KOPENHAGEN/BOSTON – Europas schwindende Wettbewerbsfähigkeit rückt erneut in den Fokus. Die Lösung dieses seit langem bestehenden Problems erfordert unter anderem höhere Investitionen in die Innovationsfähigkeit der europäischen Wirtschaft. Damit dies gelingt, fordern die ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten Mario Draghi und Enrico Letta in ihren jüngst erschienenenBerichten sowie der französische Präsident Emmanuel Macron in einer Rede im April den Aufbau einer europäischen Version der US-amerikanischen Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA). Dieser Forderung schloss sich zuletzt eine unabhängige Expertengruppe unter der Leitung von Manuel Heitor in der vorläufigen Bewertung der EU-Initiative „Horizont Europa“ an.
Die Innovationsagenda der EU erscheint unterdessen noch dringlicher: Die russische Invasion in der Ukraine hat die Notwendigkeit einer Stärkung der verteidigungsindustriellen Basis der Union deutlich gemacht, und der globale Wettlauf um künstliche Intelligenz hat gezeigt, wie wichtig es ist, in der zivilen Spitzentechnologie führend zu sein. Darüber hinaus sind diese beiden Bereiche zunehmend miteinander verbunden, wie es auch bei vielen der größten Errungenschaften der DARPA der Fall war, von GPS über Siri (Apples persönlicher digitaler Assistent) bis hin zu Drohnen.
Um den Erfolg der DARPA in der EU zu wiederholen, muss man verstehen, wie das amerikanische Original wirklich funktioniert. Die DARPA wurde als Reaktion auf den Start des Satelliten Sputnik durch die Sowjetunion im Jahr 1957 gegründet. Sie gibt ihren Mitarbeitenden die Freiheit, auch weit hergeholten Ideen nachzugehen. Am wichtigsten ist vielleicht, dass die DARPA ein revolutionäres Forschungsinvestitionsmodell anwendet, das sich von den derzeitigen europäischen Praktiken unterscheidet.
Zunächst einmal verfolgt DARPA einen gezielten Ansatz zur Lösung spezifischer Probleme im Zusammenhang mit der Verteidigung und Sicherheit der USA. In ihrem Congressional Overview 2021 betonte die Agentur beispielsweise ihren strategischen Fokus auf Landesverteidigung, Abschreckung von Gegnern und Förderung der Grundlagenforschung zur Lösung von Herausforderungen im Sicherheitsbereich. Im Gegensatz dazu arbeitet ARIA derzeit in sieben so genannten Opportunity Spaces, die von Präzisions-Neurotechnologien bis hin zu Mathematik für sichere KI reichen. Und während sich SPRIN-D auf eine geringere Anzahl von Themen konzentriert – wie etwa kontinuierliche Bioproduktionsverfahren, Langzeit-Energiespeicherung und Carbon-to-Value-Anwendungen – hat keines davon etwas mit Verteidigung zu tun.
Die Erfolge der DARPA sind auch auf ihre Programmverantwortlichen zurückzuführen, die über ein hohes Maß an Entscheidungsautonomie verfügen. Nach Identifizierung einer bestimmten Notwendigkeit oder einer Herausforderung innerhalb der Verteidigungsmission definieren sie einen technologischen Leerraum und wählen Projekte aus, die diesen füllen könnten. Während die britische ARIA diesen Ansatz erfolgreich übernommen hat, verlassen sich europäische Finanzierungsagenturen weiterhin auf ein institutionalisiertes Peer-Review-System sowie langwierige und umständliche Auswahlverfahren. Dies verlangsamt das Tempo der Innovation und schließt einige der innovativsten Ideen aus, wodurch die EU-Agenturen hinter ihren US-amerikanischen Pendants zurückbleiben.
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Zusätzlich zu ihrem enger gefassten Verteidigungsbereich verfügt die DARPA über ein viel umfassenderes Budget – nämlich mehr als 4 Milliarden US-Dollar pro Jahr. Im Gegensatz dazu vergab die EIC im Jahr 2023 insgesamt 159 Millionen Euro für 43 neue Projekte in fünf großen Aufgabenbereichen. SPRIN-D verfolgt einen gezielteren Ansatz und vergibt Mittel in Höhe von 500.000 bis 3 Millionen Euro an eine kleinere Anzahl von Initiativen. Auch die Zuschüsse für ARIA bewegen sich in einem Rahmen von 400.000 bis 10 Millionen Pfund (12 Millionen Euro), aber die Gesamtfinanzierung – weniger als 1 Milliarde Pfund über mehrere Jahre – ist zu knapp bemessen, um in den vielen Forschungsbereichen eine nennenswerte Wirkung zu erzielen.
Ein weiterer wichtiger Erfolgsfaktor der DARPA-Projektmanager bei der Umsetzung mutiger und groß angelegter Vorhaben besteht darin, dass sie weniger vorgefasste Meinungen darüber haben, welche Forschenden finanziert werden sollten und wie diese die Mittel auszugeben haben. Im Jahr 2020 gingen mehr als 60 Prozent der DARPA-Fördermittel an die Industrie, während Universitäten und Hochschulen weniger als 20 Prozent erhielten. Die meisten öffentlichen Innovationsprogramme in Europa konzentrieren sich jedoch auf den Bereich Wissenschaft, und politische Prioritäten beeinflussen oft die Zweckbindung der Mittel.
Darüber hinaus nutzen die Projektmanager der DARPA nach den ersten Zuteilungen Etappenziele, um die Mittel auf leistungsstarke Projekte umzuverteilen und Projekte zu beenden, die die Erwartungen nicht erfüllt haben. Dieser Ansatz wurde zum Markenzeichen der Agentur und bürgt dafür, dass die verfügbaren Ressourcen am effizientesten genutzt werden. Europäische Geldgeber hingegen vergeben Finanzmittel mit möglichst geringem organisatorischem Aufwand und ziehen die Finanzierung eines Projekts, das seine Ziele nicht erreicht, auch nicht zurück.
Die Argumente für eine europäische DARPA überzeugen nach wie vor. Um jedoch den Erfolg der amerikanischen Behörde im Bereich der Förderung technologischer Innovationen zu kopieren, sollten sich die politischen Entscheidungsträger der EU auf die Stärkung der kollektiven Sicherheit konzentrieren – darunter auch auf den Bereich Verteidigung, der auf dem Kontinent unterfinanziert ist. Zwar haben SPRIN-D, ARIA und das EIC für einige Verbesserungen in der Forschungsfinanzierung gesorgt, indem sie ihren Partnern Freiheit und Kontrolle einräumen, doch gehen diese Maßnahmen nicht weit genug, weder in Bezug auf die Ressourcenzuteilung noch hinsichtlich des Managements nach der Auftragsvergabe. Die EU kann und sollte ihre eigene Version der DARPA entwickeln, aber erst, wenn sie verstanden hat, auf welchen Säulen das amerikanische Original beruht.
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US President Donald Trump’s import tariffs have triggered a wave of retaliatory measures, setting off a trade war with key partners and raising fears of a global downturn. But while Trump’s protectionism and erratic policy shifts could have far-reaching implications, the greatest victim is likely to be the United States itself.
warns that the new administration’s protectionism resembles the strategy many developing countries once tried.
It took a pandemic and the threat of war to get Germany to dispense with the two taboos – against debt and monetary financing of budgets – that have strangled its governments for decades. Now, it must join the rest of Europe in offering a positive vision of self-sufficiency and an “anti-fascist economic policy.”
welcomes the apparent departure from two policy taboos that have strangled the country's investment.
KOPENHAGEN/BOSTON – Europas schwindende Wettbewerbsfähigkeit rückt erneut in den Fokus. Die Lösung dieses seit langem bestehenden Problems erfordert unter anderem höhere Investitionen in die Innovationsfähigkeit der europäischen Wirtschaft. Damit dies gelingt, fordern die ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten Mario Draghi und Enrico Letta in ihren jüngst erschienenenBerichten sowie der französische Präsident Emmanuel Macron in einer Rede im April den Aufbau einer europäischen Version der US-amerikanischen Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA). Dieser Forderung schloss sich zuletzt eine unabhängige Expertengruppe unter der Leitung von Manuel Heitor in der vorläufigen Bewertung der EU-Initiative „Horizont Europa“ an.
Die Idee ist allerdings nicht neu. Macron brachte das Thema erstmals 2017 aufs Tapet. Darüber hinaus haben Ökonominnen und Ökonomen Vorschläge für die Einrichtung europäischer Pendants zur DARPA gemacht, um eine industrielle Wiederbelebung in Deutschland anzustoßen und den grünen Übergang zu beschleunigen. Tatsächlich bestehen in Europa bereits mehrere derartiger Institutionen, darunter der Europäische Innovationsrat (EIC), die Bundesagentur für Sprunginnovationen (SPRIN-D) in Deutschland und die Advanced Research and Invention Agency (ARIA) im Vereinigten Königreich. Bisher ist es jedoch noch keiner dieser Institutionen gelungen, das volle Potenzial einer europäischen DARPA auszuschöpfen.
Die Innovationsagenda der EU erscheint unterdessen noch dringlicher: Die russische Invasion in der Ukraine hat die Notwendigkeit einer Stärkung der verteidigungsindustriellen Basis der Union deutlich gemacht, und der globale Wettlauf um künstliche Intelligenz hat gezeigt, wie wichtig es ist, in der zivilen Spitzentechnologie führend zu sein. Darüber hinaus sind diese beiden Bereiche zunehmend miteinander verbunden, wie es auch bei vielen der größten Errungenschaften der DARPA der Fall war, von GPS über Siri (Apples persönlicher digitaler Assistent) bis hin zu Drohnen.
Um den Erfolg der DARPA in der EU zu wiederholen, muss man verstehen, wie das amerikanische Original wirklich funktioniert. Die DARPA wurde als Reaktion auf den Start des Satelliten Sputnik durch die Sowjetunion im Jahr 1957 gegründet. Sie gibt ihren Mitarbeitenden die Freiheit, auch weit hergeholten Ideen nachzugehen. Am wichtigsten ist vielleicht, dass die DARPA ein revolutionäres Forschungsinvestitionsmodell anwendet, das sich von den derzeitigen europäischen Praktiken unterscheidet.
Zunächst einmal verfolgt DARPA einen gezielten Ansatz zur Lösung spezifischer Probleme im Zusammenhang mit der Verteidigung und Sicherheit der USA. In ihrem Congressional Overview 2021 betonte die Agentur beispielsweise ihren strategischen Fokus auf Landesverteidigung, Abschreckung von Gegnern und Förderung der Grundlagenforschung zur Lösung von Herausforderungen im Sicherheitsbereich. Im Gegensatz dazu arbeitet ARIA derzeit in sieben so genannten Opportunity Spaces, die von Präzisions-Neurotechnologien bis hin zu Mathematik für sichere KI reichen. Und während sich SPRIN-D auf eine geringere Anzahl von Themen konzentriert – wie etwa kontinuierliche Bioproduktionsverfahren, Langzeit-Energiespeicherung und Carbon-to-Value-Anwendungen – hat keines davon etwas mit Verteidigung zu tun.
Die Erfolge der DARPA sind auch auf ihre Programmverantwortlichen zurückzuführen, die über ein hohes Maß an Entscheidungsautonomie verfügen. Nach Identifizierung einer bestimmten Notwendigkeit oder einer Herausforderung innerhalb der Verteidigungsmission definieren sie einen technologischen Leerraum und wählen Projekte aus, die diesen füllen könnten. Während die britische ARIA diesen Ansatz erfolgreich übernommen hat, verlassen sich europäische Finanzierungsagenturen weiterhin auf ein institutionalisiertes Peer-Review-System sowie langwierige und umständliche Auswahlverfahren. Dies verlangsamt das Tempo der Innovation und schließt einige der innovativsten Ideen aus, wodurch die EU-Agenturen hinter ihren US-amerikanischen Pendants zurückbleiben.
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Zusätzlich zu ihrem enger gefassten Verteidigungsbereich verfügt die DARPA über ein viel umfassenderes Budget – nämlich mehr als 4 Milliarden US-Dollar pro Jahr. Im Gegensatz dazu vergab die EIC im Jahr 2023 insgesamt 159 Millionen Euro für 43 neue Projekte in fünf großen Aufgabenbereichen. SPRIN-D verfolgt einen gezielteren Ansatz und vergibt Mittel in Höhe von 500.000 bis 3 Millionen Euro an eine kleinere Anzahl von Initiativen. Auch die Zuschüsse für ARIA bewegen sich in einem Rahmen von 400.000 bis 10 Millionen Pfund (12 Millionen Euro), aber die Gesamtfinanzierung – weniger als 1 Milliarde Pfund über mehrere Jahre – ist zu knapp bemessen, um in den vielen Forschungsbereichen eine nennenswerte Wirkung zu erzielen.
Ein weiterer wichtiger Erfolgsfaktor der DARPA-Projektmanager bei der Umsetzung mutiger und groß angelegter Vorhaben besteht darin, dass sie weniger vorgefasste Meinungen darüber haben, welche Forschenden finanziert werden sollten und wie diese die Mittel auszugeben haben. Im Jahr 2020 gingen mehr als 60 Prozent der DARPA-Fördermittel an die Industrie, während Universitäten und Hochschulen weniger als 20 Prozent erhielten. Die meisten öffentlichen Innovationsprogramme in Europa konzentrieren sich jedoch auf den Bereich Wissenschaft, und politische Prioritäten beeinflussen oft die Zweckbindung der Mittel.
Darüber hinaus nutzen die Projektmanager der DARPA nach den ersten Zuteilungen Etappenziele, um die Mittel auf leistungsstarke Projekte umzuverteilen und Projekte zu beenden, die die Erwartungen nicht erfüllt haben. Dieser Ansatz wurde zum Markenzeichen der Agentur und bürgt dafür, dass die verfügbaren Ressourcen am effizientesten genutzt werden. Europäische Geldgeber hingegen vergeben Finanzmittel mit möglichst geringem organisatorischem Aufwand und ziehen die Finanzierung eines Projekts, das seine Ziele nicht erreicht, auch nicht zurück.
Die Argumente für eine europäische DARPA überzeugen nach wie vor. Um jedoch den Erfolg der amerikanischen Behörde im Bereich der Förderung technologischer Innovationen zu kopieren, sollten sich die politischen Entscheidungsträger der EU auf die Stärkung der kollektiven Sicherheit konzentrieren – darunter auch auf den Bereich Verteidigung, der auf dem Kontinent unterfinanziert ist. Zwar haben SPRIN-D, ARIA und das EIC für einige Verbesserungen in der Forschungsfinanzierung gesorgt, indem sie ihren Partnern Freiheit und Kontrolle einräumen, doch gehen diese Maßnahmen nicht weit genug, weder in Bezug auf die Ressourcenzuteilung noch hinsichtlich des Managements nach der Auftragsvergabe. Die EU kann und sollte ihre eigene Version der DARPA entwickeln, aber erst, wenn sie verstanden hat, auf welchen Säulen das amerikanische Original beruht.
Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier