bunde3_Getty Images_world order Getty Images

Für eine Neukonzeption der liberalen internationalen Ordnung

MÜNCHEN – Auch wenn sich die Mächte der Welt in diesen Tagen nicht über vieles einig sind, erkennen die meisten an, dass die Welt an einem kritischen Punkt angelangt ist. In der Nationalen Sicherheitsstrategie von US-Präsident Joe Biden wird dieses Jahrzehnt als das „entscheidende Jahrzehnt“ im Kampf um die Zukunft der internationalen Ordnung bezeichnet. Ähnlich argumentiert der russische Präsident Wladimir Putin, dass die Welt in das „gefährlichste, unvorhersehbarste und gleichzeitig wichtigste Jahrzehnt seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs“ eintritt. Für den deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz markiert die russische Invasion eine Zeitenwende, was bedeutet, „dass die Welt danach nicht mehr dieselbe sein wird wie die Welt davor“.

Doch trotz der weit verbreiteten Auffassung, dass die internationale Ordnung an einem Wendepunkt steht, weiß noch niemand, wohin sie sich entwickelt oder welche Bruchlinien und strategischen Visionen sie in Zukunft am stärksten prägen werden.

Unter den liberalen Demokratien hat Russlands brutaler Krieg gegen seinen demokratischen Nachbarn (und Chinas stillschweigende Unterstützung der russischen Aggression) den Eindruck verstärkt, dass autokratische Revisionisten die ernsthafteste Bedrohung für die regelbasierte internationale Ordnung darstellen. Die Demokratien in der indo-pazifischen Region befürchten, dass „die Ukraine von heute morgen Ostasien sein könnte“, wie es der japanische Premierminister Fumio Kishida ausdrückte. Autokraten versuchen nicht nur, neue Einflusssphären zu schaffen, sie stellen auch neue Herausforderungen für internationale Regeln und Normen in Bezug auf Menschenrechte, globale Infrastruktur und Entwicklung, Energiesicherheit und nukleare Stabilität dar.

https://prosyn.org/FztpghGde