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Wohin wird der KI-Superzyklus führen?

LONDON: Das derzeitige Tempo der Fortschritte bei der generativen künstlichen Intelligenz (KI) macht es schwierig, vorherzusagen, wie sich diese Technologie auf Volkswirtschaften, Unternehmen und Gesellschaft auswirken wird. Nichtsdestotrotz scheint schon jetzt klar, dass die neuen KI-Anwendungen eine enge Kohorte von Gewinnern hervorbringen und zu einer kleineren Erwerbsbevölkerung führen werden, was die Regierungen vor große politische Herausforderungen stellen wird.

Betrachten wir, wie die KI die drei Schlüsselkomponenten des Wachstums beeinflussen wird: Kapital, Arbeit und Produktivität. Was das Kapital angeht, so stellt das massive Investitionsvolumen, das erforderlich ist, um KI-Innovationen voranzutreiben, sicher, dass es nur eine kleinere, stärker konzentrierte Gruppe von Gewinnern geben wird. Nur große Technologieunternehmen mit Monopolen in ihren jeweiligen Märkten können die mit der Entwicklung, dem Training und dem Betrieb großer Sprachmodelle (LLMs) verbunden enormen Kosten bewältigen.

Diese Kosten resultieren weitgehend aus dem Einsatz von High-End-Grafikprozessoren (GPUs) sowie dem Betrieb und der Kühlung riesiger Rechenzentren. Sam Mugel, Chief Technology Officer von Multiverse, schätzt, dass das in Kürze anstehende Training der nächsten Generation von LLMs mindestens eine Milliarde Dollar kosten wird. Allein 2023 haben die „glorreichen Sieben“ – die führenden Technologieunternehmen der USA – insgesamt 370 Milliarden Dollar für Forschung und Entwicklung bereitgestellt. Das entspricht in etwa dem gesamten F&E-Budget der Europäischen Union (Unternehmen und öffentlicher Sektor).

Was die Arbeit betrifft, so ist es noch zu früh, um vorherzusagen, wer die Gewinner und Verlierer sein werden oder wie die mit der KI verbundenen Gewinne und Verluste innerhalb der Wirtschaft verteilt werden werden. Während ein Bericht von Goldman Sachs aus dem Jahr 2023 schätzt, dass die KI „das Äquivalent von 300 Millionen Vollzeitarbeitsplätzen der Automatisierung aussetzen könnte“, deutet eine Umfrage des Weltwirtschaftsforums unter 803 Unternehmen auf viel geringere Nettoverluste hin, was auf die Schaffung von Arbeitsplätzen im Zusammenhang mit Investitionen in die ökologische Wende und die Anpassung an den Klimawandel zurückzuführen ist.

So oder so fürchten viele, dass die KI zu langfristiger struktureller Arbeitslosigkeit beitragen und eine arbeitslose Klasse hervorbringen wird, die sowohl qualifizierte als auch ungelernte Arbeiter umfasst. Aber während die obigen Projektionen eine Basis für das bieten, was passieren könnte, gibt es reichlich Spielraum, unser Denken zu präzisieren. Schließlich hängt das Ausmaß des Problems davon ab, welche Arbeitsplätze an unterschiedlichen Punkten der KI-Wertschöpfungskette verloren gehen.

Noch ist nicht ersichtlich, welche Folgen Arbeitsplatzverluste an einem Glied der Kette anderswo im Technologiesektor, geschweige denn in der breiteren Wirtschaft, nach sich ziehen werden. Chip-Hersteller, die Anbieter von KI-Infrastruktur und KI-Anwendungen sowie Sektoren wie Gesundheitswesen, Bildung und Telekommunikation werden sämtlich von KI-Innovationen profitieren, doch die Auswirkungen auf die Arbeitsplätze könnten stark variieren. An der Basis der Technologie gibt es bereits ein enormes Wachstum und eine entsprechende Schaffung von Arbeitsplätzen, da die Chip-Hersteller (wie Nvidia) Fertigungsanlagen bauen und in Produktionskapazitäten investieren, die die KI-Revolution vorantreiben werden.

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Weniger klar ist, wie viele Arbeitsplätze anderswo geschaffen oder verlorengehen werden, da niemand vorhersagen kann, auf welche Weise eine neue Technologie genutzt werden wird oder welche Folgewirkungen sie haben könnte. Erste Anzeichen für die Auswirkungen der KI auf die langfristigen Effizienz- und Produktivitätssteigerungen sind ermutigend – zumindest für jene Arbeitnehmer, die dann noch Arbeitsplätze haben werden. Eine Studie von Erik Brynjolfsson, Danielle Li und Lindsey R. Raymond aus dem Jahr 2023 ergab beispielsweise, dass KI-Tools die Produktivität der Arbeitnehmer im Durchschnitt um 14 % und die neuer und geringqualifizierter Arbeitnehmer um 34 % steigerten.

Der technologische Fortschritt hat eine lange Erfolgsbilanz bei der Verbesserung der globalen Vernetzung im Handel und in der Telekommunikation, der Ausweitung des Zugangs zu öffentlichen Gütern wie Gesundheitsversorgung und Bildung, der Förderung der Innovation, der Verbesserung des Lebensstandards und letztlich der Förderung eines breiten Wirtschaftswachstums. Es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass die KI nicht dasselbe tun wird.

Darüber hinaus dürfte sich die KI schneller innerhalb der breiteren Wirtschaft ausbreiten als frühere Technologien. Dies bedeutet, dass KI-bedingte Produktivitäts- und Effizienzsteigerungen eher früher als später eintreten könnten. Frühere Basistechnologien (wie die Dampfmaschine, die Elektrifizierung und der PC) erforderten enorme Ausgaben für den Aufbau der zugrundeliegenden Infrastruktur. Es dauerte mehr als 40 Jahre, bis in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Elektrizität allgemeine Verbreitung fand, und etwa ein Jahrzehnt, bis in den 2010er Jahren Smartphones eine Durchdringungsrate von 90 % erreichten. Die KI hingegen kann über bestehende digitale Plattformen und Geräte bereitgestellt werden.

Die Folge dürfte laut einer Prognose von PwC sein, dass der KI-Superzyklus bis 2030 Produktivitätszuwächse und ein zusätzliches Wirtschaftswachstum in der Größenordnung von weltweit etwa 16 Billionen Dollar hervorbringt. Doch werden diese Gewinne hauptsächlich den Kapitaleignern zugutekommen und weniger einer potenziell schrumpfenden Erwerbsbevölkerung. In einer Ära weniger arbeitsintensiven Wachstums werden viele Unternehmen und Branchen ihre Geschäftsmodelle anpassen (durch Erhöhung des Verhältnisses von Kapital zu Beschäftigung), und die Regierungen werden ihre Steuer- und Sozialpolitik überdenken müssen.

Wenn den Kapitaleignern größere wirtschaftliche Gewinne zufließen, müssen sich die Steuern entsprechend ändern. Zum Beispiel könnte ein viel höherer Körperschaftssteuersatz erforderlich sein, um die durch die Automatisierung und kleinere Belegschaften bedingten Gewinnüberschüsse abzuschöpfen. Was das Sozialsystem angeht, so wird die Gefahr einer KI-bedingt steigenden strukturellen Arbeitslosigkeit die Debatten über bisher radikale Vorschläge wie ein universelles Grundeinkommen neu beleben.

Wir müssen über die Auswirkungen der KI auf die Ungleichheit sowohl innerhalb von Ländern – zwischen Kapital und Arbeit – als auch zwischen Ländern nachdenken. Die zunehmende Kluft zwischen technologischen Vorreitern wie den USA und China und der übrigen Welt – insbesondere den ärmsten Volkswirtschaften – lässt für ein ohnehin schon angespanntes geopolitisches Umfeld nichts Gutes erahnen.

Aus dem Englischen von Jan Doolan

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