krueger77_Seung-il RyuNurPhoto via Getty Images_south korea Seung-il Ryu/NurPhoto via Getty Images

Südkorea im Kreuzfeuer des Handelskriegs zwischen den USA und China

SEOUL – Südkorea ist nicht nur einer der wichtigsten strategischen Verbündeten der Vereinigten Staaten in Asien, sondern auch einer der größten Handelspartner der USA, insbesondere seit dem Inkrafttreten des amerikanisch-südkoreanischen Freihandelsabkommens (KORUS) im Jahr 2012. Tatsächlich sind die Vereinigten Staaten nach China auch der zweitgrößte Exportmarkt Südkoreas.

Einst eines der ärmsten Länder der Welt, ist Südkorea mit einem nominalen BIP von 1,7 Billionen US-Dollar oder 33.121 US-Dollar pro Kopf heute die vierzehntgrößte Volkswirtschaft der Welt und die viertgrößte in Asien. Das Wirtschaftswunder gerät jedoch durch die sich verändernden geopolitischen Verhältnisse zunehmend in Gefahr, insbesondere durch die eskalierende Rivalität zwischen den USA und China.

Um die Dimension des südkoreanischen Wirtschaftswunders zu verstehen, muss man sich vergegenwärtigen, dass das Pro-Kopf-BIP des Landes am Ende des Koreakriegs 40 Prozent des entsprechenden Werts von Ghana betrug. Nach drei Jahren brutaler Kämpfe, durch die ein Großteil der Infrastruktur zerstört wurde, verfügte Südkorea über wenige natürliche Ressourcen, wies eine negative Sparquote auf und exportierte praktisch nichts.

Mitte der 1950er Jahre präsentierte sich die Lage so desolat, dass 75 Prozent der südkoreanischen Importe aus ausländischer Hilfe bestanden, die fast ausschließlich für Lebensmittel, Textilien und andere lebenswichtige Güter bestimmt war, so dass nur wenig für Investitionen übrig blieb.

Das änderte sich jedoch Ende der 1950er und Anfang der 1960er Jahre, als Südkorea eine Reihe radikaler Wirtschaftsreformen einleitete, darunter die Liberalisierung im Bereich der Finanzwirtschaft und des Handels. In den nachfolgenden drei Jahrzehnten betrug das jährliche BIP-Wachstum im Durchschnitt fast 10 Prozent.

Heute ist Südkorea eine florierende Marktwirtschaft, die in hohem Maße auf den Handel angewiesen ist. Im Jahr 2023 entfielen 44 Prozent des BIP auf Exporte, verglichen mit nur 3 Prozent im Jahr 1960. Der Leistungsbilanzüberschuss lag 2023 bei 2,1 Prozent des BIP, nachdem er zwischen 2012 und 2022 im Durchschnitt 4,9 Prozent des BIP betragen hatte. Darüber hinaus wird das Pro-Kopf-BIP in diesem Jahr voraussichtlich den japanischen Wert übertreffen - eine erstaunliche Leistung, angesichts der Tatsache, dass Japans Pro-Kopf-BIP (gemessen an Kaufkraftparität) 1960 bei 508 US-Dollar lag, das südkoreanische dagegen nur bei 158,3 US-Dollar.

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Freilich steht Südkorea vor erheblichen demografischen und wirtschaftlichen Herausforderungen. Die Fruchtbarkeitsrate ist mit 0,7 Geburten pro Frau die niedrigste weltweit und liegt weit unter dem globalen Durchschnitt von 2,4. Die Bevölkerungszahl könnte sich bis zum Jahr 2100 halbieren, wenn es dem Land nicht gelingt, seine Geburtenrate auf 2,1 zu erhöhen oder eine offenere Einwanderungspolitik zu betreiben.

Um die demografische Krise zu bewältigen, hat die südkoreanische Regierung mehr als 270 Milliarden Dollar für Programme ausgegeben, die Paare dazu ermutigen sollen, mehr Kinder zu bekommen. Unternehmen haben aus Sorge über die Prognosen, wonach die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter bis 2050 um 25 Prozent schrumpfen könnte, eigene Programme aufgelegt. Ein Unternehmen beispielsweise bietet seinen Beschäftigten einen Bonus von 75.000 Dollar pro Neugeborenem. Allerdings liegen kaum Belege dafür vor, dass diese Bemühungen nennenswerte Auswirkungen zeigen.

Dennoch bietet Südkoreas Entwicklung wertvolle Lehren für politische Entscheidungsträger in Industrie- und Entwicklungsländern gleichermaßen. Zuallererst sei gesagt, dass mit genügend Entschlossenheit und der richtigen Wirtschaftspolitik selbst extreme Armut kein Hindernis für rasches Wirtschaftswachstum und steigenden Lebensstandard darstellt, und dass Auslandshilfe und ein offenes Handelssystem entscheidend sind, um beides zu erreichen.

Neben der Unterstützung der wirtschaftlichen Entwicklung fördert die Auslandshilfe auch die nationalen Sicherheitsinteressen der USA. Die US-Hilfe hat etwa dazu beigetragen, aus dem armen, vom Krieg gezeichneten Südkorea eine Wirtschaftsmacht und einen wichtigen strategischen Verbündeten zu machen. Rund 28.000 US-Soldaten sind nach wie vor in Südkorea stationiert, wobei die südkoreanische Regierung einen großen Teil der Kosten trägt. Im Jahr 2022 gab das Land 2,7 Prozent seines BIP für Verteidigung aus und übertraf damit die meisten Nato-Mitglieder sowie das 2-Prozent-Ziel des Bündnisses.

Bedauerlicherweise könnten amerikanische Zölle und Handelsbeschränkungen diese bedeutsame strategische Allianz schwächen. Trotz des Erfolgs von KORUS haben die USA die Zölle auf wichtige südkoreanische Exporte wie Aluminium, Stahl, Halbleiter, Solarpaneele und Waschmaschinen drastisch erhöht. Darüber hinaus verhängten die USA Sekundärsanktionen gegen südkoreanische Unternehmen, die Halbleiter und Anlagen für die Chip-Herstellung nach China exportieren. Diese Beschränkungen haben sich nachteilig auf die südkoreanischen Unternehmen ausgewirkt und die Erholung des Landes nach dem Covid-19-Schock behindert.

Abgesehen von den Zöllen ringt die südkoreanische Industrie immer noch damit, sich an Amerikas neuen Ansatz im Welthandel anzupassen. Der Inflation Reduction Act von Präsident Joe Biden sieht beispielsweise eine Steuergutschrift in Höhe von 7.500 Dollar für in den USA hergestellte Elektrofahrzeuge vor. Entscheidend dabei ist, dass Fahrzeuge oder Batterien, die nicht in den USA hergestellt wurden, für diese Steuergutschrift nicht in Frage kommen, wodurch südkoreanische Hersteller von Elektrofahrzeugen und Batterien benachteiligt werden.

Als Reaktion auf die Kritik hochrangiger Vertreter Südkoreas, die diese Beschränkungen als „Verrat“ bezeichneten, kündigte die Regierung Biden an, mehreren südkoreanischen Herstellern die Geschäftstätigkeit in China doch zu erlauben. Obwohl dadurch der Schaden der Sekundärsanktionen und anderer Unsicherheiten im Zusammenhang mit der US-Handelspolitik teilweise abgefedert wurde, haben südkoreanische Unternehmen ihre Investitionspläne und ihre Geschäftsaktivitäten in China neu überdacht.

Schlimmer noch: Diese Maßnahmen könnten die wirtschaftliche und militärische Zusammenarbeit zu einer Zeit behindern, da die USA ihre Beziehungen zu ihren asiatischen Partnern stärken müssen. Auch wenn der Schutz der nationalen Sicherheitsinteressen der USA und die Förderung des grünen Wandels von großer Bedeutung sind, besteht sicherlich die Möglichkeit, diese Ziele zu verfolgen, ohne dabei zentrale Verbündete zu schädigen.

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Übersetzung: Helga Klinger-Groier

https://prosyn.org/QYdkBn4de