OXFORD – Japans Atomkrise und der nahende 25. Jahrestag der Kernschmelze in Tschernobyl haben die Debatte über die Angemessenheit von Atomkraft neu entfacht und schlummernde Ängste geweckt, die eine sich gleichzeitig abzeichnende nukleare Renaissance wieder aufhalten könnten.
Die Unsichtbarkeit radioaktiver Strahlung provoziert tief sitzende menschliche Ängste. Aber wie gut verständlich diese auch sein mögen, sie sind möglicherweise der falsche Grund, um gegen Atomkraft zu sein. Mehr noch als Sicherheitsfragen sprechen vielleicht noch schlagendere Argumente dafür, dass eine nukleare Renaissance weder wahrscheinlich noch notwendig ist: die Kosten.
Der Preis für Atomkraft steigt seit Jahrzehnten beständig. Seit 1970 sind die Kosten der Gewinnung neuer Kernenergie bei einem konstanten Dollarsatz um das Neunfache gestiegen, da zusätzliche Sicherheitsfunktionen die Konstruktion der Werke teurer machen. Innovationen wie Kugelhaufenreaktoren versprechen erhöhte Sicherheit, sind aber auch mit einem erheblichen, zusätzlichen Kostenaufwand verbunden.
Zudem gehen Skaleneffekte verloren, weil vor diesem Hintergrund wenige Atomkraftwerke gebaut werden. Vergleichbar der Produktion von Jagdflugzeugen steigen die Kosten immer dann sprunghaft in die Höhe, wenn Funktionen hinzugefügt werden, die Produktionsmenge aber klein bleibt. Global gesehen beträgt das Durchschnittsalter von Atomkraftwerken 27 Jahre, also ist vieles von dem, was man beim Aufbau früherer Werke gelernt hat, bereits verloren gegangen.
Eine Ausnahme bildet China, wo ein groß angelegter Konstruktionsplan dafür sorgen könnte, dass die Kosten gesenkt werden. Aber bereits mit der nächsten Generation sicherer Reaktoren steigen die Kosten rasant in die Höhe. Xu Yuanhui von Chinergy, einem Unternehmen, das zwei Kugelhaufenreaktoren baut, äußerte sich kürzlich über die neue Konstruktion: "Sicherheit ist nicht die Frage, aber die Wirtschaftlichkeit ist nicht so klar."
Bei der erneuerbaren Energie kann man exakt das Gegenteil beobachten. Wir lernen schnell auf diesem Feld hinzu, und die Kosten stürzen in den Keller. Das geschieht schon allein aufgrund des Konstruktionsvolumens: 40.000 Windräder im vergangenen Jahrzehnt allein in Europa. Und die Solarenergie wird in sonnigen Regionen wie Südafrika, Griechenland und Florida bis 2015 Netzparität erreichen.
Die ständig steigende Kostenkurve für Kernenergie und die ständig sinkende Kostenkurve für erneuerbare Energien werden sich unweigerlich irgendwann kreuzen. Die einzige Frage ist, wann das geschehen wird – sehr wahrscheinlich innerhalb der Zehnjahresspanne, die es braucht, bis das nächste Atomkraftwerk in der industrialisierten Welt ans Netz geht. In anderen Worten, bevor wir mit dem Bau des nächsten Atomkraftwerks fertig werden, wird es ein teures und immer irrelevanter scheinendes Relikt aus den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts und aus dem Traum der „Atome für den Frieden“ geworden sein.
Dieser Traum enthielt immer auch den Nukleus eines Alptraums. Während das Risiko, dass die Atomkraft die Ausbreitung von Atomwaffen befördert, der Öffentlichkeit nicht mehr so viel Angst macht, hatten wir bislang in den Augen vieler Beobachter einfach nur Glück: Je größer die Atomwirtschaft wird, desto höher ist auch die Wahrscheinlichkeit eines Fehlers. Auch ohne das Risiko der Verbreitung von Atomwaffen ist es moralisch fragwürdig, künftigen Generationen gefährlichen Müll zu hinterlassen. Wir würden Alexander den Großen mit anderen Augen sehen, hätten seine Eroberungszüge ein giftiges Erbe hinterlassen, mit dem wir heute noch leben müssten.
Die meisten Befürworter der Atomkraft sind durchaus für Sonnen- und Windenergie, behaupten aber im gleichen Atemzug, dass die Erneuerbaren allein keine praktikable Lösung für die notwendige Reduzierung der CO2-Emissionen sein können. Jeden Tag liest man einen weiteren Leitartikel, in dem argumentiert wird, dass Atomkraft unbedingt erforderlich sei, um ein Energiesystem ohne Kohle aufzubauen. Aber ist es denn tatsächlich so, dass ein auf den Erneuerbaren aufgebautes Energiesystem unmöglich ist?
2010 veröffentlichte die Europäische Klimastiftung einen viel beachteten Bericht mit dem Titel Roadmap 2050, der die Kosten und die technische Machbarkeit verschiedener Optionen eines kohlefreien Energiesystems in Europa bis 2050 detailgenau vorstellte. Er entwirft ein Szenario von 80 Prozent erneuerbaren Energien, vervollständigt durch einen Rest Atomkraft und fossilen Energieträgern mit Kohlenstoffbindung und –lagerung.
Zusammengefasst lässt sich sagen, dass die Stiftung zu dem Ergebnis kommt, dass ein auf erneuerbaren Energien basierendes europaweites System sowohl technisch machbar als auch wirtschaftlich ist. Das Problem der oft verteufelten und sehr realen Unbeständigkeit der Versorgung durch erneuerbare Energien wird gelöst durch zusätzliche Erzeugung von Reserveenergie und insbesondere ein neues Gleichstromsupernetz, das einen europaweiten Lastausgleich ermöglicht. Wenn dies langfristig erschwinglich und machbar ist, was ist dann kurzfristig nötig und möglich?
Es verdichten sich die Anzeichen dafür, dass es eine Beziehung zwischen Kohlenstoffreduzierung, Wirtschaftswachstum und der Schaffung neuer Arbeitsplätze gibt. In den vergangen sechs Monaten haben verschiedene Studien des Umweltprogramms der Vereinten Nationen und der John Hopkins Universität sowie ein Vorschlag von sechs führenden europäischen Universitäten prognostiziert, dass noch vor 2020 Millionen neuer Arbeitsplätze geschaffen werden. Und dies sind nicht nur „grüne Jobs“, sondern Jobs, die in allen Industrie- und Servicebereichen aus dem grünen Wachstum entstehen.
Was wir gerade beobachten, ist ein Wendepunkt in der Debatte über Treibhausgase. Wachstum mit niedrigem CO2-Ausstoß erfordert weder Kohle noch neue Atomkraft. Es geht darum, eine ehrgeizigere und konsistentere Klima- und Energiepolitik zu verfolgen, die die Nutzung erneuerbarer Energien massiv fördert. Es geht darum, neue Stromnetze zu installieren, die die zusätzliche Last tragen. Und es gilt sicherzustellen, dass die Energieeffizienz in großem Rahmen Unterstützung findet.
Diese Agenda wird Investitionen stimulieren, Wirtschaftswachstum ankurbeln und Arbeitsplätze schaffen. Gleichzeitig wird sie die Wettbewerbsfähigkeit und Energiesicherheit erhöhen. Sowohl in wirtschaftlicher als auch in ethischer Hinsicht verdient die Atomkraft keine tragende Rolle mehr.
OXFORD – Japans Atomkrise und der nahende 25. Jahrestag der Kernschmelze in Tschernobyl haben die Debatte über die Angemessenheit von Atomkraft neu entfacht und schlummernde Ängste geweckt, die eine sich gleichzeitig abzeichnende nukleare Renaissance wieder aufhalten könnten.
Die Unsichtbarkeit radioaktiver Strahlung provoziert tief sitzende menschliche Ängste. Aber wie gut verständlich diese auch sein mögen, sie sind möglicherweise der falsche Grund, um gegen Atomkraft zu sein. Mehr noch als Sicherheitsfragen sprechen vielleicht noch schlagendere Argumente dafür, dass eine nukleare Renaissance weder wahrscheinlich noch notwendig ist: die Kosten.
Der Preis für Atomkraft steigt seit Jahrzehnten beständig. Seit 1970 sind die Kosten der Gewinnung neuer Kernenergie bei einem konstanten Dollarsatz um das Neunfache gestiegen, da zusätzliche Sicherheitsfunktionen die Konstruktion der Werke teurer machen. Innovationen wie Kugelhaufenreaktoren versprechen erhöhte Sicherheit, sind aber auch mit einem erheblichen, zusätzlichen Kostenaufwand verbunden.
Zudem gehen Skaleneffekte verloren, weil vor diesem Hintergrund wenige Atomkraftwerke gebaut werden. Vergleichbar der Produktion von Jagdflugzeugen steigen die Kosten immer dann sprunghaft in die Höhe, wenn Funktionen hinzugefügt werden, die Produktionsmenge aber klein bleibt. Global gesehen beträgt das Durchschnittsalter von Atomkraftwerken 27 Jahre, also ist vieles von dem, was man beim Aufbau früherer Werke gelernt hat, bereits verloren gegangen.
Eine Ausnahme bildet China, wo ein groß angelegter Konstruktionsplan dafür sorgen könnte, dass die Kosten gesenkt werden. Aber bereits mit der nächsten Generation sicherer Reaktoren steigen die Kosten rasant in die Höhe. Xu Yuanhui von Chinergy, einem Unternehmen, das zwei Kugelhaufenreaktoren baut, äußerte sich kürzlich über die neue Konstruktion: "Sicherheit ist nicht die Frage, aber die Wirtschaftlichkeit ist nicht so klar."
Bei der erneuerbaren Energie kann man exakt das Gegenteil beobachten. Wir lernen schnell auf diesem Feld hinzu, und die Kosten stürzen in den Keller. Das geschieht schon allein aufgrund des Konstruktionsvolumens: 40.000 Windräder im vergangenen Jahrzehnt allein in Europa. Und die Solarenergie wird in sonnigen Regionen wie Südafrika, Griechenland und Florida bis 2015 Netzparität erreichen.
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Die ständig steigende Kostenkurve für Kernenergie und die ständig sinkende Kostenkurve für erneuerbare Energien werden sich unweigerlich irgendwann kreuzen. Die einzige Frage ist, wann das geschehen wird – sehr wahrscheinlich innerhalb der Zehnjahresspanne, die es braucht, bis das nächste Atomkraftwerk in der industrialisierten Welt ans Netz geht. In anderen Worten, bevor wir mit dem Bau des nächsten Atomkraftwerks fertig werden, wird es ein teures und immer irrelevanter scheinendes Relikt aus den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts und aus dem Traum der „Atome für den Frieden“ geworden sein.
Dieser Traum enthielt immer auch den Nukleus eines Alptraums. Während das Risiko, dass die Atomkraft die Ausbreitung von Atomwaffen befördert, der Öffentlichkeit nicht mehr so viel Angst macht, hatten wir bislang in den Augen vieler Beobachter einfach nur Glück: Je größer die Atomwirtschaft wird, desto höher ist auch die Wahrscheinlichkeit eines Fehlers. Auch ohne das Risiko der Verbreitung von Atomwaffen ist es moralisch fragwürdig, künftigen Generationen gefährlichen Müll zu hinterlassen. Wir würden Alexander den Großen mit anderen Augen sehen, hätten seine Eroberungszüge ein giftiges Erbe hinterlassen, mit dem wir heute noch leben müssten.
Die meisten Befürworter der Atomkraft sind durchaus für Sonnen- und Windenergie, behaupten aber im gleichen Atemzug, dass die Erneuerbaren allein keine praktikable Lösung für die notwendige Reduzierung der CO2-Emissionen sein können. Jeden Tag liest man einen weiteren Leitartikel, in dem argumentiert wird, dass Atomkraft unbedingt erforderlich sei, um ein Energiesystem ohne Kohle aufzubauen. Aber ist es denn tatsächlich so, dass ein auf den Erneuerbaren aufgebautes Energiesystem unmöglich ist?
2010 veröffentlichte die Europäische Klimastiftung einen viel beachteten Bericht mit dem Titel Roadmap 2050, der die Kosten und die technische Machbarkeit verschiedener Optionen eines kohlefreien Energiesystems in Europa bis 2050 detailgenau vorstellte. Er entwirft ein Szenario von 80 Prozent erneuerbaren Energien, vervollständigt durch einen Rest Atomkraft und fossilen Energieträgern mit Kohlenstoffbindung und –lagerung.
Zusammengefasst lässt sich sagen, dass die Stiftung zu dem Ergebnis kommt, dass ein auf erneuerbaren Energien basierendes europaweites System sowohl technisch machbar als auch wirtschaftlich ist. Das Problem der oft verteufelten und sehr realen Unbeständigkeit der Versorgung durch erneuerbare Energien wird gelöst durch zusätzliche Erzeugung von Reserveenergie und insbesondere ein neues Gleichstromsupernetz, das einen europaweiten Lastausgleich ermöglicht. Wenn dies langfristig erschwinglich und machbar ist, was ist dann kurzfristig nötig und möglich?
Es verdichten sich die Anzeichen dafür, dass es eine Beziehung zwischen Kohlenstoffreduzierung, Wirtschaftswachstum und der Schaffung neuer Arbeitsplätze gibt. In den vergangen sechs Monaten haben verschiedene Studien des Umweltprogramms der Vereinten Nationen und der John Hopkins Universität sowie ein Vorschlag von sechs führenden europäischen Universitäten prognostiziert, dass noch vor 2020 Millionen neuer Arbeitsplätze geschaffen werden. Und dies sind nicht nur „grüne Jobs“, sondern Jobs, die in allen Industrie- und Servicebereichen aus dem grünen Wachstum entstehen.
Was wir gerade beobachten, ist ein Wendepunkt in der Debatte über Treibhausgase. Wachstum mit niedrigem CO2-Ausstoß erfordert weder Kohle noch neue Atomkraft. Es geht darum, eine ehrgeizigere und konsistentere Klima- und Energiepolitik zu verfolgen, die die Nutzung erneuerbarer Energien massiv fördert. Es geht darum, neue Stromnetze zu installieren, die die zusätzliche Last tragen. Und es gilt sicherzustellen, dass die Energieeffizienz in großem Rahmen Unterstützung findet.
Diese Agenda wird Investitionen stimulieren, Wirtschaftswachstum ankurbeln und Arbeitsplätze schaffen. Gleichzeitig wird sie die Wettbewerbsfähigkeit und Energiesicherheit erhöhen. Sowohl in wirtschaftlicher als auch in ethischer Hinsicht verdient die Atomkraft keine tragende Rolle mehr.