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Wohin ist die ganze Liquidität verschwunden?

CHICAGO/NEW YORK – Das schlechte Funktionieren des Marktes für Staatsanleihen in einem Industriestaat ist ein frühes Warnsignal für eine mögliche finanzielle Instabilität. Im Vereinigten Königreich hat der von der neuen Regierung vorgeschlagene „Mini-Haushalt“ das Schreckgespenst einer untragbaren Staatsverschuldung geweckt und zu einer dramatischen Ausweitung der langfristigen Gilt-Renditen geführt. Die Bank of England erkannte die systemische Bedeutung des Marktes für Staatsanleihen und schritt ein, indem sie ihren Plan, Gilts aus ihrer Bilanz zu nehmen, aussetzte und ankündigte, dass sie in den nächsten zwei Wochen Gilts in einem Umfang kaufen wird, der dem ihrer geplanten Verkäufe in den nächsten zwölf Monaten nahe kommt.

Inzwischen haben sich die Märkte wieder beruhigt. Doch so lobenswert die prompte Reaktion der BOE auch war, so stellt sich doch die Frage, welche Schuld die Zentralbanken an der derzeitigen Schwäche der Finanzmärkte tragen. Denn während sich die langfristigen Gilt-Renditen stabilisiert haben, hat sich die Liquidität auf dem Gilt-Markt (gemessen an den Geld-Brief-Spannen) nicht verbessert. Und auf der anderen Seite des Atlantiks gibt der Markt für US-Staatsanleihen ebenfalls Anlass zu Liquiditätssorgen. Viele Kennzahlen blinken rot, genau wie zu Beginn der COVID-19-Pandemie im Jahr 2020 und nach dem Scheitern von Lehman Brothers im Jahr 2008.

Nach zwei Jahren quantitativer Lockerung (quantitative easing, QE) – bei der die Zentralbanken dem privaten Sektor langfristige Anleihen abkaufen und im Gegenzug liquide Reserven ausgeben – haben die Zentralbanken auf der ganzen Welt begonnen, ihre Bilanzen zu verkleinern, und die Liquidität scheint in nur wenigen Monaten verschwunden zu sein. Warum hat die quantitative Straffung (quantitative tightening, QT) zu diesem Ergebnis geführt? In einem kürzlich gemeinsam mit Rahul Chauhan und Sascha Steffen verfassten Papier (das wir auf der Jackson Hole-Konferenz der Federal Reserve Bank of Kansas City im August vorgestellt haben) zeigen wir, dass die quantitative Lockerung möglicherweise nur schwer wieder rückgängig gemacht werden kann, weil der Finanzsektor von einfacher Liquidität abhängig geworden ist.

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