guriev3_Igor Grussakpicture alliance via Getty Images_russian oil Igor Grussak/picture alliance via Getty Images

Europas Öl-Embargo reicht nicht aus

PARIS – Wladimir Putin braucht Petrodollars, und er braucht sie jetzt. Viele erwarteten, dass der russische Präsident der Ukraine offiziell den Krieg erklären würde, was die vollständige Mobilisierung der russischen Reservekräfte ermöglichen würde. Doch auch wenn Putin mehr Soldaten in die Ukraine schicken möchte, kann er sich dies nicht leisten. Wird ihn das kürzlich angekündigte Ölembargo der Europäischen Union dazu zwingen, die Invasion zu beenden?

Der Kreml hat seine Propaganda bereits heruntergeschraubt. Es ist nicht mehr die Rede davon, Kiew einzunehmen. Putins einziges Ziel ist es jetzt offenbar, die östliche Donbass-Region zu besetzen. Aber selbst dort hat Putin keine Siegesgarantie, denn in dieser Region hat die Ukraine ihre so genannte Joint Forces Operation gestartet, zu der ihre am besten ausgebildeten Militäreinheiten gehören, die zunehmend mit moderner westlicher Militärausrüstung ausgestattet sind.

Russland hingegen hat einen Großteil seiner modernen Militärausrüstung verloren, und aufgrund der westlichen Sanktionen ist es nicht in der Lage, seine Bestände aufzufüllen. Da es nur wenige Optionen gibt, reaktiviert Russland jetzt Panzer aus der Sowjetära.

Die einzige Möglichkeit für Putin, den Mangel an Ausrüstung auszugleichen, besteht darin, mehr Soldaten zu entsenden. Doch die Einberufung neuer Wehrpflichtiger ist unpopulär, so dass Putin dazu übergegangen ist, Menschen dafür zu bezahlen, für Russland zu kämpfen – und das nicht zu knapp. Berichten zufolge erhalten die Rekruten jetzt 3.000 bis 5.000 Dollar pro Monat. Aber die jüngste Entscheidung, die Altersgrenze für Armeerekruten abzuschaffen, deutet darauf hin, dass selbst die Aussicht auf einen Sold, der um einiges über dem Durchschnittslohn in der russischen Region liegt, nicht genügend Kämpfer anzieht.

Kürzlich veröffentlichte Haushaltsdaten des russischen Finanzministeriums legen nahe, dass Putin es sich kaum leisten kann, die steigenden Kosten des Krieges zu decken. Die Daten bestätigen erstens, dass der Krieg teuer ist. Die Militärausgaben sind im letzten Monat um fast 130 % auf 630 Mrd. Rubel (10,2 Mrd. USD) gestiegen, was anteilig 6 % des jährlichen BIP entspricht.

Aus den Daten geht auch hervor, dass Russland im April ein Haushaltsdefizit von mehr als 260 Mrd. Rubel verzeichnete, was 2,5 % des BIP entspricht, wenn man es auf das Jahr umrechnet. Während die Ölpreise weltweit sehr hoch sind, hat Russland sein Öl mit einem enormen Abschlag verkauft – in den letzten Wochen akzeptierte es 70 $ pro Barrel für Ural-Rohöl (30 % unter dem Marktpreis) – während die Gesamtproduktion in diesem Jahr um 10 % zurückgehen dürfte. Inzwischen sind die Einnahmen aus Nicht-Kohlenwasserstoffen eingebrochen, sodass Öl- und Gassteuern mehr als 60 % der Steuereinnahmen ausmachen, verglichen mit weniger als 40 % vor einem Jahr.

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Putins Abhängigkeit von Petrodollars bedeutet, dass die Europäische Union mit der Ankündigung eines Embargos für etwa 90 % der russischen Öleinfuhren innerhalb der nächsten 6 bis 8 Monate Russland dort trifft, wo es weh tut. Putin steht nun mit ziemlicher Sicherheit innerhalb eines Jahres vor einer großen Finanzkrise, die es ihm schwer machen wird, seinen Krieg in der Ukraine aufrechtzuerhalten, geschweige denn in ein anderes Land einzumarschieren.

Das Problem ist, dass das Embargo Putin kurzfristig helfen wird. Allein die Ankündigung des Embargos hat die Ölpreise bereits in die Höhe schnellen lassen. Deshalb sollte Europa sein Ölembargo durch zusätzliche, sofortige Maßnahmen ergänzen. Zwei Optionen bieten sich an.

Die erste – die Ricardo Hausmann unmittelbar nach der Invasion vorgeschlagen hat und die, wie andere gezeigt haben, schnell umgesetzt werden kann – ist ein hoher Zoll auf russische Öleinfuhren. Dieser Ansatz ist wirtschaftlich absolut sinnvoll. Jeder Euro, der für russisches Öl ausgegeben wird, hilft Putin, seine gewalttätige Kampagne in der Ukraine zu finanzieren. Dies ist eine „Blut-Externalität“, die entsprechend bepreist werden sollte. Ein Teil des von den Käufern russischer Kohlenwasserstoffe gezahlten Betrags sollte als Reparationsleistung an die Ukraine überwiesen oder auf speziellen Treuhandkonten hinterlegt werden, bis die Reparationszahlungen formell zugesprochen werden.

Doch in einer Zeit, in der die europäischen Haushalte mit steigenden Energiekosten konfrontiert sind, ist der politische Appetit auf eine Öl-Steuer gering. Vor diesem Hintergrund hat der italienische Ministerpräsident Mario Draghi eine alternative Lösung vorgeschlagen: eine Preisobergrenze. Nach diesem Vorschlag, mit dessen Prüfung der Europäische Rat die Kommission beauftragt hat, würden die westlichen Länder einen niedrigeren Preis für russisches Öl und Gas zahlen und sekundäre Sanktionen gegen Drittländer verhängen, die Russland mehr zahlen.

Eine Preisobergrenze könnte sofort eingeführt werden – sagen wir, bei 70 Dollar pro Barrel – und jeden Monat, in dem der Krieg andauert, um etwa 10 Dollar gesenkt werden. Ja, Putin könnte sich weigern, Öl zu diesem Preis zu verkaufen. Da er aber bereits verzweifelt genug ist, um sein Rohöl an China und Indien mit hohen Preisnachlässen zu verkaufen, und die heutigen Energiepreise die Produktionskosten bei weitem übersteigen, erscheint dies unwahrscheinlich.

Stattdessen würde Russland wahrscheinlich weiterhin Öl und Gas zu dem gedeckelten Preis an westliche Abnehmer liefern, während Abnehmer wie China und Indien unter Androhung von Sanktionen keinen Grund hätten, mehr zu zahlen. Dies würde die Verbraucher von den hohen Energiepreisen entlasten und Russlands Einnahmen stark sinken lassen.

Einige mögen argumentieren, dass Preisobergrenzen die Anreize verzerren – in diesem Fall den Anreiz zur Einführung erneuerbarer Energien. Doch dieses Argument gilt nur für einen Wettbewerbsmarkt. Auf dem heutigen Öl- und Gasmarkt liegen die Preise weit über den Grenzkosten, und das globale Ölkartell OPEC+ (zu dem auch Russland gehört) hat sich erst kürzlich darauf geeinigt, die Produktion im Juli und August zu erhöhen. Der russische Gaslieferant Gazprom hat vermutlich schon vor dem Krieg die Preise in Europa manipuliert. Ein solches monopolistisches Verhalten rechtfertigt eine Preisobergrenze.

Ein weiteres häufiges Argument gegen eine Preisobergrenze ist, dass dadurch ein Schwarzmarkt entstehen könnte. Dies ist ein reales Risiko. Europäische Energieunternehmen haben bereits damit begonnen, russische Erdölerzeugnisse mit anderen zu mischen – eine „lettische Mischung“ –, um von niedrigeren Preisen zu profitieren und gleichzeitig zu behaupten, dass sie Putins Kriegsmaschine nicht unterstützen. Aber diese Unternehmen verstoßen derzeit nicht gegen Gesetze. Dies wäre jedoch der Fall, wenn eine Preisobergrenze eingeführt würde. Angesichts der öffentlichen Empörung über den Krieg, des Engagements des Westens für Sekundär-Sanktionen und der zunehmenden Zahl zivilgesellschaftlicher Ermittlungen, die sich auf Open-Source-Informationen stützen, wäre es sehr schwierig, wenn nicht gar unmöglich, mit solchen Regelverstößen durchzukommen.

Das Ölembargo der EU wird Putin schmerzen, aber nicht früh genug. Europa muss unverzüglich eine Preisobergrenze für russisches Öl und Gas einführen.

Übersetzung: Andreas Hubig

https://prosyn.org/HkNqs1rde