WASHINGTON, DC – In dem Jahrzehnt seit Beginn der Finanzkrise im August 2007 haben sich die Konturen des globalen Finanzwesens dramatisch verschoben. Der Gesamtwert grenzüberschreitender Kapitalflüsse ist im Verlauf der letzten zehn Jahre um 65% gesunken, ein Rückgang, der insbesondere die steile Verringerung internationaler Bankaktivitäten widerspiegelt.
Die Frage für uns ist, was uns Zahlen wie diese über den aktuellen Zustand des globalen Finanzwesens sagen können. Sind sie ein Beleg, dass die „Finanzglobalisierung“ – der internationale Kapitalverkehr – den Rückwärtsgang eingelegt hat? Und wenn ja, wäre das so schlimm?
Der aktuelle Rückgang spiegelt die größere Risikoscheu und das größere Risikobewusstsein seit dem Platzen der Blase Ende 2007 wider. Doch laut einer neuen Studie des McKinsey Global Institute entwickelt sich dabei eine robustere Version der globalen Finanzintegration.
Vor der Krise nahmen grenzüberschreitende Bankgeschäfte steil zu, weil viele der weltgrößten Banken international expandierten. Dabei vergaben sie mehr Kredite aneinander und investierten in andere ausländische Vermögenswerte. Nach der Schaffung des Euro beispielsweise expandierten die Banken der Eurozone in großem Umfang. Das Volumen der von Banken der Eurozone (und ihren Tochtergesellschaften) gehaltenen ausländischen Forderungen stieg steil von 6,6 Billionen Dollar im Jahr 2000 auf 23,4 Billionen Dollar im Jahr 2007. Am wichtigsten dabei ist, dass der größte Teil dieser Zunahme innerhalb der Eurozone selbst lag, wo sich ein integrierter europäischer Bankenmarkt herausbildete, was einige zu der Ansicht verleitete, dass Länderrisiken aufgrund der Gemeinschaftswährung und gemeinsamer Regeln fast verschwunden wären.
Heute ist klar, dass viele Finanzinstitute einfach dem Herdentrieb folgten, statt umsichtige Geschäftsstrategien umzusetzen. Unter dem schmerzhaften Eindruck der Finanzkrise in den USA und anschließend der Krise in der Eurozone selbst fuhren die wichtigen globalen Banken ihre Auslandspräsenz zurück. Sie stießen einige ihrer Unternehmen ab, stiegen aus anderen aus und ließen fällig werdende Kredite auslaufen. Seit 2007 haben die globalen Banken Vermögenswerte im Volumen von mindestens zwei Billionen Dollar verkauft.
Schweizerische, britische und amerikanische Banken waren alle Teil dieses Rückzugs, aber in seinem Epizentrum befinden sich die Banken der Eurozone. Seit Beginn der Krise haben die Banken der Eurozone ihre ausländischen Forderungen um 7,3 Billionen Dollar bzw. 45% reduziert. Fast die Hälfte davon besteht aus einem schrumpfenden Portfolio bei Kreditnehmern aus der Eurozone, insbesondere Banken. Die Wahrnehmung, dass das Kreditgeschäft innerhalb des Währungsraums quasi ein Inlandsgeschäft sei, hat sich zerschlagen.
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Mit Fortschreiten der Finanzkrise entwickelte sich die Einbeziehung des privaten Sektors durch Schuldenschnitte und Verlustbeteiligungen zu einer bedrohlichen Option. Aus Risikoperspektive wurden die Inlandsmärkte, wo die Banken Größenvorteile und Vorteile bei der Marktkenntnis hatten, vergleichsweise attraktiver. In Deutschland etwa hat sich der Anteil ausländischer Vermögenswerte am Gesamtvermögen bei den drei größten Banken umgekehrt: von 65% im Jahr 2007 auf 33% im Jahr 2016. Dies war nicht bloß eine Frage der Verkleinerung der Gesamtbilanz; das Inlandsvermögen stieg im selben Zeitraum um 70%.
Was sich in der Eurozone und über ihre Grenzen hinweg herausgebildet hat ist ein potenziell stabileres Finanzsystem, zumindest was das Bankwesen angeht. Die Banken wurden verpflichtet, ihr Eigenkapital aufzustocken, und neue Liquiditätsregeln haben die Aufnahme von Fremdkapital und die Anfälligkeit verringert. Stresstests und die Vorbereitung auf eine Abwicklung – die sogenannten „Patientenverfügungen“ des Sektors – haben beträchtliche Negativanreize für Komplexität geschaffen. All dies hat ebenfalls dazu beigetragen, Auslandsaktivitäten unattraktiver zu machen.
Auch die breitere Mischung grenzüberschreitender Kapitalflüsse deutet auf größere Stabilität hin. Während die jährlichen grenzüberschreitenden Kreditflüsse insgesamt um zwei Drittel gefallen sind, haben sich die Direktinvestitionen im Ausland besser gehalten. Sie sind die deutlich stabilste Art von Kapitalflüssen und spiegeln langfristige strategische Unternehmensentscheidungen wider. Eigenkapitalbezogene Positionen (Direktinvestitionen im Ausland plus Portfolioinvestitionen) machen inzwischen 69% der grenzüberschreitenden Kapitalflüsse aus; 2007 waren es 36%.
Eine letzte Messgröße für Stabilität ist, dass die globalen Ungleichgewichte, darunter die Gesamtvermögensübertragungs- und -kapitalbilanzen, schrumpfen. Im Jahr 2016 haben sich diese Ungleichgewichte auf 1,7% des globalen BIP verringert; 2007 waren es 2,5%. Zudem verteilen sich die verbleibenden Defizite und Überschüsse auf eine größere Anzahl von Ländern als vor der Krise. Im Jahr 2005 absorbierten die USA 67% der globalen Nettokapitalflüsse. Bis 2016 hatte sich dieser Anteil halbiert. Auf China seinerseits entfielen 2005 16% des weltweiten Nettokapitalüberschusses; im vergangenen Jahr war es nur noch 1%. Und mit nur wenigen Ausnahmen, wie Deutschland und den Niederlanden, sind die Ungleichgewichte auch innerhalb der Eurozone zurückgegangen. Die Entwicklungsländer sind inzwischen wieder Kapitalimporteure.
All dies sollte nicht zur Selbstzufriedenheit einladen. Ein enger vernetztes globales Finanzsystem birgt unweigerlich eine erhöhte Ansteckungsgefahr. Die Exzesse können immer zurückkehren; tatsächlich weisen die Aktien- und Immobilienmärkte in einigen hochentwickelten Volkswirtschaften trotz bescheidener Wachstumsaussichten Höchststände auf. Auch die Volatilität bei den Bruttokapitalflüssen bietet weiterhin Anlass zur Sorge. Seit 2010 haben ein Drittel der Entwicklungsländer und zwei Drittel der hochentwickelten Länder große Schwankungen bei ihren Gesamtkapitalzuflüssen verzeichnet. Die Kreditflüsse sind besonders instabil; mehr als 60% aller Länder haben ein gewisses Maß an jährlicher Fluktuation erlebt, wobei die mittlere Schwankung bei den hochentwickelten Volkswirtschaften 7,7% vom BIP und bei den Entwicklungsländern 3% vom BIP beträgt.
Einige Beobachter argumentieren, dass man mehr tun sollte, um die Risiken innerhalb des Systems zu beschränken, und soweit sich das Risiko lediglich von den Banken auf die Schattenbanken verlagert hat, haben sie möglicherweise Recht. Aber insgesamt sind überall Anzeichen größerer Robustheit und erhöhter Stabilität zu verzeichnen. Die im Verlauf der letzten zehn Jahre getroffenen Maßnahmen implizieren daher beim Eintreten der nächsten Krise, die mit Sicherheit kommen wird, eine geringere Fragilität.
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America's president subscribes to a brand of isolationism that has waxed and waned throughout US history, but has its roots in the two-century-old Monroe Doctrine. This is bad news for nearly everyone, because it implies acceptance of a world order based on spheres of influence, as envisioned by China and Russia.
hears echoes of the Monroe Doctrine in the US president's threats to acquire Greenland.
Financial markets and official economic indicators over the past few weeks give policymakers around the world plenty to contemplate. Was the recent spike in bond yields a sufficient warning to Donald Trump and his team, or will they still follow through with inflationary stimulus, tariff, and immigration policies?
wonders if recent market signals will keep the new administration’s radicalism in check.
WASHINGTON, DC – In dem Jahrzehnt seit Beginn der Finanzkrise im August 2007 haben sich die Konturen des globalen Finanzwesens dramatisch verschoben. Der Gesamtwert grenzüberschreitender Kapitalflüsse ist im Verlauf der letzten zehn Jahre um 65% gesunken, ein Rückgang, der insbesondere die steile Verringerung internationaler Bankaktivitäten widerspiegelt.
Die Frage für uns ist, was uns Zahlen wie diese über den aktuellen Zustand des globalen Finanzwesens sagen können. Sind sie ein Beleg, dass die „Finanzglobalisierung“ – der internationale Kapitalverkehr – den Rückwärtsgang eingelegt hat? Und wenn ja, wäre das so schlimm?
Der aktuelle Rückgang spiegelt die größere Risikoscheu und das größere Risikobewusstsein seit dem Platzen der Blase Ende 2007 wider. Doch laut einer neuen Studie des McKinsey Global Institute entwickelt sich dabei eine robustere Version der globalen Finanzintegration.
Vor der Krise nahmen grenzüberschreitende Bankgeschäfte steil zu, weil viele der weltgrößten Banken international expandierten. Dabei vergaben sie mehr Kredite aneinander und investierten in andere ausländische Vermögenswerte. Nach der Schaffung des Euro beispielsweise expandierten die Banken der Eurozone in großem Umfang. Das Volumen der von Banken der Eurozone (und ihren Tochtergesellschaften) gehaltenen ausländischen Forderungen stieg steil von 6,6 Billionen Dollar im Jahr 2000 auf 23,4 Billionen Dollar im Jahr 2007. Am wichtigsten dabei ist, dass der größte Teil dieser Zunahme innerhalb der Eurozone selbst lag, wo sich ein integrierter europäischer Bankenmarkt herausbildete, was einige zu der Ansicht verleitete, dass Länderrisiken aufgrund der Gemeinschaftswährung und gemeinsamer Regeln fast verschwunden wären.
Heute ist klar, dass viele Finanzinstitute einfach dem Herdentrieb folgten, statt umsichtige Geschäftsstrategien umzusetzen. Unter dem schmerzhaften Eindruck der Finanzkrise in den USA und anschließend der Krise in der Eurozone selbst fuhren die wichtigen globalen Banken ihre Auslandspräsenz zurück. Sie stießen einige ihrer Unternehmen ab, stiegen aus anderen aus und ließen fällig werdende Kredite auslaufen. Seit 2007 haben die globalen Banken Vermögenswerte im Volumen von mindestens zwei Billionen Dollar verkauft.
Schweizerische, britische und amerikanische Banken waren alle Teil dieses Rückzugs, aber in seinem Epizentrum befinden sich die Banken der Eurozone. Seit Beginn der Krise haben die Banken der Eurozone ihre ausländischen Forderungen um 7,3 Billionen Dollar bzw. 45% reduziert. Fast die Hälfte davon besteht aus einem schrumpfenden Portfolio bei Kreditnehmern aus der Eurozone, insbesondere Banken. Die Wahrnehmung, dass das Kreditgeschäft innerhalb des Währungsraums quasi ein Inlandsgeschäft sei, hat sich zerschlagen.
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Was sich in der Eurozone und über ihre Grenzen hinweg herausgebildet hat ist ein potenziell stabileres Finanzsystem, zumindest was das Bankwesen angeht. Die Banken wurden verpflichtet, ihr Eigenkapital aufzustocken, und neue Liquiditätsregeln haben die Aufnahme von Fremdkapital und die Anfälligkeit verringert. Stresstests und die Vorbereitung auf eine Abwicklung – die sogenannten „Patientenverfügungen“ des Sektors – haben beträchtliche Negativanreize für Komplexität geschaffen. All dies hat ebenfalls dazu beigetragen, Auslandsaktivitäten unattraktiver zu machen.
Auch die breitere Mischung grenzüberschreitender Kapitalflüsse deutet auf größere Stabilität hin. Während die jährlichen grenzüberschreitenden Kreditflüsse insgesamt um zwei Drittel gefallen sind, haben sich die Direktinvestitionen im Ausland besser gehalten. Sie sind die deutlich stabilste Art von Kapitalflüssen und spiegeln langfristige strategische Unternehmensentscheidungen wider. Eigenkapitalbezogene Positionen (Direktinvestitionen im Ausland plus Portfolioinvestitionen) machen inzwischen 69% der grenzüberschreitenden Kapitalflüsse aus; 2007 waren es 36%.
Eine letzte Messgröße für Stabilität ist, dass die globalen Ungleichgewichte, darunter die Gesamtvermögensübertragungs- und -kapitalbilanzen, schrumpfen. Im Jahr 2016 haben sich diese Ungleichgewichte auf 1,7% des globalen BIP verringert; 2007 waren es 2,5%. Zudem verteilen sich die verbleibenden Defizite und Überschüsse auf eine größere Anzahl von Ländern als vor der Krise. Im Jahr 2005 absorbierten die USA 67% der globalen Nettokapitalflüsse. Bis 2016 hatte sich dieser Anteil halbiert. Auf China seinerseits entfielen 2005 16% des weltweiten Nettokapitalüberschusses; im vergangenen Jahr war es nur noch 1%. Und mit nur wenigen Ausnahmen, wie Deutschland und den Niederlanden, sind die Ungleichgewichte auch innerhalb der Eurozone zurückgegangen. Die Entwicklungsländer sind inzwischen wieder Kapitalimporteure.
All dies sollte nicht zur Selbstzufriedenheit einladen. Ein enger vernetztes globales Finanzsystem birgt unweigerlich eine erhöhte Ansteckungsgefahr. Die Exzesse können immer zurückkehren; tatsächlich weisen die Aktien- und Immobilienmärkte in einigen hochentwickelten Volkswirtschaften trotz bescheidener Wachstumsaussichten Höchststände auf. Auch die Volatilität bei den Bruttokapitalflüssen bietet weiterhin Anlass zur Sorge. Seit 2010 haben ein Drittel der Entwicklungsländer und zwei Drittel der hochentwickelten Länder große Schwankungen bei ihren Gesamtkapitalzuflüssen verzeichnet. Die Kreditflüsse sind besonders instabil; mehr als 60% aller Länder haben ein gewisses Maß an jährlicher Fluktuation erlebt, wobei die mittlere Schwankung bei den hochentwickelten Volkswirtschaften 7,7% vom BIP und bei den Entwicklungsländern 3% vom BIP beträgt.
Einige Beobachter argumentieren, dass man mehr tun sollte, um die Risiken innerhalb des Systems zu beschränken, und soweit sich das Risiko lediglich von den Banken auf die Schattenbanken verlagert hat, haben sie möglicherweise Recht. Aber insgesamt sind überall Anzeichen größerer Robustheit und erhöhter Stabilität zu verzeichnen. Die im Verlauf der letzten zehn Jahre getroffenen Maßnahmen implizieren daher beim Eintreten der nächsten Krise, die mit Sicherheit kommen wird, eine geringere Fragilität.
Aus dem Englischen von Jan Doolan