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Eine „echte“ Industriepolitik für alle

WASHINGTON, DC – In der Januarausgabe 1954 von The Atlanticargumentierte John F. Kennedy, damals Juniorsenator für Massachusetts im US-Kongress, dass man die laufende Abwanderung von Branchen aus Neu-England in den Süden des Landes nicht behindern sollte. Er forderte die Regierung stattdessen auf, Kredite und andere Formen der Unterstützung bereitzustellen, um Unternehmen mit Sitz in Neu-England zu unterstützen, Industriearbeiter umzuschulen und lokale Agenturen für industrielle Weiterentwicklung zu finanzieren.

Kennedy erkannte, dass der Staat eine wichtige Rolle dabei zu spielen hatte, sowohl den Süden zu fördern als auch die Entwicklung neuer Industrien in Neu-England zu unterstützen. Heute steht die Industriepolitik nach Jahrzehnten an den Rändern der politischen Debatte erneut auf der Tagesordnung. Neben der chinesischen Initiative „Made in China 2025“, der vor kurzem veröffentlichten industriellen Strategie Großbritanniens und einem neuen deutsch-französischen politischen Manifest haben auch die Länder des Golf-Kooperationsrates Strategien zur Entwicklung von Sektoren außerhalb der Ölbranche entwickelt, und viele Entwicklungsländer verfolgen ähnliche Diversifizierungsbemühungen.

Diese Politik ist eine Reaktion auf den Druck durch den internationalen Wettbewerb, eine auf breiter Front zurückgehende Produktivitätszunahme, Arbeitsplatzverluste in der Industrie und zunehmende Ungleichheit. Doch hat die Industriepolitik schon immer eine intensive Debatte unter Politikern und Wissenschaftlern ausgelöst. Ihre Kritiker argumentieren, dass derartige Strategien in vielen Ländern nicht funktioniert und zu Vetternwirtschaft und Korruption geführt hätten. Ein besserer Ansatz bestünde darin, die Rolle des Staates innerhalb der Wirtschaft zurückzufahren, das Geschäftsumfeld zu verbessern und in Infrastruktur und Bildung zu investieren. Unter günstigen Umständen würden Firmen und Unternehmer hervortreten und sich vermehren. Die realweltlichen Fehlschläge der Industriepolitik in Lateinamerika und anderswo bestätigen die Berechtigung dieser Sichtweise.

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