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Das Problem mit den Kohlenstoffmärkten

GENF – Im Januar wurde aufgedeckt, dass bis zu 90 Prozent der von einem der weltgrößten Zertifizierungsunternehmen genehmigte Emissionszertifikate wertlos sein könnten, sie also die tatsächliche Verringerung von CO2 in der Atmosphäre nicht wirklich abbilden. Auch wenn der Skandal einige schockiert haben mag, eine Überraschung sollte er nicht sein. Die freiwilligen Kohlenstoffmärkte von heute sind einfach nicht zweckmäßig konzipiert.

Die Logik hinter den Märkten für den CO2-Ausgleich präsentiert sich simpel und überzeugend. Müssen Unternehmen für ihre CO2-Emissionen zahlen, haben sie einen starken Anreiz, weniger Emissionen zu verursachen, und es fließt mehr Geld in Aktivitäten, die Emissionen vermeiden, reduzieren oder eliminieren. Ist jedoch ein derart hoher Anteil zertifizierter Kompensationen von minderer Qualität, muss das Konzept ganz klar als gescheitert betrachtet werden. Angesichts der zentralen Bedeutung von Ausgleichszahlungen für die Netto-Null-Verpflichtungen von Unternehmen verheißt dies nichts Gutes für die globalen Klimaschutzmaßnahmen.

Erschwerend kommt hinzu, dass unzureichend regulierte Märkte für CO2-Kompensationen den Aufstieg so genannter „Carbon Cowboys” ermöglicht haben. Dabei handelt es sich um Händler von Emissionszertifikaten, die den Firmen und Gemeinden im globalen Süden für wenig Geld die von diesen angebotenen naturbasierten Offsets abluchsen und diese dann mit Aufschlag an Kunden in den Industrieländern weiterverkaufen.

Viele Klimaschützende argumentieren, dass jeder marktorientierte Ansatz grundsätzlich fehlerbehaftet sei, da er es Unternehmen ermögliche, durch den Kauf von Kompensationen CO2 aus ihren Bilanzen zu entfernen, ohne die Emissionen tatsächlich zu reduzieren. Auf diese Weise, so argumentieren Kritiker, entziehen sich Unternehmen dem öffentlichen und politischen Druck zur Umstellung ihrer betrieblichen Aktivitäten und die Entkarbonisierung verlangsamt sich.

Das Problem mit dem System der CO2-Kompensation besteht jedoch nicht darin, dass es marktbasiert ist. Problematisch ist vielmehr, dass es an einem soliden Governance-Rahmen fehlt, der sicherstellt, dass der Markt seinem öffentlichen Auftrag nachkommt. Selbst Märkte mit umstrittenem Ruf, wie Finanz- und Pharmamärkte, unterliegen Regeln, die über die reine Qualitätszertifizierung der gehandelten Produkte hinausgehen, um eine gewisse Rechenschaftspflicht der Marktteilnehmer zu gewährleisten und – oftmals auch – um die Preise festzulegen, die verlangt werden dürfen.

Im Gegensatz dazu stützen sich die freiwilligen Kohlenstoffmärkte fast ausschließlich auf private Zertifizierungsmodelle, die vermeintlich bestätigen, dass eine bestimmte Menge an Treibhausgasen - eine Tonne CO2-Äquivalent pro Emissionszertifikat - entweder gar nicht in die Atmosphäre gelangt ist oder von dort entfernt wurde. Die Zertifizierung spielt zwar eine wichtige Rolle, kann aber nur funktionieren, wenn sie durch einen umfassenderen Governance-Rahmen unterstützt wird. Ebenso wenig wie wir etwa die Bereiche Lebensmittel oder Arzneimittel ausschließlich auf Grundlage freiwilliger, zertifizierungsbasierter Systeme regeln würden, sollten wir dies im Falle von CO2-Emissionen tun.

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Die gute Nachricht lautet, dass sowohl auf nationaler Ebene als auch durch private internationale Initiativen wie den Integrity Council for the Voluntary Carbon Market Anstrengungen unternommen werden, um die Governance der freiwilligen Kohlenstoffmärkte zu stärken. Die Taskforce on Nature Markets bringt ihrerseits Vorschläge für eine tragfähige Governance aller Naturmärkte, also auch der Kohlenstoffmärkte, ein.  Allerdings gilt es, Geschwindigkeit, Ambition und Wirkung dieser Bemühungen zu erhöhen.

Der Aufbau glaubwürdiger, effektiver Märkte für CO2- und Biodiversitätszertifikate erfordert Fortschritte an mehreren Fronten. Es bedarf eines grundlegenden Maßes an Transparenz und Rechenschaftspflicht, damit alle genau sehen können, welche Geschäfte von wem getätigt werden. Es gilt, Händler zu akkreditieren, nicht zuletzt, um dem Phänomen der Carbon-Cowboys ein Ende zu setzen. Die Stimmen der Betroffenen müssen gehört und Akteure mit Interessen sichtbar gemacht werden. Das würde dem Markt wichtige Signale im Hinblick auf Qualität vermitteln und dafür sorgen, dass qualitativ minderwertige Kompensationen und fehlerhafte Zertifizierungen an Attraktivität und Wert einbüßen und Menschenrechte geschützt werden.

Es ist auch an der Zeit, Preisuntergrenzen festzulegen, um qualitativ minderwertige Kompensationen und Akteure zu verdrängen und gerechtere Ergebnisse zu erzielen, insbesondere für den globalen Süden sowie für indigene Völker und lokale Gemeinschaften.

Schließlich müssen auch die internationalen Governance-Regelungen ausgebaut werden. Grundsätze und Leitlinien reichen nicht aus, um zu gewährleisten, dass minderwertige Produkte, ungerechte Verträge, unseriöse Händler und ganz allgemein Märkte, die nicht den vereinbarten Mindeststandards entsprechen, nicht mehr vorkommen.

In all diesen Bereichen wäre es relativ einfach, vielversprechende Lösungen zu entwickeln, Pilotprogramme durchzuführen und erfolgreiche Initiativen auszuweiten. Diese Bemühungen sollten sich auf bestehende Plattformen und Initiativen stützen, wo man Marktakteure, Zivilgesellschaft, Vertretungen indigener Völker und lokaler Gemeinschaften, Fachleute und politische Entscheidungsträger zusammenbringt. Digitale Instrumente wie die so genannten Smart Contracts können den Fortschritt beschleunigen, insbesondere wenn es darum geht, Transparenz und Rechenschaftspflicht zu erhöhen.

Die richtige Ausgestaltung der Märkte für CO2- und Biodiversitätszertifikate ist ein entscheidender Faktor für das Erreichen unserer Ziele in den Bereichen Klima- und Naturschutz sowie der allgemeinen Entwicklungsziele. Bleiben wir erfolglos, könnten die erwähnten Ziele unerreichbar werden. Ohne umfassende Runderneuerung werden diese Märkte wohl eher Teil des Problems sein.

Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier

https://prosyn.org/SfuzoGXde