spence130_Jon CherryGetty Images_early voting US Jon Cherry/Getty Images

Wer gewinnt die US-Präsidentschaftswahl?

MAILAND/STANFORD – Ende Juli wiesen die Meinungsumfragen ganz klar darauf hin, dass US-Präsident Donald Trump gegenüber Joe Biden, seinem demokratischen Herausforderer bei der kommenden Präsidentschaftswahl, an Boden verloren hat. Dies lag in erster Linie am schlechten Umgang seiner Regierung mit der COVID-19-Pandemie. Seitdem haben sich Trumps Chancen nicht verbessert, sondern, wenn überhaupt, eher noch verschlechtert. Jetzt scheint er am 3. November nicht nur bei den Wählerstimmen zurückzuliegen, sondern auch im Wahlmännergremium – das ihm 2016 die Mehrheit verschafft hatte.

Beginnen wir mit der Parteizugehörigkeit: Wie Tabelle 1 zeigt, haben die Demokraten seit der letzten Wahl 6% Anhänger dazugewonnen, verglichen mit nur knapp 3% bei den Republikanern. Der Anteil derjenigen, die sich als unabhängig bezeichnen, ging um 8% zurück. Und unter diesen hat sich der Anteil der eher Links- oder Rechtsgerichteten kaum verändert.

[Tabelle 1]

Darüber hinaus zeigt Tabelle 2, dass Trumps Umgang mit der COVID-19-Krise seit März immer schlechter bewertet wird, insbesondere von moderaten Republikanern, Demokraten und Unabhängigen – drei Wählergruppen, die in den umstrittenen Staaten von entscheidender Bedeutung sind. Auch Trumps allgemeine Zustimmungswerte sind gesunken, wenn auch nicht ganz so stark.

[Tabelle 2]

Die Regressionsanalyse – die Verwendung eines breiten Feldes bekannter Variablen wie Parteizugehörigkeit und Ideologie, die mit dem Wahlverhalten korrelieren – unterstützt die Annahme, dass die COVID-19-Krise ein Hauptgrund für diesen Wandel ist. Dazu gehören sowohl die Pandemie selbst als auch die von ihr verursachte Wirtschafts- und Arbeitslosenkrise.

Sicherlich werden die Wähler auch durch die anhaltenden Proteste gegen systemischen Rassismus und Polizeibrutalität beeinflusst – und durch die oft übertriebene polizeiliche Gewalt gegen diese Proteste. Aber die Art, wie dies interpretiert wird – also ob die Wähler glauben, die Proteste seien gewalttätig und erforderten ein starkes Durchgreifen für „Recht und Ordnung“ – ist entlang der Parteilinien enorm einheitlich und dürfte daher die Wahlentscheidungen nicht signifikant beeinflussen.

Wie Tabelle 3 mit Daten aus YouGov-Umfragen vom Oktober zeigt, glauben nur 15% der Demokraten, die Proteste seien gewalttätig. Und von diesen wollen nur 19% – also nur 2,85% aller Demokraten – aufgrund der Proteste für Trump stimmen.

[Tabelle 3]

Die überwältigende Mehrheit der Demokraten beabsichtigt also nicht, Trump zu wählen – unabhängig davon, ob sie sich als ultraliberal, moderat oder irgendwo dazwischen verorten. Im Gegenteil: Wie Tabelle 4 zeigt, planen noch weniger von ihnen, Trump zu wählen, als im Juli, und noch mehr von ihnen wollen für Biden stimmen.

[Tabelle 4]

2016 war die Unterstützung für die damalige demokratische Kandidatin Hillary Clinton bei allen drei Kategorien demokratischer Wähler geringer als für Biden heute – insbesondere unter moderaten und konservativen Demokraten (81%). Und da diese Daten Mitte Oktober erhoben wurden, als viele Menschen bereits ihre Stimme abgegeben hatten, gibt es kaum Grund zu der Annahme, die Proteste oder ein anderes Thema könnten die demokratische Unterstützung für Trump erhöhen.

Biden schneidet nicht nur unter den Demokraten, sondern unter allen Wählern besser ab als Clinton. 2016 gewann Clinton 2,1% mehr Stimmen als Trump, verlor aber in wichtigen umkämpften Staaten und erlitt daher im Wahlmännergremium eine Niederlage. Wie Tabelle 5 zeigt, beabsichtigt die überwiegende Mehrheit jener, die 2016 für Clinton stimmten, in diesem Jahr Biden zu wählen.

Aber Bidens Vorsprung ist viel größer. Obwohl die meisten von Trumps Unterstützern des Jahres 2016 planen, den Präsidenten auch diesmal wieder zu wählen, hat er mehr Wähler verloren als die Demokraten. Nehmen wir dazu noch die Tatsache, dass die Clinton-Wähler bereits damals die größere Gruppe waren, dann beträgt Bidens Vorsprung bei diesen beiden Wählergruppen um die 8%. Und auch diejenigen, die 2016 Drittparteien gewählt haben, bevorzugen dieses Jahr wahrscheinlich eher Biden als Trump.

[Tabelle 5]

Bidens Vorsprung erstreckt sich auch auf die umkämpften Staaten. Obwohl der Abstand dort etwas geringer ist, konnten die Demokraten mehr Wähler aus dem Jahr 2016 behalten als Trump, und auch mehr ehemalige Wähler von Drittparteien planen, Biden zu wählen.

[Tabelle 6]

Der Eindruck, dass Biden gewinnt, wird durch eine demografische Aufgliederung der Wählerschaft wie in Tabelle 7 noch verstärkt: Bei allen Wählerkategorien – jung oder alt, weiblich oder männlich, farbig oder weiß, besser oder schlechter ausgebildet – schneidet Biden jetzt besser ab als Clinton im Jahr 2016.

[Tabelle 7]

Natürlich spielen die Wahlabsichten kaum eine Rolle, wenn die Menschen nicht wählen können. Und diese Wahl findet mitten in einer Pandemie statt, was die traditionellen Wählmethoden einschränkt. Aber wie Tabelle 8 zeigt, wählen dieses Jahr viel mehr Bürger – insbesondere Demokraten und Unabhängige, aber auch Republikaner – vorzeitig oder per Brief.

[Tabelle 8]

Dies könnte sich auch auf die Wahlergebnisse auswirken – oder zumindest darauf, wie sie aufgenommen werden. Probleme beim Briefwahlsystem oder eine verlängerte Auszählung könnten auf bundesstaatlicher Ebene für Streit um die Ergebnisse sorgen. Da Biden wahrscheinlich mehr Briefwahlstimmen bekommt, ist er für solche Probleme anfälliger, was das Bild der Umfragen erheblich verändern könnte. Während die Vereinigten Staaten auf die Ergebnisse warten, könnte es also eine unruhige Zeit geben.

Trotzdem hat Biden, wenn man den Umfragen glauben kann, eine gute Chance, mit erheblichem Abstand die Mehrheit der Gesamtstimmen zu gewinnen, und auch dass es im Wahlmännergremium zu einem anderen Ergebnis kommt, scheint eher unwahrscheinlich. Trumps Stammwählerbasis ist einfach nicht groß genug, um ihm den Sieg zu verschaffen, und es mangelt ihm an der Unterstützung der Gemäßigten und Unabhängigen. Gegen Biden könnte theoretisch noch die Fragmentierung innerhalb der Demokratischen Partei sprechen – wenn sich beispielsweise die progressiven Wähler entscheiden sollten, ihn nicht zu unterstützen. Aber die Umfragen geben darauf keinerlei Hinweise. Der Drang, Trump abzuwählen, scheint zu groß zu sein.

Natürlich lagen Umfragen auch schon falsch, wie beispielsweise 2016. Es kann sein, dass sie die Absichten wichtiger Wählergruppen auf beiden Seiten nicht genau genug wiedergeben. Tatsächlich antworteten etwa 10% der städtischen und ländlichen Wähler auf die YouGov-Frage, ob ihre Nachbarn von ihrer eigenen Wahlentscheidung überrascht wären, mit „ja“ – was auf „versteckte“ Wähler für beide Kandidaten hindeutet.

Kurz gesagt, es sieht so aus, als wäre Biden auf dem besten Weg ins Weiße Haus. Aber das Rennen ist erst vorbei, wenn es vorbei ist.

Aus dem Englischen von Harald Eckhoff

https://prosyn.org/syWGefNde