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KI zum Wohle aller

BERKELEY – Viele Medienbeiträge zum Thema künstliche Intelligenz konzentrieren sich auf die möglichen negativen Auswirkungen dieser Technologie. Aus der Science Fiction bekannte Szenarien wie der Krieg zwischen Menschen und Robotern aus der Terminator-Reihe und umstrittene Einsatzmöglichkeiten in der echten Welt, wie die Verbreitung von Deepfakes und die ungefragte Verwendung von Scarlett Johanssons Stimme für den neuen digitalen Assistenten von OpenAI, beflügeln die Fantasie der Öffentlichkeit und wecken Ängste vor einer dystopischen Zukunft.

Zum Glück scheinen sowohl die KI-Branche als auch die Regierung von US-Präsident Joe Biden diese Sorgen ernst zu nehmen. Besonders Bidens Executive Order zum Umgang mit KI vom Oktober 2023 wurde zurecht gelobt, weil sie Regeln für verantwortungsbewusste Innovationen vorgibt. Sie stößt die Entwicklung wichtiger Standards, Instrumente, Prüfungen und Transparenzkriterien an, die für mehr Rechenschaftspflicht sorgen, illegale und gefährliche Anwendungen sowie Desinformationen eindämmen und die Privatsphäre der Nutzer und Rechte des geistigen Eigentums besser schützen.

Als revolutionäre Allzweck-Technologie wird künstliche Intelligenz Gesellschaft und Arbeitsmarkt tiefgreifend verändern. Auch deshalb muss die US-Regierung die Folgen dieser Technologie für die Arbeitswelt untersuchen und die schlimmsten Auswirkungen für Arbeitnehmer durch rasches und entschiedenes Handeln verhindern.

Sie sollte aber nicht nur Beschäftigte und Verbraucher vor potenziellen Risiken schützen, sondern selbst aktiv die Entwicklung von KI-Anwendungen fördern, die dem Allgemeinwohl dienen. Dazu können die USA ihren erheblichen und weiter wachsenden technologischen Vorsprung nutzen.

Allein im vergangenen Jahr haben Risikokapitalgeber weltweit rund 50 Milliarden US-Dollar in die Branche investiert. Prognosen zufolge wird der so ausgelöste KI-Boom die Produktivität um bis zu 0,6 Prozent jährlich steigern. Dadurch kann die Weltwirtschaft wachsen, auch wenn die Erwerbsbevölkerung nur noch langsam zunimmt.

In den USA werden mehr Start-Ups mit KI-Bezug gegründet als im Rest der Welt zusammen, und die aktuelle Rallye am US-Aktienmarkt lässt sich zumindest teilweise mit optimistischen Prognosen zur Zukunft von KI erklären. Mit einer Marktkapitalisierung von 3,3 Billiarden US-Dollar ist der Chiphersteller Nvidia allein mehr wert als der gesamte deutsche Aktienmarkt zusammen. Unternehmen wie Google, Microsoft, Facebook, Apple, Tesla und IBM investieren viele Milliarden Dollar, um KI in ihre Produkte und Dienstleistungen zu integrieren, und die Boston Consulting Group erwartet, dass dieser Technologieboom im Jahr 2024 20 Prozent ihres Umsatzes ausmachen wird. Selbst das schnelle Wachstum des Stromsektors wird durch den enormen Strombedarf großer Sprachmodelle angetrieben.

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KI hat inzwischen auch den Weg in zahlreiche technologiefremde Sektoren gefunden. Im Gesundheitswesen wird sie unter anderem für Diagnosen, personalisierte Therapien, Patientenmanagement, administrative Aufgaben und die pharmazeutische Forschung eingesetzt. Der Finanzsektor nutzt KI-Technologien zur Betrugsbekämpfung, im Risikomanagement und für personalisierte Dienstleistungen. Im herstellenden Gewerbe verbessern diese Technologien Lieferkettenoptimierung, Wartungsabläufe und Qualitätskontrolle und die Landwirtschaft setzt mit integrierter KI auf Präzisionslandwirtschaft mit automatisierter Ernteüberwachung, Schädlingsbekämpfung und prädiktiven Analysen. Sogar Anwaltskanzleien verlassen sich bei Dokumentenprüfung, Recherche, Vertragsanalyse und Compliance-Management zunehmend auf künstliche Intelligenz.

Von Marktkräften getrieben und mit minimalen staatlichen Anreizen fangen diese Branchen an, das Potenzial von KI zu nutzen, um ihre Effizienz zu steigern, Kosten zu senken und ihre Produkte zu verbessern. Wenn es jedoch darum geht, die Nutzung von AI in Gesundheitsversorgung, Verkehr, Bildung und anderen wichtigen öffentlichen Dienstleistungen voranzutreiben, spielt der Staat weiterhin eine entscheidende Rolle.

Auch wenn viele Anwendungen für die öffentliche Hand denen in der Privatwirtschaft ähneln werden, z. B. im Bereich Betrugsbekämpfung, Beschaffung, Risikomanagement, Logistik, Verkehrsmanagement und Softwareentwicklung, müssen andere sorgfältig an die spezifischen Bedürfnisse von Regierungsbehörden angepasst werden. Dies betrifft unter anderem Datenanalyse und -visualisierung, Kundenservice und -support und Verfahren zur Bürgerbeteiligung und wird nur durch wesentlich mehr öffentlich-private Zusammenarbeit und massive Investitionen zur Rekrutierung und Schulung von KI-Experten gelingen.

Wie bei vielen neuen Technologien ist Kalifornien auch bei der Nutzung von KI zum Wohl der Allgemeinheit weltweit führend. Im Mai veranstaltete der Bundesstaat gemeinsam mit der Stanford University und der University of California in Berkeley eine KI-Konferenz und startete ein sechsmonatiges Pilotprogramm, in dem untersucht wird, ob sich generative KI-Tools für Kundensupport, Verkehrslenkung auf Schnellstraßen, öffentliche Sicherheit und ähnliche Aufgaben eignen.

Auch bei der Förderung von Forschung und Entwicklung spielt der Staat eine wichtige Rolle. Die USA geben schon heute 95 Milliarden US-Dollar pro Jahr für Forschung und Entwicklung in den Bereichen Verteidigung und nationale Sicherheit und 61 Milliarden US-Dollar für die medizinische Forschung aus – zwei Bereiche, die sich durch KI dramatisch verändern werden. Der Staat verfügt über gewaltige Mengen – öffentlich zugänglicher und nicht öffentlicher – Daten. Mit diesen Daten ließen sich Open-Source-Anwendungen füttern, die zum Beispiel Verkehrsüberwachung, Wettervorhersagen, Katastrophenschutz und -hilfe, Wirtschaftsstatistiken und das Gesundheitswesen verbessern.

Natürlich muss die Politik dafür sorgen, dass diese Daten korrekt sind, keine Vorurteile reproduzieren und verantwortungsvoll verwendet werden. Dass dies nicht ganz einfach ist, zeigt die verpfuschte Einführung der neuen Antragsformulare zur Studienfinanzierung (FAFSA) in den USA. Trotzdem ist es nicht undenkbar, dass leistungsberechtigte Bürger, sofern sie nicht aktiv widersprechen, bald automatisch in bestimmte staatliche Programme aufgenommen und ihre Daten in behördliche Formulare vorgedruckt werden.

Die vielleicht vielversprechendstes Einsatzmöglichkeit im öffentlichen Sektor ist aber vermutlich die Integration von KI in Angebote der allgemeinen und beruflichen Bildung. Dank der jüngsten Innovationen im Bereich generative KI ist personalisierter Einzelunterricht inzwischen großflächig und kostengünstig umsetzbar. Wie Studien zeigen, könnten diese Tools dazu beitragen, die Lücke zwischen gering qualifizierten und hoch qualifizierten Arbeitnehmern zu schließen. Der Nachhilfebot Khanmigo der Khan Academy ist ein hervorragendes Beispiel für das gewaltige Potenzial von KI im Bildungswesen.

Wie die meisten anderen fortschrittlichen Technologien hat natürlich auch KI potenziell positive und negative Folgen. Mit den richtigen Initiativen und entsprechendem Know-how könnte sie für mehr Innovation, Wettbewerbsfähigkeit und Produktivität sorgen und den öffentlichen Sektor effizienter machen. Um dieses Potenzial voll zu nutzen, muss die US-Regierung jedoch sicherstellen, dass beim Einsatz von KI das Wohl der Allgemeinheit im Zentrum steht. Kalifornien zeigt uns gerade, wie das geht.

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