Kann irgendetwas den Fall des Dollars verlangsamen?

Der „Dollar Denial“, jener Zustand sturer Erkenntnisverweigerung, gemäß welchem Bankiers und Notenbanker behaupten, dass sie über Amerikas fallende Währung nicht weiter besorgt wären, scheint zu Ende zu gehen. Inzwischen hat selbst der Chef der Europäischen Zentralbank Jean Claude Trichet sich dem Chor der Besorgten angeschlossen.

Bei Einführung des Euro lag der Wechselkurs zwischen US-Dollar und Euro bei USD 1,16/EUR 1. Zu diesem Kurs war der Dollar, legt man seine Kaufkraftparität (KPP) als Maßstab an, um etwa 10% unterbewertet. Der Kurs des Dollars stieg zunächst, doch seit 2002 ist er im Wesentlichen stetig gefallen. Jeder Tag scheint neue Tiefststände gegenüber dem Euro zu bringen.

Die Politik erscheint angesichts des fortdauernden Absturzes des Dollars paralysiert. Es gibt viele Gründe für ihre Untätigkeit, doch lässt sich nur schwer der Eindruck vermeiden, dass sie mit den gegenwärtigen akademischen Theorien über die Wechselkurse zusammenhängt.

Vereinfacht dargestellt, glauben die Ökonomen entweder, dass man nichts tun solle oder dass man nichts tun dürfe. Ihre so genannten „rationalen Erwartungsmodelle“ sagen voraus, dass die Wechselkurse nicht dauerhaft von ihrer Parität abweichen dürften. Da sie der Ansicht sind, einen Weg gefunden zu haben, um die Art und Weise, wie Devisenhändler denken, zu modellieren, sehen sie keine Notwendigkeit für Interventionen, weil ja die Märkte – von vorübergehenden Abweichungen abgesehen – die Werte der einzelnen Währungen immer richtig abbilden würden.

„Verhaltensökonomen“ andererseits geben zu, dass Währungen über lange Zeiträume von ihrer Parität abweichen können. Aber sie führen dies auf Marktpsychologie und irrationales Handelsgeschehen zurück und nicht auf die Versuche der Devisenhändler, Bewegungen bei den makroökonomischen Eckdaten zu interpretieren. Damit implizieren sie, dass Interventionen nicht nur unnötig, sondern zudem ineffektiv seien: Angesichts weiter Schwankungen und Handelsvolumina von bis zu zwei Billionen Dollar pro Tag seien die Zentralbanken nicht in der Lage, den irrationalen Eifer der Händler auszugleichen.

Allerdings weisen sowohl das „rationale Erwartungsmodell“ als auch das „Verhaltensmodell“ Fehler auf, denn beide sind bestrebt, genaue Prognosen über das menschliche Verhalten zu erstellen. Beide lassen die Tatsache außer Acht, dass Rationalität ebenso sehr vom unvollkommenen Verständnis des Einzelnen von Geschichte und Gesellschaft abhängt wie von seiner Motivation.

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Wenn wir unser „unvollkommenes Wissen“ ins Zentrum ökonomischer Analyse rücken, werden die Implikationen unserer beschränkten Fähigkeit zur Vorhersage des Marktgeschehens klar. Was die Devisenmärkte angeht, sind die auf dem internationalen Handel basierenden Paritätsniveaus lediglich einer von vielen Faktoren, die die Händler berücksichtigen. Bei dem Versuch, mit ihrem unvollkommenen Wissen zurecht zu kommen, handeln sie durchaus nicht irrational, wenn sie auch andere makroökonomische Eckdaten in ihre Überlegungen einbinden und so durch ihre Geschäfte einen Wechselkurs von seinem Paritätsniveau weg zwingen.

Beim jüngsten Anstieg des Euro gegenüber dem Dollar haben die Eurobullen anscheinend auf Amerikas Leistungsbilanzdefizit, die starke Konjunktur der Eurozone sowie die steigenden Eurozinsen reagiert. Was ist irrational daran, derartige Eckdaten zu berücksichtigen, wenn man mit Devisen handelt?

Natürlich können beharrliche Abweichungen von der Parität nicht dauerhaft Bestand haben. Zwar mögen Bewegungen bei den makroökonomischen Eckdaten dazu führen, dass die Bullen den Kurs einer Währung weiter vom Paritätsniveau weg treiben; dabei werden sie jedoch zunehmend besorgter über eine Gegenbewegung zurück in Richtung Parität und damit einhergehende Kapitalverluste – was ihr Streben, ihre Aktivpositionen auszubauen, bremst.

Die Gefährlichkeit einer offenen Position auf dem Devisenmarkt mit der Abweichung vom Paritätsniveau in Bezug zu setzen, legt einen neuartigen Weg nahe zum Nachdenken darüber, wie Zentralbanken den Markt beeinflussen können, um Paritätsabweichungen zu begrenzen. Obwohl der Wechselkurs letztlich auf seinen KPP-Benchmark zurückfallen wird, kann es vorkommen, dass die Marktteilnehmer diese Möglichkeit kurzfristig unberücksichtigt lassen. Wenn jedoch die Zentralbanken regelmäßig ihre Befürchtungen über deutliche Abweichungen von der KPP äußern würden (wie sie es bereits für die Inflationsaussichten tun), würden sie damit die Befürchtungen der Händler verstärken, dass andere Händler es zunehmend als riskant erachten, offene, eine weitere Abweichung vom Paritätsniveau implizierende Positionen zu halten. Dies dürfte die Bereitschaft der Bullen, ihre Aktivpositionen zu erhöhen, reduzieren und damit die Stärke der Wechselkursschwankungen begrenzen.

Um diesen Vorschlag zur Schwankungsbegrenzung umzusetzen, würde eine Notenbank jeden Monat ihre Schätzung der Paritätswerte bekannt geben und dies durch eine umfassende Erläuterung ihrer Einschätzungen untermauern. Sie würde den Händlern außerdem ihre Bedenken über exzessive Abweichungen von den geschätzten Paritätswerten zur Kenntnis bringen sowie ihre Bereitschaft, in unvorhergesehenen Augenblicken zu intervenieren, um weitere Abweichungen von der KPP zu erschweren. Eine derartige Politik wäre sogar noch effektiver, falls bekannt wäre, dass mehr als eine Zentralbank – beispielsweise die Federal Reserve und die EZB – zu Interventionen bereit wären.

Diese Strategie impliziert keine vorab definierte Zielzone der Wechselkurse. Angesichts der Größe der Devisenmärkte schlagen derartige Versuche nahezu immer fehl. Stattdessen impliziert unsere Strategie der Schwankungsbegrenzung, dass die Zentralbanken bei zunehmender Entfernung eines Wechselkurses von der Parität intervenieren sollten. Die Möglichkeit nicht vorhersehbarer Interventionen würde den durch die regelmäßige Bekanntgabe der Paritätswerte bei den Händlern hervorgerufenen Eindruck, dass ihr Risiko steigt, verstärken.

Während dieser Vorschlag einige Merkmale mit der Verfolgung von Inflationszielen gemeinsam hat, könnte der seine Ziele tatsächlich wirksamer erreichen. In beiden Fällen geht es darum, Benchmark-Niveaus zu formulieren, und in beiden Fällen versuchen die Zentralbanken, die makroökonomischen Ergebnisse und zugleich die Erwartungen der Marktteilnehmer zu beeinflussen. Wie Milton Friedman allerdings betont hat, sind die Verbindungen zwischen der Geldpolitik und der Inflation „entfernter und wechselhafter Art“.

Die Verknüpfung zwischen offiziellen Interventionen und Bewegungen der Wechselkurse andererseits ist sehr viel direkter und stärker. Angesichts der enormen Handelsvolumina können direkte Interventionen Währungsangebot und -nachfrage nur marginal verändern. Allerdings kann die Politik der Schwankungsbeschränkung die Auswirkungen der Intervention verstärken, indem sie das Bestreben der Marktteilnehmer, den Wechselkurs von der KPP weg zu drücken, verringert.

Unser Vorschlag, Abweichungen von der Parität zu reduzieren, aber nicht zu unterdrücken, erkennt an, dass Preisschwankungen für die Märkte von grundlegender Bedeutung sein könnten, um den Preis von Anlagewerten mit unsicherem Ertrag festzulegen. Zu ausgeprägte und langwierige Währungsfluktuationen jedoch können die Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigen und kostspielige Ressourcenzuteilungen erfordern. Diese führen häufig zum Ruf nach protektionistischen Maßnahmen, die den Nutzen aus dem internationalen Handel und der realen wirtschaftlichen Aktivität verringern können. Nur wenn man die Grenzen unseres Wissens anerkennt, hat die Geld- und Wechselkurspolitik bessere Chancen auf Erfolg.

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