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Künstliche Intelligenz

BERLIN – Wir leben in bewegten, man könnte sogar mit einigem Fug und Recht sagen, in „wilden“ Zeiten. Die Geschichte scheint sich in unseren Zeiten zu überschlagen. Warum?

Die Menschheit wird von drei großen, globalen Transformationskrisen gleichzeitig heimgesucht. Jede dieser drei globalen Transformationen – Geopolitik, Klimawandel, Digitalisierung – wäre für sich allein genommen schon eine gewaltige Herausforderung. Aber alle drei Transformationen zusammen und das auch noch zur selben Zeit stellen eine bis dato kaum gekannte globale Megakrise dar, welche die Möglichkeiten der heute bekannten politischen und kulturellen Systeme zu überfordern droht.

Neben den nur schwer absehbaren komplexen Folgen der Klimakrise ist es vor allem die digitale Transformation, in der in diesem Jahr 2023 die Menschheit eine neue technologische Tür, nämlich die Pforte der Künstlichen Intelligenz (KI), geöffnet hat und sie konsequenter Weise auch durchschreiten wird.

Die Folgen dieser Zäsur sind ebenfalls schwer absehbar, wenngleich anders als die Folgen der Klimakrise, und das ist ein überaus wichtiger Unterschied, noch längere Zeit aufhalt- und umkehrbar, auch wenn die historische Erfahrung und immanente Logik menschlicher Forschung und Technologieentwicklung kaum wahrscheinlich sein lässt.

Um die Jahreswende 2022/23 hat die kalifornische Firma OpenAI das KI Programm ChatGBT veröffentlicht und damit global einen regelrechten Run nach der neuen Technologie ausgelöst. Mit dem Beginn der Epoche der künstlichen Intelligenz hat die Digitalisierung eine qualitativ völlig neue Stufe erreicht, welche unsere gesamte Lebens- und Produktionsweise fundamental verändern wird.

Das Verhältnis von Mensch und Maschine wird sich damit perspektivisch umkehren. Die Maschine wird sich, aufgrund ihrer überlegenen Rechenleistung und Geschwindigkeit, einer schnell wachsenden Datenflut und ihrer zunehmenden Wahrnehmungsfähigkeit dank einer immer umfassenderen und verfeinerten Sensorik dem Menschen als zuerst unverzichtbar und schließlich auch als überlegen erweisen.

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Die Frage, die damit aufgeworfen wird, ist die nach der Vertauschung von Subjekt (Mensch) und Instrument (Maschine). Lernfähige Maschinen mit überlegenem Wissen werden den Menschen auf den zweiten Platz verweisen.

Das bereits von dem deutschen Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel wenige Jahre nach dem Wechsel vom 18. zum 19. Jahrhundert in seinem epochemachende Werk über die „Phänomenologie des Geistes“ analysierte „Dialektik von Herr und Knecht“ kommt hier zum Tragen.

Der Herr bestimmt und genießt die Früchte fremder Arbeit, der Knecht trägt die Mühsal der Arbeit und der Unterwerfung unter den Herrn, lernt aber dabei aber die Gestaltung der Welt und wirft eines Tages das Joch ab. Wie wird sich diese Dialektik in dem Verhältnis Mensch/Maschine gestalten?

Dies wird eine völlig neue, zentrale Frage in der weiteren Geschichte der Menschheit sein. Lässt sich ein Überleben der Gattung Mensch auf einem Hochtemperaturplaneten Erde (5 °C und mehr mittlerer Jahrestemperaturanstieg) ohne eine KI-basierte technologische Zivilisation überhaupt vorstellen?

Und was wird unter diesen radikal anderen und neuen Bedingungen aus der politischen Verfasstheit menschlicher Gesellschaften? Was aus ihren Staaten und der scheinbar immerwährenden Staatenkonkurrenz bis hin zur Rivalität und ihren Kriegen. Wird auch in diesem Bereich die künstliche Intelligenz das Kommando übernehmen?

Und schließlich: Wird dieser Schritt durch das Tor der künstlichen Intelligenz, befeuert durch diese drei Transformationskrisen, die sich zu einer einzigen, langwährenden Megakrise vereinigen werden, zu der Entwicklung von einer menschlichen Zivilisation hin zu einer künstlichen Zivilisation führen, der schlussendlich aber das „Humane“ fehlen wird? Es wäre ein seltsamer, aber durchaus wahrscheinlicher Endpunkt der Dialektik der Aufklärung.

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