mazzucato57_Bill PuglianoGetty Images_uaw Bill Pugliano/Getty Images

Autostreiks und Klimawandel

NEW YORK: Der erste Streik der Gewerkschaft United Auto Workers (UAW) überhaupt gegen die sogenannten „Großen 3“ (General Motors, Ford und Chrysler-Eigentümer Stellantis) unterstreicht die Notwendigkeit, Klimaschutz, Wirtschaftswachstum und Arbeitnehmerrechte zur Deckung zu bringen. Staatliche Maßnahmen, die darauf zielen, Produktion und Verkauf von Elektrofahrzeugen zu steigern, haben die Kraft, Innovation und Investitionstätigkeit des privaten Sektors in einer Weise anzuschieben, von der die Arbeitnehmer profitieren. Doch erfordert die Ausschöpfung dieses Potenzials ein neues Verständnis der Rolle, die Regierung und Arbeitnehmer dabei spielen, positive wirtschaftliche Veränderungen in großem Maßstab voranzutreiben.

Zwar hat die UAW klargestellt, dass sie eine Umstellung auf eine kohlenstoffarme Zukunft nicht ablehnt. Doch sie beharrt darauf, dass diese Umstellung die Schaffung bzw. den Erhalt „guter“ Arbeitsplätze mit umfassen müsse. Die allgemeinere Schlussfolgerung hieraus ist, dass es der ökologischen Wende, wenn sie nicht in umfassender Weise zu Gerechtigkeit am Arbeitsplatz und wirtschaftlicher Fairness führt, an der nötigen politischen Unterstützung fehlen wird, um aus den Startblöcken zu kommen. Und machen wir uns nichts vor: Nur Regierungen haben die Macht, diese wirtschaftliche Wende voranzutreiben und dabei gleichzeitig sicherzustellen, dass sie das Leben der arbeitenden Menschen verbessert. Hier ist, was sie tun müssen.

Erstens können und sollten Staaten mehr tun, um Investitionstätigkeit, Innovation und Wachstum eine allgemeine Richtung zu geben. Durch Festlegung mutiger Klimaziele oder „Missionen“ mit ehrgeizigen, messbaren Zielvorgaben können sie für fokussierte öffentliche und private Investitionen sorgen und sektorübergreifend Innovationen auslösen.

Klimabedingte Missionen wie der allmähliche Ausstieg aus Verbrennungsmotoren, die Dekarbonisierung des Energienetzes oder die Direktreduktion in der Stahlproduktion (wie in Deutschland) – werden den Kampf gegen den Klimawandel voranbringen und auf diese Ziele ausgerichteten Unternehmen enorme Chancen eröffnen. Doch damit dieser Ansatz in dem Zeitrahmen funktioniert, den uns die Klimaforscher gesetzt haben, bedarf es der Fokussiertheit und Dringlichkeit einer Mobilmachung in Kriegszeiten.

Derartige Situationen haben bereits in der Vergangenheit häufig Innovationen ausgelöst und geholfen, in den umrissenen Bereichen großmaßstäbliche private Investitionen anzustoßen. Und dabei haben sie in zentralen Momenten unserer Geschichte eine breitere Würdigung der schwer arbeitenden Normalbürger gefördert.

Ein nachhallendes Beispiel ist der von Walter Reuther von der UAW (derselben Gewerkschaft, die derzeit streikt) im Zweiten Weltkrieg geleistete Beitrag. Reuther verabscheute den Faschismus und erkannte zugleich eine Chance für die Arbeitnehmer. Im Jahr 1940 verlangte die UAW unter seiner Führung erfolgreich, dass die amerikanischen Automobilunternehmen in einem viel kürzeren Zeitrahmen auf die Kriegsproduktion umstellen sollten, als deren Management vorgeschlagen hatte. Hätte sich die Gewerkschaft nicht diese proaktive Position zu eigen gemacht, hätte die Mobilmachung der USA für den Krieg womöglich viel länger gedauert – oder wäre komplett gescheitert.

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Zweitens können die Regierungen die Bedingungen für den Zugriff auf öffentliche Fördermittel festlegen, um die Empfängerunternehmen zur Umsetzung fairer Arbeitsrichtlinien zu verpflichten, Aktienrückkäufe zu begrenzen, ihre Geschäftstätigkeit mit den Klimazielen zur Deckung zu bringen und ihre Gewinne in die Arbeitnehmer und in Forschung und Entwicklung zu reinvestieren. Dies kann die Umwidmung bestehender Subventionen umfassen, um der Autobranche und den verbundenen Sektoren Anreize für eine mit der ökologischen Wende im Einklang stehenden Umgestaltung zu geben. Die Voraussetzungen für öffentliche Zuschüsse, Kredite oder Kapitalbeteiligungen, Steuervorteile und andere Anreize sind sämtlich starke Hebel, um den öffentlichen Nutzen maximal zu steigern.

So umfassen etwa der CHIPS & Science Act und der Inflation Reduction Act in den USA einige als „Leitplanken“ bezeichnete Bestimmungen, die Aktienrückkäufe begrenzen und Vorgaben zu Gewinnbeteiligungen, Arbeitsbedingungen, Löhnen sowie der Aus- und Weiterbildung der Arbeitnehmer enthalten. Doch so wichtig diese Schritte sind: Die aktuelle US-Industriestrategie tut noch zu wenig, um die ausreichende wirtschaftliche Macht der Arbeitnehmer sicherzustellen. Diese jedoch ist unverzichtbar, um jene umfassende Unterstützung hervorzubringen, die zur Bewältigung der Umstellung auf eine kohlenstoffarme Wirtschaft erforderlich ist.

Zu guter Letzt müssen die Regierungen mit ihrer Gewohnheit brechen, Beratungsunternehmen zu beauftragen, und stattdessen in den Aufbau eigener Kapazitäten investieren. Ansonsten werden sie nicht in der Lage sein, die notwenige Führungsstärke aufzubringen, um Wachstums-, Klimaschutz- und Arbeitsziele zur Deckung zu bringen.

Um zum Beispiel der USA zurückzukehren: Die jüngsten Gesetze zur Industriestrategie spiegeln ein Verständnis dieses Problems wider, doch ihre Regelungen für die Arbeitnehmer sind relativ unausgewogen. Besonders krass ausgeprägt ist diese Kluft im Automobilsektor. Obwohl die Arbeitnehmer während der COVID-19-Pandemie als „unentbehrlich“ bezeichnet und aufgefordert wurden, in einem hochriskanten Umfeld zu arbeiten, wurden die Unternehmensgewinne – trotz hoher Staatshilfen für die Branche im Gefolge der Finanzkrise von 2008 – nicht fair mit den Belegschaften geteilt.

Nun bedrohen diese Lücken beim Schutz der Arbeitnehmer die Realisierbarkeit der kompletten ökologischen Wende. UAW-Präsident Shawn Fain hat im letzten Frühjahr Befürchtungen geäußert, dass die von der Regierung Biden mobilisierten öffentlichen Gelder ungewollt die Vernichtung von Mittelschicht-Arbeitsplätzen in der Automobilindustrie subventionieren könnten, weil die Umstellung auf Elektrofahrzeuge den Arbeitsstandards für die Arbeiter an den Produktionsbändern keine Priorität einräume.

Deutlich zeigt sich dies an Orten wie Lordstown (Ohio), wo Sie gewerkschaftlich organisierte General-Motors-Montagewerke vorfinden, die einen Stundenlohn von 32 Dollar zahlen, und neu errichtete Werke für die Batterieproduktion (teilweise im Besitz desselben Unternehmens), wo der Eintrittslohn lediglich 16,50 Dollar pro Stunde beträgt. Es ist kein Wunder, dass die UAW dort eine erfolgreiche Organisationskampagne durchgeführt hat.

Wenn die Regierungen den Klimawandel erfolgreich bekämpfen wollen, müssen sie einen klaren Wachstumskurs vorgeben, dessen letztliches Ziel eine nachhaltige und inklusive Wirtschaft ist. Öffentliche Fördermaßnahmen und Wirtschaftspartnerschaften müssen sämtlich darauf ausgelegt sein, nicht nur die Risiken, sondern auch die Vorteile der Umstellung mit den Arbeitnehmern und der Bevölkerung im Allgemeinen zu teilen.

Was wir vorschlagen, ist von den politischen Zielen, wie sie Politiker wie Präsident Joe Biden und Bundeskanzler Olaf Scholz geäußert haben, nicht weit entfernt. Doch gehen jene nicht weit genug. Die Politiker sollten sich bewusst machen, dass, wenn UAW-Streikposten in Toledo (Ohio) „Keine Gerechtigkeit, keine Jeeps“ skandieren, der kritische Subtext dieser Botschaft „Keine Gerechtigkeit, keine [ökologische] Wende“ lautet.

Um die Innovation in dem zur Vermeidung einer Klimakatastrophe erforderlichen Maßstab und Tempo voranzutreiben, müssen die Regierungen einen neuen Gesellschaftsvertrag mit Unternehmen und Gewerkschaften schließen. Solange gute Arbeitsplätze und Arbeitnehmerrechte lediglich als optionale Extras im Kampf gegen den Klimawandel betrachtet werden, führen wir einen aussichtslosen Kampf.

Aus dem Englischen von Jan Doolan

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