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Ein dreifaches Hoch auf die Hybridarbeit

NEW HAVEN – In der Debatte darüber, ob Unternehmen eine vollständige Rückkehr zur Büroarbeit fordern sollten, mangelt es nicht an Übertreibungen. Laut Ken Griffin von Citadel verdankt der Hedgefonds seinen Rekordgewinn von 16 Mrd. Dollar im vergangenen Jahr der Vollzeitpräsenz seiner Mitarbeiter im Büro. Doch solche Schlagworte lassen alle Vorteile außer Acht, die die Telearbeit für Arbeitgeber, Arbeitnehmer und die Wirtschaft im Allgemeinen bietet.

Dass Arbeitnehmer die Telearbeit bevorzugen, erachten Kritiker als Ausdruck von Anspruchsdenken oder „stiller Kündigung“ (sie tun das Nötigste, um ihren Arbeitsplatz zu behalten). Doch dieses vorschnelle Urteil ist viel zu grob. Eine aktuelle Studie des Opportunity Insights Lab des Ökonomen Raj Chetty von der Harvard Universität schätzt, dass es in den Vereinigten Staaten etwa 2,6 Millionen Menschen gibt, die arbeiten sollten, es aber nicht tun. In einer Zeit, in der viele Arbeitgeber offene Stellen nicht besetzen können, vergrößert das Angebot von mehr Flexibilität sowohl den Bewerberpool als auch die Verbleibsquote, was den Einstellungsdruck mindert.

Zufriedenere Mitarbeiter sind in der Regel auch produktiver. Umfragedaten über die Einstellung zur Fernarbeit aus mehreren Ländern zeigen, dass viele Arbeitnehmer von ihrer eigenen Produktivität während der Pandemie überrascht waren. Die Fernarbeit ersparte ihnen stundenlange, anstrengende Pendelfahrten, und sie konnten ihre Tage so einteilen, dass sie ihre Arbeit dann erledigten, wenn sie sich am produktivsten fühlten. Vor allem Frauen und Eltern kleiner Kinder wussten diese neu gewonnene Flexibilität zu schätzen – und nutzten sie am meisten.

Ganz allgemein bietet die Telearbeit talentierten Menschen, die zuvor durch Zeit- oder Mobilitätsbeschränkungen benachteiligt waren (darunter nicht nur Frauen und Eltern, sondern auch Menschen mit Behinderungen), mehr Möglichkeiten zur Teilnahme am Arbeitsmarkt. Forschungen von Claudia Goldin von der Harvard Universität zeigen, dass die Notwendigkeit, zu vorgeschriebenen Zeiten lange außerhalb des Hauses zu arbeiten, eine der größten Herausforderungen für Frauen (insbesondere für Frauen mit Hochschulbildung) auf dem Arbeitsmarkt darstellt.

Fernarbeit könnte also dazu beitragen, einen Teil der Spannungen zwischen Beruf und Familie zu beseitigen. Doch wie uns die Pandemie gelehrt hat, erfordert die optimale Nutzung der Arbeit von zu Hause ergänzende Maßnahmen, insbesondere eine angemessene Kinderbetreuung. Andernfalls wird die Telearbeit Frauen nicht von der Doppelbelastung einer Vollzeitbeschäftigung und der Bewältigung von Haushalts- und Kinderbetreuungsaufgaben befreien.

Wenn sie auf breiter Basis eingeführt und von den richtigen politischen Maßnahmen begleitet wird, würde die Telearbeit weitreichende Vorteile für die Gesamtwirtschaft bringen. Sie würde die Arbeitskosten und damit den Inflationsdruck senken, da die Arbeitnehmer an billigere Standorte umziehen könnten. Und diese Verlagerungen könnten wiederum die Kosten für Verkehrsstaus senken, so dass das Pendeln für diejenigen, die weiterhin physisch am Arbeitsplatz anwesend sein müssen, einfacher und kostengünstiger wird.

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Auf den Immobilienmärkten würden die Mieten und Hauspreise geografisch gleichmäßiger verteilt. Dies könnte zwar zu einem Preisanstieg in einigen bisher günstigen Lagen führen, würde aber die außerordentlich hohen Mieten und Hauspreise in stark überlasteten Gebieten wie dem Großraum New York City oder der San Francisco Bay Area beseitigen.

Natürlich gibt es auch einige Nachteile zu bedenken. In einigen Branchen befürchten die Arbeitgeber, dass das Fehlen von Strukturen, einer „Bürokultur“ oder der Möglichkeit, die Fortschritte der Mitarbeiter zu überwachen, zu einer geringeren Produktivität führen wird. Und da die Arbeit aus der Ferne in vielen Branchen – von der Gastronomie bis zum Gesundheitswesen – keine Option ist, könnte ihre Verbreitung die Ungleichheit auf dem Arbeitsmarkt noch verstärken.

Dennoch würden selbst die Arbeitnehmer, die jeden Tag anwesend sein müssen, indirekt von der Telearbeit profitieren, da die Pendlerkosten, Mieten und Immobilienpreise sinken. Wenn die Märkte richtig funktionieren, sollte es außerdem einen Ausgleich für die Präsenzarbeit in der Firma geben. Die Arbeitnehmer scheinen für diesen Kompromiss bereits offen zu sein. Jüngsten Schätzungen zufolge wären Arbeitnehmer im Durchschnitt bereit, auf 5 % ihres Gehalts zu verzichten, um 2 bis 3 Tage pro Woche von zu Hause aus zu arbeiten.

Kritiker der Telearbeit argumentieren auch oft, dass persönliche Interaktion (am sprichwörtlichen Wasserspender) Kreativität und Innovation fördert, als ob sie damit sagen wollten, dass neue Ideen niemals bei einem Zoom-Meeting am Bildschirm entstehen. Und natürlich schätzen viele Arbeitgeber und Arbeitnehmer (insbesondere jüngere Jahrgänge) eine gute Bürokultur. Die meisten dieser Bedürfnisse können jedoch durch hybride Modelle erfüllt werden, bei denen die Mitarbeiter an einigen wenigen, vorher festgelegten Tagen pro Woche oder Monat physisch anwesend sind.

Schließlich stimmt es, dass die weit verbreitete Einführung von Tele- oder Hybridarbeit schwerwiegende Auswirkungen auf die Zukunft der Stadtzentren hätte, insbesondere derjenigen, die als weniger attraktiv oder wettbewerbsfähig gelten. Viele lokale Arbeitsplätze, insbesondere im Dienstleistungs- und Unterhaltungssektor, würden verloren gehen und zu einem Teufelskreis des städtischen Niedergangs beitragen. Und doch scheinen die Vorteile der Fernarbeit und insbesondere der hybriden Arbeit die Nachteile zu überwiegen, vor allem wenn diese Arbeit durch ergänzende Maßnahmen zur Kinderbetreuung und zur Förderung der Stadtentwicklung ergänzt wird.

Die COVID-19-Pandemie war für alle schrecklich. Aber wie jede Krise hat sie uns einige wertvolle Lektionen erteilt und die Innovation in bestimmten Sektoren beschleunigt. Fern- und Hybridarbeit sind ein Silberstreif am Horizont einer langwierigen Tragödie. Daran sollten wir festhalten.

Übersetzung: Andreas Hubig

https://prosyn.org/Lda9NIJde