BERLIN – Heute glauben nur noch wenige daran, dass Konventionen der Vereinten Nationen wie die Klimarahmen- oder die Biodiversitätskonvention die Erderwärmung, den Verlust von Biodiversität und die Ausschöpfung von Ackerböden abwehren kann. Genauso scheint die Festlegung strengerer Emissions-Obergrenzen oder Umwelt- und Sozialstandards zur Reduzierung des Raubbaus an Naturressourcen und zum Schutz von Arbeitnehmern nicht mehr zeitgemäß zu sein. Krisengeschüttelte Volkswirtschaften fürchten, derartige Vorschriften könnten sich nachteilig auf Investition und Handel auswirken.
Während alte Methoden ihre Glaubwürdigkeit verlieren, haben einige Regierungen, Ökonomen und internationale Institutionen wie das Umweltprogramm der Vereinten Nationen einen neuen Ansatz entwickelt, bei dem die Natur als „Ökosystem-Dienstleister“ angesehen wird. Damit wird die Verantwortung für die Risikobewertung dem privaten Sektor und Marktmechanismen übertragen.
Bei diesem neuen Paradigma ist die Erhaltung der Natur eine Handelssache und die natürliche Umgebung ist nichts als eine Reihe handelbarer Güter und Dienstleistungen. Nach dieser Logik stehen Dienstleistungen des Ökosystems nicht mehr gratis zur Verfügung. Laut Pavan Sukhdev, dem führenden Autor der Studie The Economics of Ecosystems and Biodiversity, die die wirtschaftlichen Folgen der Umweltzerstörung hervorhebt, „nutzen wir die Natur, weil sie wertvoll ist, aber wir verlieren sie, weil sie kostenlos ist.“
Natürlich geht es bei der Bewertung der Leistungen des Ökosystems um mehr als nur darum, ihnen ein Preisschild zu verpassen. Dieser Ansatz kann tatsächlich dazu beitragen, Umweltpolitik so zu gestalten, dass Biodiversität und Ökosysteme effizienter genutzt werden. Einige neue Bewertungsmodelle enthalten, anders als das Modell des Bruttoinlandsproduktes, Mechanismen für die Quantifizierung der Vorteile von Ökosystemleistungen oder der Kosten ihrer Zerstörung, wodurch eine Grundlage für politische und wirtschaftliche Maßnahmen geschaffen wird.
Die Gefahr liegt darin, dass das neue Paradigma schnell zu einer Finanzialisierung der Natur führen kann. Der Prozess hat im Grunde schon begonnen, mit dem REDD-Programm der Vereinten Nationen, das Markt- und Finanzanreize nutzt, um Treibhausgasemissionen von Abholzung und Schädigung der Wälder zu reduzieren.
Auf ähnliche Weise ermöglicht es “Habitat-Banking” Entwicklern, mit Habitat- oder Biodiversitäts-Credits zu handeln. Verdient werden diese Credits durch Maßnahmen zum Schutz, zur Wiederherstellung oder Verbesserung von Habitaten oder Arten – als Kompensation der Umweltkosten der Entwicklung.
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All dies setzt den Privatbesitz der Ökosystemleistungen voraus. Aber in vielen Ländern befinden sich die letzten verbleibenden Ökosysteme in Gebieten, in denen indigene Völker leben, was den Konflikt mit und innerhalb der betroffenen Gemeinschaften unvermeidlich macht. Die lokale Bevölkerung wird darauf bestehen, zu erfahren, wem die Leistungen gehören und wer von den damit verbundenen Credits profitiert. Und wer immer das sein wird, muss die Verantwortung für komplexe Buchhaltungs- und Compliance-Anforderungen erfüllen und gleichzeitig Ausschlussrisiken mindern.
Zudem ist die Bereitschaft des privaten Sektors, zum Beispiel in Walderhaltung zu investieren, abhängig von der Integration der unterschiedlichen Credits in globale Emissionshandelprogramme – ein höchst unwahrscheinliches Szenario, gemessen am Stand der internationalen Klimaverhandlungen. Wie es aussieht, funktioniert der Emissionshandel nur als Entschädigung für den Business-as-usual-Ansatz der Industriestaaten. Die wachsende Rolle von marktorientierten Instrumenten an der Erhaltung wird es Unternehmen lediglich ermöglichen, ihre Umweltverpflichtungen zu manipulieren, und es gleichzeitig leichter für Regierungen machen, ihre Verantwortung zu vernachlässigen, effektive Umweltpolitik zu betreiben.
Zum Beispiel hat es im letzten Jahr die mächtige brasilianische Agrarlobby geschafft, die Regierung dazu zu bringen, eine neue Forstgesetzgebung zu verabschieden, die marktorientierte Instrumente verwendet, um Agrarproduzenten mehr Spielraum beim Umweltschutz zu geben. Landbesitzer, die mehr Vegetation roden als gesetzlich erlaubt ist, können ihre Compliance jetzt wieder herstellen, indem sie an der Grünen Börse von Rio de Janeiro (Bolsa Verde) überschüssige Credits von denjenigen erstehen, die mehr als das vorgeschriebene Minimum an Waldbeständen besitzen.
Motiviert durch die neue Ordnung haben nun diejenigen, die überschüssige Credits anbieten wollen, in Gebieten, wo die Abholzung nicht profitabel ist, Land in Besitz genommen – eine marktorientierte Reaktion, die mit Menschenrechtsverletzungen einherging. Die Erfahrung in Brasilien unterstreicht die Gefahren einer schwachen Umweltpolitik – nämlich, dass sie denjenigen, die die Mittel dazu besitzen, die Möglichkeit bietet, sich freizukaufen - auf Kosten der schwächeren Bürger, besonders der indigenen Völker und armen Kleinbauern.
Die globale Wirtschaftskrise hat offengelegt, welche Risiken damit einhergehen, wenn man sich ausschließlich darauf verlässt, dass die Märkte die wirtschaftliche Tätigkeit regeln. Angesichts der Tatsache, dass die Folgen einer globalen Umweltkatastrophe verheerend wären, wäre es der sicherste Weg ins Desaster, wenn man sich ausschließlich auf die Mechanismen des Marktes verlassen würde, um die Umwelt zu schützen und zu stärken.
Um das abzuwenden, muss die Vorstellung von der Natur als Dienstleister auf der ganzen Welt abgelehnt werden, und müssen Entscheidungsträger aktiv daran arbeiten, Habitate und Biodiversität aktiv zu schützen und wieder herzustellen. Mechanismen zur „Kompensierung“ schädigender Aktivitäten dürfen nicht fortgesetzt werden, denn sie lenken von den tatsächlichen Imperativen ab, wie dem, Abholzung und das Auslaufen fossiler Brennstoffe zu verhindern.
Daher muss die Finanzialisierung der Natur über Derivate und andere Finanzprodukte verboten werden. Denn obwohl der Wert eines intakten Regenwalds wesentlich geringer ist als der Wert der Natur- und Mineralressourcen, die er enthält, geht doch seine existenzielle Bedeutung für die Menschheit weit darüber hinaus.
Zudem sollten Staaten Subventionen auslaufen lassen, die Klima und Biodiversität schädigen, wie solche Anreize, die die Rodung von Wäldern für „produktive“ Aktivitäten wie die Landwirtschaft unterstützen. Dadurch wären Länder in der Lage, ihre Umweltschutzziele zu erreichen und gleichzeitig Steuerressourcen zu sparen.
Damit soll allerdings nicht gesagt sein, dass marktorientierte Mechanismen nicht zum Schutz und zur Wiederherstellung der Natur beitragen können. Das können sie (und das konnten sie bereits), aber nur als Teil eines umfassenden Rahmens, der dem wahren – und nicht quantifizierbaren – Wert der natürlichen Umgebung Rechnung trägt.
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Fear of being left behind economically and socially proved to be potent fuel for the far-right Alternative für Deutschland, which for the first time won more votes than the Social Democrats in a German federal election. So long as center-left parties fail to address this fear, the far right will continue to exploit it.
thinks social-democratic parties will continue to lose unless they find new ways to make inroads with workers.
Within his first month back in the White House, Donald Trump has upended US foreign policy and launched an all-out assault on the country’s constitutional order. With US institutions bowing or buckling as the administration takes executive power to unprecedented extremes, the establishment of an authoritarian regime cannot be ruled out.
The rapid advance of AI might create the illusion that we have created a form of algorithmic intelligence capable of understanding us as deeply as we understand one another. But these systems will always lack the essential qualities of human intelligence.
explains why even cutting-edge innovations are not immune to the world’s inherent unpredictability.
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BERLIN – Heute glauben nur noch wenige daran, dass Konventionen der Vereinten Nationen wie die Klimarahmen- oder die Biodiversitätskonvention die Erderwärmung, den Verlust von Biodiversität und die Ausschöpfung von Ackerböden abwehren kann. Genauso scheint die Festlegung strengerer Emissions-Obergrenzen oder Umwelt- und Sozialstandards zur Reduzierung des Raubbaus an Naturressourcen und zum Schutz von Arbeitnehmern nicht mehr zeitgemäß zu sein. Krisengeschüttelte Volkswirtschaften fürchten, derartige Vorschriften könnten sich nachteilig auf Investition und Handel auswirken.
Während alte Methoden ihre Glaubwürdigkeit verlieren, haben einige Regierungen, Ökonomen und internationale Institutionen wie das Umweltprogramm der Vereinten Nationen einen neuen Ansatz entwickelt, bei dem die Natur als „Ökosystem-Dienstleister“ angesehen wird. Damit wird die Verantwortung für die Risikobewertung dem privaten Sektor und Marktmechanismen übertragen.
Bei diesem neuen Paradigma ist die Erhaltung der Natur eine Handelssache und die natürliche Umgebung ist nichts als eine Reihe handelbarer Güter und Dienstleistungen. Nach dieser Logik stehen Dienstleistungen des Ökosystems nicht mehr gratis zur Verfügung. Laut Pavan Sukhdev, dem führenden Autor der Studie The Economics of Ecosystems and Biodiversity, die die wirtschaftlichen Folgen der Umweltzerstörung hervorhebt, „nutzen wir die Natur, weil sie wertvoll ist, aber wir verlieren sie, weil sie kostenlos ist.“
Natürlich geht es bei der Bewertung der Leistungen des Ökosystems um mehr als nur darum, ihnen ein Preisschild zu verpassen. Dieser Ansatz kann tatsächlich dazu beitragen, Umweltpolitik so zu gestalten, dass Biodiversität und Ökosysteme effizienter genutzt werden. Einige neue Bewertungsmodelle enthalten, anders als das Modell des Bruttoinlandsproduktes, Mechanismen für die Quantifizierung der Vorteile von Ökosystemleistungen oder der Kosten ihrer Zerstörung, wodurch eine Grundlage für politische und wirtschaftliche Maßnahmen geschaffen wird.
Die Gefahr liegt darin, dass das neue Paradigma schnell zu einer Finanzialisierung der Natur führen kann. Der Prozess hat im Grunde schon begonnen, mit dem REDD-Programm der Vereinten Nationen, das Markt- und Finanzanreize nutzt, um Treibhausgasemissionen von Abholzung und Schädigung der Wälder zu reduzieren.
Auf ähnliche Weise ermöglicht es “Habitat-Banking” Entwicklern, mit Habitat- oder Biodiversitäts-Credits zu handeln. Verdient werden diese Credits durch Maßnahmen zum Schutz, zur Wiederherstellung oder Verbesserung von Habitaten oder Arten – als Kompensation der Umweltkosten der Entwicklung.
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Zudem ist die Bereitschaft des privaten Sektors, zum Beispiel in Walderhaltung zu investieren, abhängig von der Integration der unterschiedlichen Credits in globale Emissionshandelprogramme – ein höchst unwahrscheinliches Szenario, gemessen am Stand der internationalen Klimaverhandlungen. Wie es aussieht, funktioniert der Emissionshandel nur als Entschädigung für den Business-as-usual-Ansatz der Industriestaaten. Die wachsende Rolle von marktorientierten Instrumenten an der Erhaltung wird es Unternehmen lediglich ermöglichen, ihre Umweltverpflichtungen zu manipulieren, und es gleichzeitig leichter für Regierungen machen, ihre Verantwortung zu vernachlässigen, effektive Umweltpolitik zu betreiben.
Zum Beispiel hat es im letzten Jahr die mächtige brasilianische Agrarlobby geschafft, die Regierung dazu zu bringen, eine neue Forstgesetzgebung zu verabschieden, die marktorientierte Instrumente verwendet, um Agrarproduzenten mehr Spielraum beim Umweltschutz zu geben. Landbesitzer, die mehr Vegetation roden als gesetzlich erlaubt ist, können ihre Compliance jetzt wieder herstellen, indem sie an der Grünen Börse von Rio de Janeiro (Bolsa Verde) überschüssige Credits von denjenigen erstehen, die mehr als das vorgeschriebene Minimum an Waldbeständen besitzen.
Motiviert durch die neue Ordnung haben nun diejenigen, die überschüssige Credits anbieten wollen, in Gebieten, wo die Abholzung nicht profitabel ist, Land in Besitz genommen – eine marktorientierte Reaktion, die mit Menschenrechtsverletzungen einherging. Die Erfahrung in Brasilien unterstreicht die Gefahren einer schwachen Umweltpolitik – nämlich, dass sie denjenigen, die die Mittel dazu besitzen, die Möglichkeit bietet, sich freizukaufen - auf Kosten der schwächeren Bürger, besonders der indigenen Völker und armen Kleinbauern.
Die globale Wirtschaftskrise hat offengelegt, welche Risiken damit einhergehen, wenn man sich ausschließlich darauf verlässt, dass die Märkte die wirtschaftliche Tätigkeit regeln. Angesichts der Tatsache, dass die Folgen einer globalen Umweltkatastrophe verheerend wären, wäre es der sicherste Weg ins Desaster, wenn man sich ausschließlich auf die Mechanismen des Marktes verlassen würde, um die Umwelt zu schützen und zu stärken.
Um das abzuwenden, muss die Vorstellung von der Natur als Dienstleister auf der ganzen Welt abgelehnt werden, und müssen Entscheidungsträger aktiv daran arbeiten, Habitate und Biodiversität aktiv zu schützen und wieder herzustellen. Mechanismen zur „Kompensierung“ schädigender Aktivitäten dürfen nicht fortgesetzt werden, denn sie lenken von den tatsächlichen Imperativen ab, wie dem, Abholzung und das Auslaufen fossiler Brennstoffe zu verhindern.
Daher muss die Finanzialisierung der Natur über Derivate und andere Finanzprodukte verboten werden. Denn obwohl der Wert eines intakten Regenwalds wesentlich geringer ist als der Wert der Natur- und Mineralressourcen, die er enthält, geht doch seine existenzielle Bedeutung für die Menschheit weit darüber hinaus.
Zudem sollten Staaten Subventionen auslaufen lassen, die Klima und Biodiversität schädigen, wie solche Anreize, die die Rodung von Wäldern für „produktive“ Aktivitäten wie die Landwirtschaft unterstützen. Dadurch wären Länder in der Lage, ihre Umweltschutzziele zu erreichen und gleichzeitig Steuerressourcen zu sparen.
Damit soll allerdings nicht gesagt sein, dass marktorientierte Mechanismen nicht zum Schutz und zur Wiederherstellung der Natur beitragen können. Das können sie (und das konnten sie bereits), aber nur als Teil eines umfassenden Rahmens, der dem wahren – und nicht quantifizierbaren – Wert der natürlichen Umgebung Rechnung trägt.
Aus dem Englischen von Eva Göllner.