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Erinnerung an Amerikas Wunschkrieg im Irak

NEW YORK – Ein Vorteil, den Historiker gegenüber Journalisten haben, ist Zeit. Nicht so sehr in dem Sinne, dass sie keine knappen Abgabefristen beachten müssen, sondern dass sie eine breitere Perspektive haben, die sich aus den Jahren – oder Jahrzehnten – ergibt, die zwischen Ereignissen und ihrer historischen Beurteilung vergangen sind. Natürlich sind zwanzig Jahre geschichtlich betrachtet keine lange Zeit. Aber wenn wir den Krieg verstehen wollen, den die Vereinigten Staaten im März 2003 gegen den Irak begonnen haben, ist das alles, was uns zur Verfügung steht.

So überrascht es nicht, dass zwei Jahrzehnte nach Beginn des Kriegs noch kein Konsens über seine Folgen besteht. Dies war zu erwarten, da alle Kriege dreimal geführt werden: Zuerst in Form der politischen und gesellschaftlichen Auseinandersetzung über die Kriegsentscheidung. Dann kommen der tatsächliche Krieg und die Ereignisse auf dem Schlachtfeld. Und schließlich folgt eine lange Debatte über seine Bedeutung: Seine Kosten und Vorteile werden gegeneinander aufgerechnet, die gelernten Lektionen benannt und Empfehlungen für die zukünftige Politik gegeben.

Die Entscheidung zur Intervention

Die Ereignisse und andere Faktoren, die zur Entscheidung der USA beigetragen haben, Krieg gegen den Irak zu führen, bleiben undurchsichtig und sehr umstritten. Kriege fallen normalerweise in zwei Kategorien: jene aus Notwendigkeit und jene aus Wahlfreiheit. Notwendig sind Kriege, wenn grundlegende Interessen auf dem Spiel stehen und es keine anderen realistischen Möglichkeiten zu deren Verteidigung gibt. Wunschkriege, also solche aus Wahlfreiheit oder aus freien Stücken, sind hingegen solche, bei denen die Interessen alles andere als dringend sind, oder wenn es neben militärischer Macht auch noch andere Möglichkeiten gibt, diese Interessen zu schützen und zu verteidigen – oder beides zusammen. Russlands Invasion in der Ukraine ist insofern ein Wunschkrieg; und dass die Ukraine ihr Staatsgebiet mit Waffen verteidigt, ist ein Krieg aus Notwendigkeit.

Der Irakkrieg war ein klassischer Wunschkrieg, also ein Krieg aus freier Entscheidung: Die USA hätten ihn nicht führen müssen. Allerdings stimmen nicht alle dieser Einschätzung zu: Einige behaupten, in der Tat hätten grundlegende Interessen auf dem Spiel gestanden, da der Irak über Massenvernichtungswaffen verfügt habe, die er hätte einsetzen oder an Terroristen weitergeben können. Fürsprecher des Kriegs hatten kein oder nur wenig Vertrauen, dass die USA andere verlässliche Möglichkeiten gehabt hätten, die angeblichen irakischen Massenvernichtungswaffen auszuschalten.

Darüber hinaus spiegelte die Kriegsentscheidung – nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 – die starke Abneigung dagegen wider, die USA Gefahren jeglicher Art auszusetzen. Die Vorstellung, Al-Kaida oder eine andere Terrorgruppe könnte Amerika mit nuklearen, chemischen oder biologischen Waffen angreifen, war einfach inakzeptabel. Diese Ansicht wurde vor allem von dem damaligen Vizepräsidenten Dick Cheney vertreten.

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Andere wie Präsident George W. Bush und viele seiner führenden Berater schienen auch durch zusätzliche Erwägungen motiviert gewesen zu sein – wie die vermeintlich neuen und großen außenpolitischen Möglichkeiten, die sie sahen. Nach dem 11.9. gab es das Bedürfnis, öffentlich zu zeigen, dass sich die USA nicht nur defensiv verhalten. Vielmehr sollte sie als proaktive Weltmacht dargestellt werden, die erfolgreich die Initiative ergreift.

Jegliche Fortschritte, die in Afghanistan gemacht wurden, schienen nicht genug gewesen zu sein – nach dem Einmarsch der USA und dem Sturz der Taliban-Regierung in einem Land, das den Al-Kaida-Terroristen, die die Anschläge vom 11.9. geplant und ausgeführt hatten, als sicherer Rückzugsort gedient hatte. Viele Mitglieder der Bush-Regierung hatten auch den Wunsch, den gesamten Nahen Osten zu demokratisieren, und der Irak galt als ideales Land, um diesen Wandel in Bewegung zu setzen. Die dortige Demokratisierung sollte als positives Beispiel dienen, dem andere in der Region nicht widerstehen konnten. Und Bush selbst wollte eine große und mutige Tat vollbringen.

Ich sollte deutlich machen, dass ich damals Vorsitzender des Planungsstabs im Außenministerium war, also ebenfalls der Verwaltung angehört habe. Wie so gut wie alle meiner Kollegen glaubte auch ich, Saddam Hussein besäße Massenvernichtungswaffen, insbesondere chemischer und biologischer Art. Trotzdem war ich nicht für den Krieg. Ich sah andere akzeptable Möglichkeiten – vor allem solche, um die Lieferung irakischen Öls nach Jordanien und in die Türkei zu verlangsamen oder zu beenden, oder die Möglichkeit, Iraks Ölleitung nach Syrien zu zerstören. Dies hätte Saddam erheblich unter Druck gesetzt, Inspektoren Zugang zu vermeintlichen Waffenstandorten zu geben. Und wären die Inspektionen blockiert worden, hätten diese Standorte von den USA kontrolliert angegriffen werden können.

Dass Saddam ins Terrorismusgeschäft einsteigen könnte, machte mir kaum Sorgen: Er hat den säkularen Irak mit eiserner Hand regiert und religiös motivierten Terrorismus (mit oder ohne iranische Unterstützung) als größte Bedrohung seines Regimes betrachtet. Außerdem war er nicht der Typ dafür, Terroristen mit Massenvernichtungswaffen auszustatten, da er über alles, was mit dem Irak in Verbindung gebracht werden konnte, die völlige Kontrolle behalten wollte.

Darüber hinaus habe ich zutiefst bezweifelt, dass der Irak – oder die ganze Region – reif für Demokratie sei, da die wirtschaftlichen, politischen und sozialen Voraussetzungen dafür weitgehend fehlten. Außerdem sah ich voraus, dass die Demokratisierung eine umfangreiche und lange militärische Besatzung erfordert hätte, die sich vor Ort als kostspielig und zu Hause als kontrovers erwiesen hätte.

Die gescheiterte Besatzung

Der Krieg selbst verlief besser und sicherlich schneller als erwartet – zumindest in seiner Anfangsphase. Nach der Invasion Mitte März dauerte es nur etwa sechs Wochen bis zum Sieg über die irakischen Streitkräfte. Im Mai konnte Bush behaupten, die Mission sei erfüllt, was bedeutete, dass Saddams Regierung abgesetzt worden und jegliche organisierte, bewaffnete Opposition verschwunden war.

Aber obwohl die US-Streitkräfte die irakische Regierung stürzen und den Krieg gewinnen konnten, waren sie nicht in der Lage, den Frieden zu sichern. Entscheidende Annahmen, die der Planung der Invasion zugrunde lagen – insbesondere dass die Truppen im Irak als Befreier begrüßt werden würden – mögen einige Wochen lang gestimmt haben, danach aber nicht mehr.

Die Bush-Regierung wollte die Früchte ihres „nation building“ ernten, ohne die dafür notwendige harte Arbeit zu leisten. Schlimmer noch, die Verantwortlichen entließen die Sicherheitskräfte des ehemaligen irakischen Regimes und schlossen die vielen Iraker, die der Ba’ath-Regierungspartei (Erneuerungspartei) angehört hatten, von Rollen in Politik und Verwaltung aus – obwohl die Parteimitgliedschaft häufig dafür nötig gewesen war, von Saddams Regime beschäftigt zu werden.

Wie zu erwarten war, verschlechterte sich die Lage vor Ort rapide. Plünderungen und Gewalt waren an der Tagesordnung. Rebellengruppen und ein Bürgerkrieg zwischen sunnitischen und schiitischen Milizen zerstörten alles, was während der temporären Ordnung entstanden war. Erst 2007 verbesserte sich die Lage, als die USA im Zuge der berühmten „Welle“ 30.000 zusätzliche Soldaten entsandten. Aber vier Jahre später entschied Bushs Nachfolger Barack Obama, die US-Truppen abzuziehen, da sich die Beziehungen zur irakischen Regierung immer mehr verschlechtert hatten.

Ein hoher Preis

Die Folgen des Kriegs waren überwiegend negativ. Aber immerhin war ein furchtbarer Tyrann beseitigt worden, der Chemiewaffen gegen seine eigenen Bürger eingesetzt und Kriege gegen seine Nachbarn vom Zaun gebrochen hatte. Trotz aller Missstände ist der Irak heute besser dran als vorher, und seine seit langem verfolgte kurdische Minderheit genießt eine Autonomie, die ihr vorher verweigert wurde.

Aber die Kostenseite der Bilanz ist viel größer: Dem Irakkrieg fielen etwa 200.000 irakische Zivilisten und 4.600 US-Soldaten zum Opfer. Die wirtschaftlichen Kosten für die USA lagen bei etwa zwei Billionen Dollar, und der Krieg hat das Machtgleichgewicht in der Region zugunsten des benachbarten Iran verschoben, der seinen Einfluss auf den Irak, aber auch auf Syrien, Libanon und den Jemen vergrößern konnte.

Außerdem wurden die USA durch den Krieg isoliert, weil sie ihn nur mit wenigen Partnern und ohne ausdrückliche Unterstützung der Vereinten Nationen geführt hatten. Millionen von Amerikanern verloren das Vertrauen in ihre Regierung und die US-Außenpolitik, was dazu beitrug, die Bühne für den regierungsfeindlichen Populismus und außenpolitischen Isolationismus zu bereiten, die die US-Politik in den letzten Jahren dominiert haben. Letztlich hat sich der Krieg als teures Ablenkungsmanöver erwiesen. Ohne ihn hätten die USA in einer viel besseren Position sein können, um ihre Außenpolitik gegen ein aggressiveres Russland und ein durchsetzungsstärkeres China neu auszurichten.

Der Krieg lehrt uns mehrere Dinge: Wunschkriege sollten nur mit extremer Vorsicht und Berücksichtigung der wahrscheinlichen Kosten und Nutzen – und Alternativen – geführt werden. Im Fall des Irak wurde dies nicht getan. Im Gegenteil, die Entscheidungsfindung auf höchster Ebene war häufig informell und unklar. Überall mangelte es an Wissen über die örtlichen Bedingungen. Ein Land zu besetzen, das man nicht versteht, ist offensichtlich gefährlich oder gar waghalsig, aber genau das haben die USA getan.

Annahmen können sich als gefährliche Fallen erweisen: Die Entscheidung, Krieg zu führen, beruhte auf der schlimmstmöglichen Annahme, der Irak besäße Massenvernichtungswaffen und würde sie einsetzen oder an andere weitergeben, die dies tun. Würde aber die Außenpolitik immer auf dieser Grundlage agieren, wären überall Interventionen erforderlich. Was stattdessen nötig ist, ist eine ausgewogene Berücksichtigung nicht nur der schlimmsten, sondern der wahrscheinlichsten Szenarien.

Ironischerweise ging die Analyse, was aus einem Sieg auf dem irakischen Schlachtfeld folgen würde, in die andere Richtung: Die US-Politiker setzten alles auf ein Best-Case-Szenario: Sie glaubten, die Iraker würden nicht nur denen, die sie von Saddam befreit hatten, den roten Teppich ausrollen, sondern auch schnell ihre inneren Konflikte beilegen und mit Freude demokratisch werden. Was stattdessen geschehen ist, wissen wir: Der Sturz Saddams wurde zum Anlass, gewaltsam Rechnungen zu begleichen und sich Machtpositionen zu verschaffen. Demokratie zu fördern ist eine gewaltige Aufgabe. Es ist eine Sache, einen Staatschef und sein Regime zu stürzen, aber eine ganz andere, ihn durch eine bessere und dauerhafte Alternative zu ersetzen.

Bleibende Mythen

Wenn die üblichen Kriegskritiker meinen, es könne nie darauf vertraut werden, dass die US-Regierung die Wahrheit sagt, liegen sie damit immer noch falsch. Ja, die US-Regierung hat behauptet, der Irak besitze Massenvernichtungswaffen, und mein damaliger Vorgesetzter, Verteidigungsminister Colin Powell, hat diese Behauptung sogar vor die Vereinten Nationen gebracht. Sie hat sich als unwahr herausgestellt.

Aber auch ohne zu lügen können sich Regierungen irren – und tun es auch. Mehr als alles andere hat die Zeit vor dem Irakkrieg verdeutlicht, wie gefährlich es ist, Annahmen nicht zu überprüfen. Saddams Weigerung, mit den UN-Waffeninspektoren zusammenzuarbeiten, wurde als Beweis dafür betrachtet, dass er etwas zu verbergen habe. Das hatte er auch, aber was er verbarg, waren keine Waffen, sondern die Tatsache, dass er sie nicht hatte. Diese Offenbarung, so fürchtete er, würde ihn gegenüber seinen Nachbarn und seinem eigenen Volk als schwach erscheinen lassen.

Andere haben argumentiert, der Krieg sei im Auftrag Israels geführt worden. Auch dies stimmt nicht. Ich erinnere mich an Treffen mit israelischen Politikern, die meinten, die USA bekämpften das falsche Land. Sie hielten den Iran für eine viel größere Bedrohung. Aber sie äußerten dies nicht öffentlich, denn sie merkten, dass Bush zu diesem Krieg entschlossen war, und sie wollten ihn nicht mit vergeblichen Versuchen ärgern, ihn daran zu hindern.

Auch haben die USA den Krieg nicht wegen Öl geführt, wie manche Linke behauptet haben. Die Außenpolitik der USA ist normalerweise nicht von engen kommerziellen Interessen bestimmt – insbesondere nicht, wenn es um den Einsatz militärischer Gewalt geht. Vielmehr gründen Interventionen auf strategischen oder ideologischen Erwägungen – oder beiden zusammen. Tatsächlich hat der ehemalige Präsident Donald Trump seine Vorgänger sogar dafür kritisiert, keinen Anteil an den irakischen Ölreserven gefordert zu haben.

Der Irakkrieg kann auch als Warnung vor den Grenzen der Überparteilichkeit dienen, die in den USA immer wieder als Garantie für gute Politik angepriesen wird. Aber dies ist sie nicht. Nicht nur vor dem Irakkrieg, sondern auch vor den Vietnamkrieg gab es eine überwältigende parteiübergreifende Einigkeit. Die Entscheidung von 2002, militärische Gewalt gegen den Irak einzusetzen, erfolgte mit der klaren Unterstützung beider großen politischen Parteien. Aber bereits vorher, im Jahr 1998, hatte die Regierung von Präsident Bill Clinton gemeinsam mit dem Kongress zum Regimewechsel im Irak aufgerufen. In jüngerer Zeit wurden wir Zeugen parteiübergreifender Ablehnung des freien Handels – und der Zustimmung dafür, Afghanistan zu verlassen und China zu konfrontieren.

Aber ebenso wie eine breite politische Unterstützung keine Garantie dafür ist, dass eine Politik richtig oder gut ist, bedeutet eine nur knappe Mehrheit nicht, dass eine Politik falsch oder schlecht ist. Der Golfkrieg der Jahre 1990 und 1991 – in dem die USA erfolgreich und kostengünstig eine internationale, UN-gestützte Koalition angeführt hatte, um Kuwait zu befreien – war aufgrund erheblichen Widerstands der Demokraten kaum durch den Kongress gekommen. Ob politische Entscheidungen parteiübergreifend unterstützt werden oder nicht, sagt also nichts über ihre Qualität.

2009 habe ich in einem Buch argumentiert, der Irakkrieg von 2003 sei ein unangemessener Wunschkrieg aus freien Stücken gewesen. Über ein Jahrzehnt später und 20 Jahre nach Kriegsbeginn sehe ich keinen Grund, diese Einschätzung zu ändern. Der Krieg war eine schlechte Entscheidung, die schlecht ausgeführt wurde. Mit ihren Folgen müssen die USA und die Welt bis zum heutigen Tag leben

Aus dem Englischen von Harald Eckhoff

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