Autorität haben. Manche Männer jedoch können diese Autorität einfach nicht ertragen, ungeachtet dessen, wie diese ausgeübt wird.
Wir sollten also damit aufhören, die Führungsstile von Frauen zu untersuchen, so als ob es irgendeinen sicheren Weg beim Überqueren des Minenfelds der Macht gäbe. Vielmehr sollten wir untersuchen, warum es den meisten Männern gelingt, die Autorität einer Frau anzuerkennen, während andere das noch immer nicht können – wie derjenige, der die Vernichtung Abramsons auf der Titelseite in Auftrag gab, und das zu einer Zeit, als es keinen beruflichen Grund gab, sie zu diffamieren.
In Bereichen mit vielen weiblichen Führungskräften, wie im Buchverlagswesen, sind derartige Analysen des weiblichen Führungsstils interessanterweise selten. Das Gleiche gilt für die akademische Verwaltung, ungeachtet dessen, ob es sich dabei um Präsidentinnen von Frauencolleges oder gemischtgeschlechtlichen Colleges und Universitäten handelt. Auch auf Mikroebene nehmen Frauen Führungspositionen ein, wie Entwicklungsprojekte wie die Grameen Bank zeigen und sie übertreffen Männer in vergleichbaren Positionen.
Diese Verlegerinnen, Präsidentinnen und Mikrounternehmerinnen haben allesamt eine Bilanz der Leistungsfähigkeit vorzuweisen. Könnten die konkreten Leistungen dieser Frauen teilweise in der Tatsache begründet sein, dass ihre Anwesenheit als selbstverständlich erachtet wird und dass es ihnen möglich ist, einfach durch Effektivität voranzukommen?
Was, wenn alle Arbeitsplätze so wären? Was, wenn wir uns ein für allemal des unmöglichen Zerrspiegels entledigen, der weibliche Führerschaft als etwas Monströses darstellt? Teilweise hat starke Führerschaft mit dem Vertrauen in sein eigenes Bauchgefühl zu tun. Diese kulturbedingten Missbilligungen rund um die Abgänge von Abramson und Nougayrède stellen sicher, dass weibliche Führungspersonen genau das nicht machen können, ohne dass damit ihre Führungsinstinkte permanent unter die Lupe genommen werden.
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Though Donald Trump attracted more support than ever from working-class voters in the 2024 US presidential election, he has long embraced an agenda that benefits the wealthiest Americans above all. During his second term, however, Trump seems committed not just to serving America’s ultra-rich, but to letting them wield state power themselves.
The reputation of China's longest-serving premier has fared far better than that of the Maoist regime he faithfully served. Zhou's political survival skills enabled him to survive many purges, and even to steer Mao away from potential disasters, but he could not escape the Chairman's cruelty, even at the end of his life.
reflects on the complicated life and legacy of the renowned diplomat who was Mao Zedong’s dutiful lieutenant.
NEW YORK – Innerhalb einer einzigen Woche in diesem Monat verlor Jill Abramson, die erste Frau auf dem Posten des Chefredakteurs der New York Times, erzwungenermaßen ihren Job und Natalie Nougayrède trat als Chefredakteurin der führenden französischen Zeitung Le Monde zurück, wobei sie sich in einem offenen Brief beklagte, in ihren Vorrechten beschnitten worden zu sein. Was sagen uns nun diese Abgänge hochrangiger Mitarbeiterinnen über Frauen in Führungspositionen?
Die Times berichtete über Abramsons Abschied in Form einer mit beißenden Bemerkungen und Seitenhieben gespickten Titelgeschichte von der Art, wie sie nicht einmal der unfähigste hochrangige männliche Redakteur nach seiner Entlassung in der Zeitung zu sehen bekommt. In einem kurzen Kampf um öffentliche Wahrnehmung setzte sich Abramson selbstbewusst zur Wehr, wobei Details über eine Lücke im Ausmaß von über 80.000 Dollar zwischen ihrem und dem Gehalt ihres männlichen Vorgängers in der gleichen Position durchsickerten.
Wie absehbar, machten sich Beobachter auf beiden Seiten des Atlantiks Gedanken über den „Führungsstil“ von Frauen. Dabei wurde Abramson als „streitbar” beschrieben, während man Nougayrède nachsagte, „autoritär“ und „Putin-ähnlich“ zu sein. Weder Freund noch Feind wussten, nebenbei bemerkt, allerdings etwas darüber zu berichten, dass eine der Frauen während ihrer Amtszeit wirtschaftliche Ziele verfehlte. Ihr Stil stand im Zentrum der Berichterstattung – und damit auch der Reaktionen darauf.
Es war bizarr, dass man Abramson - eine prominente Enthüllungsjournalistin, deren Aufgabe es war, Reportern gegen viele Widerstände zu ihren Geschichten zu verhelfen - als „schroff“, aggressiv, hart und „aufbrausend“ anprangerte. Wie hätte sie ihren Job ohne diese Attribute ausüben sollen? Hätte sie die gegenteiligen Eigenschaften an den Tag gelegt, würde man sie als schwache und unentschlossene Führungskraft kritisieren.
Man möchte meinen, dass wir die Doppelmoral hinsichtlich der Wahrnehmung der Führungsstile von Männern und Frauen mittlerweile hinter uns gelassen haben. Doch im Fall von Frauen in Führungspositionen hält sich unglücklicherweise ein „Führungsmythos“ – ähnlich dem „Schönheitsmythos“ oder Betty Friedans „Problem ohne Namen”. Und so lange es ein wahrgenommenes Problem mit den Führungsstilen von Frauen gibt, kann keine Frau ein größeres Unternehmen so ruhig, diplomatisch und charmant führen, dass nicht in der gleichen Minute, da sie jemand vor die Tür setzen will, Schimpfwörter wie „streitbar“ „herrisch“ und „Putin-ähnlich“ fallen. Dabei geht es auch überhaupt nicht um Führungsstile, sondern einfach nur um das Messen mit zweierlei Maß.
Sprechen wir also offen und mit Blick auf das Tabu aus, was es für eine Frau in hochrangiger Position heißt, effektiv zu führen: es bedeutet, gelegentlich einem Mann zu widersprechen, so höflich das auch geschehen mag; einen Mann zu überstimmen, so rücksichtsvoll dies auch über die Bühne gehen mag; den strategischen Rat eines Mannes unbeachtet lassen, egal wie taktvoll die Entscheidung formuliert wird; und einen untergebenen Mann, wenn auch noch so einfühlsam, zu sagen, dass seine Leistungen nicht ausreichend sind. Das sind die unerträglichen Augenblicke und die sozialen Schmerzgrenzen, die weibliche Führungskräfte überschreiten müssen. Und das ist das Problem mit dem Führungsstil von Frauen: per Definition bedeutet die Ausübung ihres Jobs, gewisse Typen von Männern zu verärgern.
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Diese zweite genannte Kategorie von Männern hat auch das Problem mit weiblichen Führungsstilen. Dabei handelt es sich um das gut gehütete Geheimnis im Kampf der Frauen in der Arbeitswelt: hinter vorgehaltener Hand bestätigt Ihnen wahrscheinlich jede Frau in führender Position, dass die meisten ihrer männlichen Kollegen kein Problem mit weiblicher Autorität haben. Manche Männer jedoch können diese Autorität einfach nicht ertragen, ungeachtet dessen, wie diese ausgeübt wird.
Wir sollten also damit aufhören, die Führungsstile von Frauen zu untersuchen, so als ob es irgendeinen sicheren Weg beim Überqueren des Minenfelds der Macht gäbe. Vielmehr sollten wir untersuchen, warum es den meisten Männern gelingt, die Autorität einer Frau anzuerkennen, während andere das noch immer nicht können – wie derjenige, der die Vernichtung Abramsons auf der Titelseite in Auftrag gab, und das zu einer Zeit, als es keinen beruflichen Grund gab, sie zu diffamieren.
In Bereichen mit vielen weiblichen Führungskräften, wie im Buchverlagswesen, sind derartige Analysen des weiblichen Führungsstils interessanterweise selten. Das Gleiche gilt für die akademische Verwaltung, ungeachtet dessen, ob es sich dabei um Präsidentinnen von Frauencolleges oder gemischtgeschlechtlichen Colleges und Universitäten handelt. Auch auf Mikroebene nehmen Frauen Führungspositionen ein, wie Entwicklungsprojekte wie die Grameen Bank zeigen und sie übertreffen Männer in vergleichbaren Positionen.
Diese Verlegerinnen, Präsidentinnen und Mikrounternehmerinnen haben allesamt eine Bilanz der Leistungsfähigkeit vorzuweisen. Könnten die konkreten Leistungen dieser Frauen teilweise in der Tatsache begründet sein, dass ihre Anwesenheit als selbstverständlich erachtet wird und dass es ihnen möglich ist, einfach durch Effektivität voranzukommen?
Was, wenn alle Arbeitsplätze so wären? Was, wenn wir uns ein für allemal des unmöglichen Zerrspiegels entledigen, der weibliche Führerschaft als etwas Monströses darstellt? Teilweise hat starke Führerschaft mit dem Vertrauen in sein eigenes Bauchgefühl zu tun. Diese kulturbedingten Missbilligungen rund um die Abgänge von Abramson und Nougayrède stellen sicher, dass weibliche Führungspersonen genau das nicht machen können, ohne dass damit ihre Führungsinstinkte permanent unter die Lupe genommen werden.
Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier