MOSKAU – Jahrzehntelang waren die Vereinigten Staaten - und der Westen im weiteren Sinne - ein leuchtendes Beispiel für liberal-demokratischen Wirtschaftserfolg, dem der Rest der Welt nacheifern wollte. Doch in den politischen Systemen des Westens sind zuletzt Risse sichtbar geworden, die durch Donald Trumps Präsidentschaft – die mit der Erstürmung des US-Kapitols durch einen Mob am 6. Januar endete – noch stärker in den Vordergrund traten und sich auch vertieften.
Der Niedergang des Westens ist nicht unausweichlich. Um aber die Demokratien zu schützen und ihr weltweites Ansehen wiederherzustellen, müssen die westlichen Länder zeigen, dass sie sowohl über das Bewusstsein als auch den politischen Willen verfügen, Schwächen direkt anzugehen.
Beginnen sollten die Führungen damit, einigen unmittelbaren und vordringlichen Herausforderungen zu begegnen – angefangen bei dem Mangel an Vertrauen in die Institutionen, insbesondere jenen im Zusammenhang mit Regierungsführung und Wahlen. Die Wahlbetrugskampagne „Stop the Steal”, die sich nach Trumps Wahlsieg letzten November formierte und den Aufstand am Kapitol befeuerte, hatte keinerlei Beweise für ihre Behauptungen vorzuweisen. Doch mit Hilfe der sozialen Medien verbreitete sich die Botschaft rasend schnell unter Trumps Anhängern, wo sie auf fruchtbaren Boden fiel und fest verwurzelt bleibt.
Wie die post-sowjetischen Staaten wissen, kann es gravierende kurz- und langfristige Folgen haben, wenn Zweifel hinsichtlich der Integrität des Wahlprozesses – ob begründet oder nicht – übergangen werden. Hardcore-Verschwörungstheoretiker wird man nie überzeugen können, aber für die meisten Amerikaner, die das Wahlergebnis 2020 (wenngleich nicht Wahlen im Allgemeinen) anzweifeln, sollte es einen Unterschied machen, wenn sie das Gefühl haben, dass die Behörden ihre Anliegen ernst nehmen. Ihre Fragen zu einigen Aspekten des Wahlprozesses, wie etwa zur Briefwahl, sollten vor den nächsten Wahlen diskutiert und beantwortet werden. Ein wirksamer Schritt, derartigen Versuchen zur Aushöhlung der Glaubwürdigkeit von Wahlen in Zukunft entgegenzutreten, bestünde darin, zu zeigen, dass man in der Lage ist, sich derartiger Probleme anzunehmen.
Eine weitere Herausforderung besteht darin, sich der dysfunktionalen politischen Polarisierung zu widmen. Zwischen politischer Opposition und politischer Sabotage besteht ein großer Unterschied. Verantwortungsbewusste Politiker vertreten die Interessen und Forderungen ihrer Wähler. Aber um effektiv zu regieren, arbeiten sie auch mit (bereitwilligen) Oppositionellen zusammen. Versuche, Andersdenkende zu zerstören, sind ein Affront gegen die Demokratie. Aber auch das Ansinnen, sämtliche Initiativen oder Gesetzesvorschläge der Opposition zu behindern, ist ein Rezept für demokratische Erosion.
Um der Polarisierung zu begegnen, müssen sich die westlichen Länder einer dritten Herausforderung stellen: nämlich der Klärung der Grenzen der Meinungsfreiheit. Praktisch alle stimmen überein, dass einige Formen von Meinung gefährlich genug sind, um manche Einschränkungen zu rechtfertigen. Doch ohne auf breiten Konsens beruhende klare Grenzen werden sich zwangsläufig Konflikte auftun, die die gewünschten Resultate verwässern können.
At a time when democracy is under threat, there is an urgent need for incisive, informed analysis of the issues and questions driving the news – just what PS has always provided. Subscribe now and save $50 on a new subscription.
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Westliche Führungen müssen auch grundlegendere Änderungen ihrer politischen Systeme in Betracht ziehen, um sie vor neuen oder wachsenden Bedrohungen zu schützen, von denen viele mit digitalen Technologien in Zusammenhang stehen. Die jüngste Welle des Populismus im Westen (und anderswo) zeigt, warum solche Veränderungen notwendig sind. Obwohl es sich bei Populismus kaum um ein neues Phänomen handelt, ermöglicht das Internet – und insbesondere soziale Medien – Fehlinformationen und unverantwortliche Versprechungen effizienter als je zuvor zu verbreiten.
Nicht einmal mit öffentlicher Kritik, Faktenchecks oder gar der Verbannung von Social-Media-Plattformen ist es gelungen, populistische Politiker davon abzuhalten, die Herzen und Köpfe ihrer Wählerschaft zu erobern. Eine Kommission oder eine ständige Arbeitsgruppe zur Information der Öffentlichkeit wäre hier vielleicht erfolgversprechender. Ihr Ziel wäre es nicht, Narrative nach einem bestimmten Interesse oder einer bestimmten Weltanschauung zu formen, sondern die Wahrheit auf die gleiche Weise zu wahren, wie Regierungen die öffentliche Gesundheit schützen. Eine derartige Kommission könnte zwar von der Politik ins Leben gerufen werden, doch die Ernennung der Mitglieder sollte durch nichtstaatliche Institutionen erfolgen, die höchstes öffentliches Vertrauen quer durch das politische Spektrum genießen.
Die USA wären wohl mit Sicherheit in der Lage, beispielsweise fünf Personen mit hervorragendem Ruf in den Bereichen Verteidigung der Meinungsfreiheit und Zurückweisung von Medienmanipulation und Lügen auszuwählen. Die Mitglieder könnten von den zuständigen Ausschüssen des Kongresses empfohlen und überprüft werden und hätten eine vorgegebene fixe Amtszeit. Je nach rechtlicher Stellung, die dem Gremium eingeräumt wird, könnte es Schlussfolgerungen und Empfehlungen abgeben, denen Regierungsbehörden dann Rechnung tragen.
Westliche Länder müssen möglicherweise auch ihre Systeme zur Vertretung der Wählerinteressen überdenken. Jahrzehnte- wenn nicht jahrhundertelang wurde diese Funktion von politischen Parteien gemeinsam mit offiziellen und inoffiziellen Interessensvereinigungen wahrgenommen. Eine freie und vertrauenswürdige Presse, verantwortungsvolle Rundfunkmedien, Expertengruppen und Berufsverbände haben ebenfalls eine wichtige Rolle gespielt, da sie die Arbeit der Regierung in die Sprache der Wählerschaft übersetzten.
Dieses System scheint nicht mehr voll funktionsfähig zu sein. Online-Medien haben die Wächterfunktion traditioneller Medien untergraben. Und neue Kanäle der Vereinigungs- und Identitätsbildung (wie etwa Online-Communities) geben die relative Stärke und Bedeutung bestimmter Interessensgruppen verzerrt wieder und deuten deren Ansichten mitunter falsch.
Es ist eine schwierige Frage, wie die politischen Institutionen der Demokratie so zu reformieren sind, dass verschiedene Interessengruppen in einer Weise in die Entscheidungsfindung einbezogen werden, die sowohl ihre Relevanz in der Gesellschaft widerspiegelt als auch eine Stimme für verwundbare Minderheiten sicherstellt. Wenn sich die Länder des Westens mit dieser Frage jedoch nicht sofort auseinandersetzen, werden die Systeme auch so eine Umgestaltung erfahren, allerdings nicht in einer Art und Weise, die den meisten Menschen zugute kommt.
In diesem Zusammenhang müssen sich westliche Demokratien gegen potenzielle illegitime Machtübernahmen wappnen. Wie wir in den letzten Jahren gesehen haben, wird die verfassungsmäßige Gewaltenteilung oft leichter geschwächt oder umgangen als bisher angenommen. Demokratische Wachsamkeit ist wichtiger denn je. Die Öffentlichkeit hat auch die Pflicht, dazu beizutragen, Demokratien vor den autoritären Ambitionen von Führern zu schützen, so wie es viele Organisationen der amerikanischen Zivilgesellschaft taten, als sie die Erstürmung des US-Kapitols am 6. Januar verurteilten. Öffentlich zu einem politischen Thema Stellung zu beziehen, bedeutet, die institutionellen Grundlagen der Demokratie zu verteidigen, und das schließt die Zurückweisung von Fehlinformationen und „Fake News“ jeglicher Art mit ein.
Noch schwieriger wird sich die Neufestsetzung der Grenzen dessen, was eine Demokratie und jede Person in der Demokratie erlauben oder nicht erlauben sollte, in einem Zeitalter, in dem nur ein paar wenige Unternehmen und Plattformen aufgrund ihrer Möglichkeit, riesige Mengen an Verhaltensdaten zu erfassen und zu analysieren, enorme Macht ausüben. Doch nur mit einem derart grundlegenden Ansatz werden sich jene Bedrohungen für die Demokratie abschwächen lassen, wie sie die USA in den letzten Jahren erlebt haben.
Donald Trump's return to the White House will almost certainly trigger an unmanaged decoupling of the world’s most important geopolitical relationship, increasing the risk of global economic disruption and crisis. After all, Chinese leaders will be far less conciliatory than they were during his first term.
thinks Xi Jinping's government will be less accommodative of the “Tariff Man's” demands this time around.
No matter how committed Donald Trump and his oligarch cronies are to a tax cut, the laws of arithmetic cannot be repealed. If only a handful of Republican lawmakers keep their promise not to increase the US budget deficit, there is no way that the incoming administration can enact its economic agenda and keep the government running.
points out that no amount of bluster or strong-arming can overcome the laws of arithmetic.
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MOSKAU – Jahrzehntelang waren die Vereinigten Staaten - und der Westen im weiteren Sinne - ein leuchtendes Beispiel für liberal-demokratischen Wirtschaftserfolg, dem der Rest der Welt nacheifern wollte. Doch in den politischen Systemen des Westens sind zuletzt Risse sichtbar geworden, die durch Donald Trumps Präsidentschaft – die mit der Erstürmung des US-Kapitols durch einen Mob am 6. Januar endete – noch stärker in den Vordergrund traten und sich auch vertieften.
Der Niedergang des Westens ist nicht unausweichlich. Um aber die Demokratien zu schützen und ihr weltweites Ansehen wiederherzustellen, müssen die westlichen Länder zeigen, dass sie sowohl über das Bewusstsein als auch den politischen Willen verfügen, Schwächen direkt anzugehen.
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Wie die post-sowjetischen Staaten wissen, kann es gravierende kurz- und langfristige Folgen haben, wenn Zweifel hinsichtlich der Integrität des Wahlprozesses – ob begründet oder nicht – übergangen werden. Hardcore-Verschwörungstheoretiker wird man nie überzeugen können, aber für die meisten Amerikaner, die das Wahlergebnis 2020 (wenngleich nicht Wahlen im Allgemeinen) anzweifeln, sollte es einen Unterschied machen, wenn sie das Gefühl haben, dass die Behörden ihre Anliegen ernst nehmen. Ihre Fragen zu einigen Aspekten des Wahlprozesses, wie etwa zur Briefwahl, sollten vor den nächsten Wahlen diskutiert und beantwortet werden. Ein wirksamer Schritt, derartigen Versuchen zur Aushöhlung der Glaubwürdigkeit von Wahlen in Zukunft entgegenzutreten, bestünde darin, zu zeigen, dass man in der Lage ist, sich derartiger Probleme anzunehmen.
Eine weitere Herausforderung besteht darin, sich der dysfunktionalen politischen Polarisierung zu widmen. Zwischen politischer Opposition und politischer Sabotage besteht ein großer Unterschied. Verantwortungsbewusste Politiker vertreten die Interessen und Forderungen ihrer Wähler. Aber um effektiv zu regieren, arbeiten sie auch mit (bereitwilligen) Oppositionellen zusammen. Versuche, Andersdenkende zu zerstören, sind ein Affront gegen die Demokratie. Aber auch das Ansinnen, sämtliche Initiativen oder Gesetzesvorschläge der Opposition zu behindern, ist ein Rezept für demokratische Erosion.
Um der Polarisierung zu begegnen, müssen sich die westlichen Länder einer dritten Herausforderung stellen: nämlich der Klärung der Grenzen der Meinungsfreiheit. Praktisch alle stimmen überein, dass einige Formen von Meinung gefährlich genug sind, um manche Einschränkungen zu rechtfertigen. Doch ohne auf breiten Konsens beruhende klare Grenzen werden sich zwangsläufig Konflikte auftun, die die gewünschten Resultate verwässern können.
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Die USA wären wohl mit Sicherheit in der Lage, beispielsweise fünf Personen mit hervorragendem Ruf in den Bereichen Verteidigung der Meinungsfreiheit und Zurückweisung von Medienmanipulation und Lügen auszuwählen. Die Mitglieder könnten von den zuständigen Ausschüssen des Kongresses empfohlen und überprüft werden und hätten eine vorgegebene fixe Amtszeit. Je nach rechtlicher Stellung, die dem Gremium eingeräumt wird, könnte es Schlussfolgerungen und Empfehlungen abgeben, denen Regierungsbehörden dann Rechnung tragen.
Westliche Länder müssen möglicherweise auch ihre Systeme zur Vertretung der Wählerinteressen überdenken. Jahrzehnte- wenn nicht jahrhundertelang wurde diese Funktion von politischen Parteien gemeinsam mit offiziellen und inoffiziellen Interessensvereinigungen wahrgenommen. Eine freie und vertrauenswürdige Presse, verantwortungsvolle Rundfunkmedien, Expertengruppen und Berufsverbände haben ebenfalls eine wichtige Rolle gespielt, da sie die Arbeit der Regierung in die Sprache der Wählerschaft übersetzten.
Dieses System scheint nicht mehr voll funktionsfähig zu sein. Online-Medien haben die Wächterfunktion traditioneller Medien untergraben. Und neue Kanäle der Vereinigungs- und Identitätsbildung (wie etwa Online-Communities) geben die relative Stärke und Bedeutung bestimmter Interessensgruppen verzerrt wieder und deuten deren Ansichten mitunter falsch.
Es ist eine schwierige Frage, wie die politischen Institutionen der Demokratie so zu reformieren sind, dass verschiedene Interessengruppen in einer Weise in die Entscheidungsfindung einbezogen werden, die sowohl ihre Relevanz in der Gesellschaft widerspiegelt als auch eine Stimme für verwundbare Minderheiten sicherstellt. Wenn sich die Länder des Westens mit dieser Frage jedoch nicht sofort auseinandersetzen, werden die Systeme auch so eine Umgestaltung erfahren, allerdings nicht in einer Art und Weise, die den meisten Menschen zugute kommt.
In diesem Zusammenhang müssen sich westliche Demokratien gegen potenzielle illegitime Machtübernahmen wappnen. Wie wir in den letzten Jahren gesehen haben, wird die verfassungsmäßige Gewaltenteilung oft leichter geschwächt oder umgangen als bisher angenommen. Demokratische Wachsamkeit ist wichtiger denn je. Die Öffentlichkeit hat auch die Pflicht, dazu beizutragen, Demokratien vor den autoritären Ambitionen von Führern zu schützen, so wie es viele Organisationen der amerikanischen Zivilgesellschaft taten, als sie die Erstürmung des US-Kapitols am 6. Januar verurteilten. Öffentlich zu einem politischen Thema Stellung zu beziehen, bedeutet, die institutionellen Grundlagen der Demokratie zu verteidigen, und das schließt die Zurückweisung von Fehlinformationen und „Fake News“ jeglicher Art mit ein.
Noch schwieriger wird sich die Neufestsetzung der Grenzen dessen, was eine Demokratie und jede Person in der Demokratie erlauben oder nicht erlauben sollte, in einem Zeitalter, in dem nur ein paar wenige Unternehmen und Plattformen aufgrund ihrer Möglichkeit, riesige Mengen an Verhaltensdaten zu erfassen und zu analysieren, enorme Macht ausüben. Doch nur mit einem derart grundlegenden Ansatz werden sich jene Bedrohungen für die Demokratie abschwächen lassen, wie sie die USA in den letzten Jahren erlebt haben.
Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier