MÜNCHEN – Im Februar 2020 kündigte die Europäische Kommission an, sie werde einen Plan zur Reform der wirtschaftspolitischen Steuerung der Eurozone vorlegen, einschließlich der Regeln für die Staatsverschuldung. Wegen der Covid-19-Pandemie war das Projekt lange verschoben worden. Jetzt liegt es wieder auf dem Tisch, direkt neben der Forderung, den Regierungen mehr Spielraum zu geben, um beispielsweise Ausgaben für den Klimaschutz zu finanzieren. Angesichts hoher Staatsverschuldung und der steigenden Inflation sollte dieser Weg nicht eingeschlagen werden. Die Koordinierung der Fiskalpolitik sollte über Umschichtung der öffentlichen Ausgaben erfolgen. Damit lässt sich die Qualität statt der Quantität der Ausgaben erhöhen.
Jede Reform der Fiskalregeln in der Eurozone muss berücksichtigen, dass sich die wirtschaftlichen Bedingungen in Europa in den letzten Jahren verschlechtert haben. Die Pandemie hat die Staatsverschuldung in Italien auf über 150 % des BIP und in Griechenland auf 185 % des BIP ansteigen lassen. Wenn man die Schulden des Next Generation Pandemie-Rettungsfonds der Europäischen Union einbezieht, steigt die Quote auf 155 % in Italien und 190 % in Griechenland.
Darüber hinaus verzögern die steigenden Energiepreise und der Krieg in der Ukraine den Aufschwung und belasten die öffentlichen Finanzen in Europa weiter. Viele Länder ergreifen politische Maßnahmen, die bedürftigen Bürgern bei der Bewältigung der steigenden Energiekosten helfen sollen, und erhöhen die Verteidigungsausgaben. Deutschland hat z.B. kürzlich entschieden, zusätzlich 100 Milliarden Euro (107 Milliarden Dollar) für die Verteidigung auszugeben, vollständig finanziert durch neue Staatsschulden.
Wie sollten vor diesem Hintergrund die Fiskalregeln in Europa reformiert werden? Die öffentliche Debatte konzentriert sich auf die Obergrenzen eines jährlichen Haushaltsdefizits von 3% des BIP und einer Staatsverschuldung von 60% des BIP. Eine populäre Idee ist es, die Grenze für die Staatsverschuldung auf 90% oder 100% des BIP anzuheben. Die Begründung, lautet, dass viele Länder der Eurozone keine realistische Chance haben, ihre Verschuldung in absehbarer Zeit auf 60% des BIP zu senken.
Andere Vorschläge nehmen öffentliche Investitionen oder Ausgaben von der Obergrenze für Haushaltsdefizite aus, die dem Klima zugutekommen. Generell argumentieren Kritiker, dass die Regeln zu unflexibel seien, weil sie die Situation der einzelnen Mitgliedstaaten nicht angemessen berücksichtigen und den Zweck, für den Schulden verwendet werden.
Diese Kritik übersieht, dass die Schuldenstands- und Haushaltsdefizitgrenzen von 60 und 3 Prozent für die Überwachung und Koordinierung der makroökonomischen Politik in der Eurozone längst nur noch symbolische Bedeutung haben. Das Herzstück der wirtschaftspolitischen Steuerung in Europa sind die Verhandlungen im Rahmen des "Europäischen Semesters". Die Mitgliedstaaten berichten regelmäßig über ihre wirtschafts- und finanzpolitischen Pläne. Die Kommission spricht daraufhin länderspezifische Empfehlungen aus.
At a time of escalating global turmoil, there is an urgent need for incisive, informed analysis of the issues and questions driving the news – just what PS has always provided.
Subscribe to Digital or Digital Plus now to secure your discount.
Subscribe Now
Die derzeitigen Regeln sind zwar nicht zu starr, haben aber zwei andere Schwächen. Erstens ist der auf ihnen basierende Prozess der Haushaltsüberwachung so komplex geworden, dass die Öffentlichkeit ihn nicht mehr versteht. Folglich gibt es wenig öffentlichen Druck auf die nationalen Regierungen, die Regeln einzuhalten.
Zweitens entscheiden am Ende die nationalen Regierungen und Parlamente über Wirtschaftspolitik und Staatsverschuldung. Der jüngste Umsetzungsbericht aus dem Vorkrisenjahr 2019 zeigt, dass nur eine Minderheit der Länder der Eurozone die Empfehlungen der Kommission befolgt.
Die europäischen Regeln für die öffentliche Verschuldung mögen einige Unzulänglichkeiten aufweisen. Dennoch würde ihre völlige Abschaffung bedeuten, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Die Regeln sind nach wie vor ein nützlicher Bezugspunkt, um nationale Politiken zu diskutieren und zu koordinieren. Sie abzuschaffen würde die Regierungen dazu ermutigen, bei ihren Steuer- und Ausgabenentscheidungen noch weniger auf gesamteuropäische Überlegungen zur fiskalischen Nachhaltigkeit zu achten.
Es wird für die Staaten der Eurozone nicht einfach werden, sich in den kommenden Jahren über die grundsätzliche Ausrichtung der Finanzpolitik zu einigen. Mehrere Faktoren sprechen jedoch dagegen, den Spielraum der Regierungen bei der Aufnahme von Schulden zu erweitern, um Herausforderungen wie den Klimawandel, die Digitalisierung und den Krieg in der Ukraine zu bewältigen.
Erstens zeigt die steigende Inflation, dass sich die Finanzpolitiker nicht mehr darauf verlassen können, dass Produktionskapazitäten im Überfluss vorhanden sind, um Projekte umzusetzen, die durch höhere Staatsausgaben finanziert werden, anders als noch vor einigen Jahren. Da das Angebot heute beschränkt ist, verdrängen höhere öffentliche Ausgaben private Ausgaben stärker als früher. Deshalb tragen öffentliche Investitionen weniger zum Wirtschaftswachstum bei.
Zweitens ist die Ära der lockeren Geldpolitik vorerst zu Ende. Die Inflation steigt derzeit sogar schneller als die nominalen Zinssätze. Wenn die Zentralbanken die Inflation ernsthaft bekämpfen wollen, müssen sie die Realzinsen deutlich anheben. Dies wird die Staatsverschuldung verteuern. Zudem haben die Zentralbanken weniger Möglichkeiten, hoch verschuldete Länder durch den Kauf von Staatsanleihen zu stützen, wenn sie sich auf die Bekämpfung der Inflation konzentrieren. Es wird also wieder wichtiger, die privaten Anleger davon zu überzeugen, dass die Staatsverschuldung unter Kontrolle bleiben wird.
Drittens wäre es akzeptabel, zusätzliche Schulden für die Finanzierung klimafreundlicher Investitionen aufzunehmen, wenn diese Investitionen in Zukunft zu höheren Steuereinnahmen führten. Viele solcher Projekte ersetzen jedoch lediglich vorhandenes Kapital. Das gilt für die Ausstattung öffentlicher Gebäude mit neuen Heizsystemen, die mit Strom statt mit Öl betrieben werden, genauso wie für die schrittweise Abschaffung von Autos und Lastwagen mit Verbrennungsmotoren zugunsten von Elektrofahrzeugen, oder für den Ersatz von Kohlekraftwerken durch Windturbinen. Dies alles sind wichtige Ausgaben, die zur Eindämmung des Klimawandels beitragen. Da sie aber kein zusätzliches Wirtschaftswachstum und keine zusätzlichen Steuereinnahmen generieren, sollten sie nicht dauerhaft durch Schulden finanziert werden.
Die zentrale Aufgabe der Fiskalpolitik in der Eurozone besteht darin, die Ausgaben neu zu strukturieren. Sie sollte öffentliche Ausgaben, die zwar vielleicht nützlich, aber nicht wirklich prioritär sind, reduzieren oder zumindest einfrieren. Im Rahmen der fiskalpolitischen Koordinierung ist die Struktur und damit die Qualität der öffentlichen Finanzen bereits ein relevantes Kriterium. Es sollte künftig stärker gewichtet werden. Die anstehende Reform der wirtschaftspolitischen Steuerung in der Eurozone sollte nicht darauf abzielen, die fiskalischen Regeln zu ändern, sondern die Art und Weise, in der sie gehandhabt werden.
To have unlimited access to our content including in-depth commentaries, book reviews, exclusive interviews, PS OnPoint and PS The Big Picture, please subscribe
US President Donald Trump’s import tariffs have triggered a wave of retaliatory measures, setting off a trade war with key partners and raising fears of a global downturn. But while Trump’s protectionism and erratic policy shifts could have far-reaching implications, the greatest victim is likely to be the United States itself.
warns that the new administration’s protectionism resembles the strategy many developing countries once tried.
It took a pandemic and the threat of war to get Germany to dispense with the two taboos – against debt and monetary financing of budgets – that have strangled its governments for decades. Now, it must join the rest of Europe in offering a positive vision of self-sufficiency and an “anti-fascist economic policy.”
welcomes the apparent departure from two policy taboos that have strangled the country's investment.
MÜNCHEN – Im Februar 2020 kündigte die Europäische Kommission an, sie werde einen Plan zur Reform der wirtschaftspolitischen Steuerung der Eurozone vorlegen, einschließlich der Regeln für die Staatsverschuldung. Wegen der Covid-19-Pandemie war das Projekt lange verschoben worden. Jetzt liegt es wieder auf dem Tisch, direkt neben der Forderung, den Regierungen mehr Spielraum zu geben, um beispielsweise Ausgaben für den Klimaschutz zu finanzieren. Angesichts hoher Staatsverschuldung und der steigenden Inflation sollte dieser Weg nicht eingeschlagen werden. Die Koordinierung der Fiskalpolitik sollte über Umschichtung der öffentlichen Ausgaben erfolgen. Damit lässt sich die Qualität statt der Quantität der Ausgaben erhöhen.
Jede Reform der Fiskalregeln in der Eurozone muss berücksichtigen, dass sich die wirtschaftlichen Bedingungen in Europa in den letzten Jahren verschlechtert haben. Die Pandemie hat die Staatsverschuldung in Italien auf über 150 % des BIP und in Griechenland auf 185 % des BIP ansteigen lassen. Wenn man die Schulden des Next Generation Pandemie-Rettungsfonds der Europäischen Union einbezieht, steigt die Quote auf 155 % in Italien und 190 % in Griechenland.
Darüber hinaus verzögern die steigenden Energiepreise und der Krieg in der Ukraine den Aufschwung und belasten die öffentlichen Finanzen in Europa weiter. Viele Länder ergreifen politische Maßnahmen, die bedürftigen Bürgern bei der Bewältigung der steigenden Energiekosten helfen sollen, und erhöhen die Verteidigungsausgaben. Deutschland hat z.B. kürzlich entschieden, zusätzlich 100 Milliarden Euro (107 Milliarden Dollar) für die Verteidigung auszugeben, vollständig finanziert durch neue Staatsschulden.
Wie sollten vor diesem Hintergrund die Fiskalregeln in Europa reformiert werden? Die öffentliche Debatte konzentriert sich auf die Obergrenzen eines jährlichen Haushaltsdefizits von 3% des BIP und einer Staatsverschuldung von 60% des BIP. Eine populäre Idee ist es, die Grenze für die Staatsverschuldung auf 90% oder 100% des BIP anzuheben. Die Begründung, lautet, dass viele Länder der Eurozone keine realistische Chance haben, ihre Verschuldung in absehbarer Zeit auf 60% des BIP zu senken.
Andere Vorschläge nehmen öffentliche Investitionen oder Ausgaben von der Obergrenze für Haushaltsdefizite aus, die dem Klima zugutekommen. Generell argumentieren Kritiker, dass die Regeln zu unflexibel seien, weil sie die Situation der einzelnen Mitgliedstaaten nicht angemessen berücksichtigen und den Zweck, für den Schulden verwendet werden.
Diese Kritik übersieht, dass die Schuldenstands- und Haushaltsdefizitgrenzen von 60 und 3 Prozent für die Überwachung und Koordinierung der makroökonomischen Politik in der Eurozone längst nur noch symbolische Bedeutung haben. Das Herzstück der wirtschaftspolitischen Steuerung in Europa sind die Verhandlungen im Rahmen des "Europäischen Semesters". Die Mitgliedstaaten berichten regelmäßig über ihre wirtschafts- und finanzpolitischen Pläne. Die Kommission spricht daraufhin länderspezifische Empfehlungen aus.
Winter Sale: Save 40% on a new PS subscription
At a time of escalating global turmoil, there is an urgent need for incisive, informed analysis of the issues and questions driving the news – just what PS has always provided.
Subscribe to Digital or Digital Plus now to secure your discount.
Subscribe Now
Die derzeitigen Regeln sind zwar nicht zu starr, haben aber zwei andere Schwächen. Erstens ist der auf ihnen basierende Prozess der Haushaltsüberwachung so komplex geworden, dass die Öffentlichkeit ihn nicht mehr versteht. Folglich gibt es wenig öffentlichen Druck auf die nationalen Regierungen, die Regeln einzuhalten.
Zweitens entscheiden am Ende die nationalen Regierungen und Parlamente über Wirtschaftspolitik und Staatsverschuldung. Der jüngste Umsetzungsbericht aus dem Vorkrisenjahr 2019 zeigt, dass nur eine Minderheit der Länder der Eurozone die Empfehlungen der Kommission befolgt.
Die europäischen Regeln für die öffentliche Verschuldung mögen einige Unzulänglichkeiten aufweisen. Dennoch würde ihre völlige Abschaffung bedeuten, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Die Regeln sind nach wie vor ein nützlicher Bezugspunkt, um nationale Politiken zu diskutieren und zu koordinieren. Sie abzuschaffen würde die Regierungen dazu ermutigen, bei ihren Steuer- und Ausgabenentscheidungen noch weniger auf gesamteuropäische Überlegungen zur fiskalischen Nachhaltigkeit zu achten.
Es wird für die Staaten der Eurozone nicht einfach werden, sich in den kommenden Jahren über die grundsätzliche Ausrichtung der Finanzpolitik zu einigen. Mehrere Faktoren sprechen jedoch dagegen, den Spielraum der Regierungen bei der Aufnahme von Schulden zu erweitern, um Herausforderungen wie den Klimawandel, die Digitalisierung und den Krieg in der Ukraine zu bewältigen.
Erstens zeigt die steigende Inflation, dass sich die Finanzpolitiker nicht mehr darauf verlassen können, dass Produktionskapazitäten im Überfluss vorhanden sind, um Projekte umzusetzen, die durch höhere Staatsausgaben finanziert werden, anders als noch vor einigen Jahren. Da das Angebot heute beschränkt ist, verdrängen höhere öffentliche Ausgaben private Ausgaben stärker als früher. Deshalb tragen öffentliche Investitionen weniger zum Wirtschaftswachstum bei.
Zweitens ist die Ära der lockeren Geldpolitik vorerst zu Ende. Die Inflation steigt derzeit sogar schneller als die nominalen Zinssätze. Wenn die Zentralbanken die Inflation ernsthaft bekämpfen wollen, müssen sie die Realzinsen deutlich anheben. Dies wird die Staatsverschuldung verteuern. Zudem haben die Zentralbanken weniger Möglichkeiten, hoch verschuldete Länder durch den Kauf von Staatsanleihen zu stützen, wenn sie sich auf die Bekämpfung der Inflation konzentrieren. Es wird also wieder wichtiger, die privaten Anleger davon zu überzeugen, dass die Staatsverschuldung unter Kontrolle bleiben wird.
Drittens wäre es akzeptabel, zusätzliche Schulden für die Finanzierung klimafreundlicher Investitionen aufzunehmen, wenn diese Investitionen in Zukunft zu höheren Steuereinnahmen führten. Viele solcher Projekte ersetzen jedoch lediglich vorhandenes Kapital. Das gilt für die Ausstattung öffentlicher Gebäude mit neuen Heizsystemen, die mit Strom statt mit Öl betrieben werden, genauso wie für die schrittweise Abschaffung von Autos und Lastwagen mit Verbrennungsmotoren zugunsten von Elektrofahrzeugen, oder für den Ersatz von Kohlekraftwerken durch Windturbinen. Dies alles sind wichtige Ausgaben, die zur Eindämmung des Klimawandels beitragen. Da sie aber kein zusätzliches Wirtschaftswachstum und keine zusätzlichen Steuereinnahmen generieren, sollten sie nicht dauerhaft durch Schulden finanziert werden.
Die zentrale Aufgabe der Fiskalpolitik in der Eurozone besteht darin, die Ausgaben neu zu strukturieren. Sie sollte öffentliche Ausgaben, die zwar vielleicht nützlich, aber nicht wirklich prioritär sind, reduzieren oder zumindest einfrieren. Im Rahmen der fiskalpolitischen Koordinierung ist die Struktur und damit die Qualität der öffentlichen Finanzen bereits ein relevantes Kriterium. Es sollte künftig stärker gewichtet werden. Die anstehende Reform der wirtschaftspolitischen Steuerung in der Eurozone sollte nicht darauf abzielen, die fiskalischen Regeln zu ändern, sondern die Art und Weise, in der sie gehandhabt werden.