pei90_ CATHERINE HENRIETTEAFP via Getty Images_gorbachev deng CATHERINE HENRIETTE/AFP via Getty Images

Chinas Gorbatschow-Phobie

CLAREMONT, KALIFORNIEN – Es gab eine Zeit, in der wohlmeinende, wenn nicht gar hoffnungsvolle Westler dachten, dass „Chinas Gorbatschow“ das höchste Kompliment sei, das sie einem chinesischen Führer machen könnten, der wie ein Reformer erschien. Doch als Zhu Rongji, der für seine geradlinige Art bekannte Bürgermeister von Shanghai, im Juli 1990 die USA besuchte und von einigen Amerikanern so genannt wurde, war der künftige Premierminister nicht amüsiert. „Ich bin nicht Chinas Gorbatschow“, schnauzte Zhu Berichten zufolge. „Ich bin Chinas Zhu Rongji.“

Wir werden nie erfahren, was Zhu, der in den 1990er-Jahren für die Durchführung wichtiger Reformen und die erfolgreichen Bemühungen Chinas um den Beitritt zur Welthandelsorganisation weithin bewundert wurde, wirklich über Michail Gorbatschow, den letzten sowjetischen Führer, dachte, der am 30. August verstarb. Was wir mit Sicherheit wissen, ist, dass Gorbatschow in den Augen der meisten Führer der Kommunistischen Partei Chinas das unverzeihliche Verbrechen begangen hat, den Zusammenbruch der Sowjetunion verursacht zu haben.

Die Verunglimpfung von Gorbatschow durch die KPCh ergibt auf der praktischen Ebene wenig Sinn. Die chinesisch-sowjetischen Beziehungen verbesserten sich während seiner sechsjährigen Regierungszeit dramatisch. Der Zusammenbruch der Sowjetunion war auch ein geopolitischer Segen für China. Die tödliche Bedrohung aus dem Norden verschwand fast über Nacht, während sich Zentralasien, das früher zum sowjetischen Raum gehörte, plötzlich öffnete und China in die Lage versetzte, dort seine Macht zu entfalten. Vor allem aber läutete das Ende des Kalten Krieges, das Gorbatschow zu verdanken ist, drei Jahrzehnte der Globalisierung ein, die Chinas wirtschaftlichen Aufstieg ermöglichte.

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