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Das Zeitalter der Innovation

LONDON – Im Jahr 2013 hat sich die Welt weiter in das digitale Zeitalter hinein bewegt – eine weltweite Epoche von Veränderungen, deren Einfluss auf die Weltwirtschaft wahrscheinlich zwei oder dreimal größer sein wird als der der industriellen Revolution. Etwa 90% der weltweiten Daten wurden in den letzten zwei Jahren erzeugt. 2020 könnte die Menge der gespeicherten Daten fünfzigmal größer sein als noch 2010. Viele Experten bezeichnen diese massive Datenexplosion als das neue Erdöl oder gar als eine neue Klasse von Vermögenswerten.

Dieser Überfluss von Daten wird durch das fast allgegenwärtige Internet angetrieben. 2020 werden wohl etwa 2-3 Milliarden Weltbürger Smartphones besitzen, Milliarden von Sensoren werden alles von Traktoren bis hin zu Flugzeugturbinen überwachen, und weitere Durchbrüche in der Rechenleistung werden zu enormen Steigerungen bei der Datenspeicherung und -analyse führen.

In einer solchen Umgebung müssen erfolgreiche Organisationen mit der Verwaltung und Analyse von Daten vertraut sein. Eine Studie aus dem Jahr 2011 des MIT-Mitarbeiters Erik Brynjolfsson und seiner Kollegen legt nahe, dass Unternehmen, die ihre Entscheidungsfindung auf Daten aufbauen, 5-6% produktiver sind als andere. Die Fähigkeit, Daten zu erheben und zu organisieren sowie mit ihnen zu interagieren und Schlüsse aus ihnen zu ziehen, ist heute zu einer Kernkompetenz für alle Industriebereiche und Sektoren geworden.

Die durch diesen neuen Hexenkessel von Daten und ihre Analyse verursachten Innovationen verbreiten sich über den öffentlichen und den privaten Sektor. Netflix, die populäre Video-Streaming-Webseite, hat ihre riesige Datenbank von Suchanfragen, Ansichten, Verweilzeiten und Bewertungen ihrer Benutzer dazu verwendet, die auf das Internet zugeschnittene Serie „House of Cards“ zu erschaffen. Die Serie verbindet einen bekannten Regisseur (David Fincher) und Schauspieler (Kevin Spacey) mit einer Handlung, die einer populären britischen Show mit demselben Titel entnommen wurde – all diese stehen in der Popularitätsskala von Netflix sehr weit oben.

Auch in anderen Wirtschaftsbereichen wird datenbezogene Entscheidungsfindung in der Produktentwicklung, im Marketing und im Kundendienst schnell zum Standard, der Intuition und Erfahrung ergänzt (und in manchen Fällen ersetzt). Außerdem werden dadurch die Lieferketten geglättet, die Arbeitsabläufe verfeinert und die Produktionsprozesse optimiert.

Deutlichere Innovationen werden wahrscheinlich industrieübergreifend stattfinden, da der privilegierte Zugriff auf proprietäre Daten die Wettbewerbsverhältnisse neu bestimmt. Unternehmen mit umfassenden Datensammlungen werden immer mehr in der Lage sein, Märkte außerhalb ihres Kernbereichs zu besetzen – und ihr Führungspersonal lotet bereits jetzt die Möglichkeiten aus. Beim chinesischen E-Commerce-Unternehmen Alibaba können kleine und mittlere Verkäufer dort auch Kredite beantragen. Alibaba hat mithilfe von Transaktionsdaten deren Kreditwürdigkeit bestimmt und so das Betriebskapital von 320.000 Unternehmen finanziert (mit über 16 Milliarden USD) – und dies viel effizienter als der Durchschnitt der Banken.

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Auch Regierungen spüren, dass die Analyse von Daten ihre weltweites Ansehen verändern kann. Singapur beispielsweise verfügt über einen auf zehn Jahre angelegten Masterplan, der den Schwerpunkt auf die Entwicklung einer starken Informations- und Kommunikationsindustrie legt, worunter auch die Analyse von Daten fällt. Kürzlich haben die Behörden eine Initiative für offene Daten gestartet, im Rahmen derer große Mengen von Regierungsdaten leicht zugänglich gemacht werden.

Aber obwohl viele Einrichtungen die Wichtigkeit der Datenanalyse erkennen, gibt es große Unterschiede darin, wie aggressiv sie diese voran treiben. Erstanwender wie Amazon oder Tesco, die ihre Talentbasis und Erfahrungen schnell ausgebaut haben, stellen nun die Weichen für die Maximierung des Einflusses der Analyse auf ihre Unternehmen (und erforschen die Möglichkeiten zur Innovation). Viele andere Organisationen allerdings führen lediglich Experimente auf kleiner Basis durch und stellen ihre ersten Datentechniker ein.

Die gute Nachricht ist, dass viele Unternehmen in der Lage sind, die Geschwindigkeit der Veränderungen zu erhöhen. Ein viel versprechender Bereich in dieser Hinsicht ist die Nutzung von Talent. Für die Nutzung des Potenzials der Datenanalyse sind große Mengen fortgeschrittener technischer Expertise erforderlich. Angestellte, die sich in der Datenverwaltung und -analyse auskennen, sind rar, ebenso wie Mitglieder der immer wichtigeren Gruppe von „Übersetzern“, die IT, Daten, Analyse und Entscheidungsfindung in Unternehmen zusammenbringen.

Solche Übersetzer sind für die komplexen Umwandlungsbemühungen, die sich über viele Unternehmensfunktionen erstrecken, von entscheidender Bedeutung. Die Universitäten passen sich schnell an die wachsende Nachfrage an, und viele von ihnen haben interdisziplinäre Programme gestartet, die Analyse und unternehmerisches Wissen miteinander verbinden.

Durch schnelle technologische Fortschritte wird es auch leichter, die Auswirkungen von Datenanalysen zu erkennen. Eine der größten Herausforderungen für viele Unternehmen ist, die Erkenntnisse aus statistischen Modellen in echte Veränderungen der täglichen Unternehmenspraxis zu verwandeln. Die damit beauftragten Mitarbeiter hatten bisher wenig intuitive Werkzeuge zur Umwandlung von Einsichten in Handlungen zur Verfügung. Aber durch Fortschritte in der Datenvisualisierung, schnellere Entwicklungszyklen für Anwendungen und die ständige „Konsumerisierung“ der Technologie ändert sich dies, und Manager können immer mehr auf maßgeschneiderte, leicht zu verstehende Lösungen zurückgreifen.

Die Climate Corporation beispielsweise, die kürzlich von Monsanto übernommen wurde, hat Zugriff auf die Wetterdaten von über 30 Jahren, die Daten der Ernteerträge von 60 Jahren und viele Terabyte Informationen über Bodenarten. Mit diesem Reservoir an historischen Informationen und hoch entwickelten Algorithmen bietet das Unternehmen Landwirten über ein intuitives Online-Portal kostenpflichtige Beratung an.

Im Zuge dessen, dass Organisationen diese Möglichkeiten zur Innovation, Ertragserhöhung und Produktivitätssteigerung nutzen, müssen sich auch die Führungsteams anpassen. Die Definition neuer datenbezogener Strategien, die Verwaltung enormer neuer Informationsspeicher, das Kontaktieren neuer Partner, die funktionsübergreifende Verwaltung und die Energetisierung der Organisation um eine neue Mission herum benötigt wahrscheinlich neue Management-Kapazitäten.

Unternehmen erneuern ihre Organisationsstruktur ständig. 1961 war Ampex, ein Elektronikfabrikant aus Kalifornien, die erste Firma, die formal den Begriff „Chief Financial Officer“ verwendete. Heute ist diese Führungsrolle allgegenwärtig.

Führung im Digitalzeitalter könnte neue Rollen erfordern, wie beispielsweise den Chief Digital Officer, Chief Analytics Officer oder Chief Data Officer, obwohl bis jetzt nur relativ wenige Unternehmen solche Schritte eingeleitet haben. Zukünftig wird es für den allgemeinen Erfolg einer Organisation erforderlich sein, dass die für solche Bereiche verantwortlichen Manager Mitglieder der obersten Führungsriege sind.

Nur wenige Unternehmensführer haben bereits Erfahrung in solchen völlig neuen Bereichen und bei der Zusammenstellung von Teams, die bisher unbekannte Talente umfassen. Auch die strategischen Optionen führen auf neues Terrain, vielleicht vergleichbar mit der neuen Ära des Marketings durch die Massenmedien oder der radikalen Veränderung von Organisationsstrukturen durch die Globalisierung.

2014 und darüber hinaus müssen CEOs und ihre Vorstände neue Prioritäten setzen, klug investieren und bereit sein, Experimente zu unterstützen. In Zeiten, in denen große Innovationen gewiss sind, werden dAus dem Englischen von Harald Eckhoffie dadurch möglichen großen Belohnungen denen zukommen, die die Risiken im Blick behalten, aber trotzdem in der Lage sind, mutig und schnell zu handeln.

Aus dem Englischen von Harald Eckhoff

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