bildt115_VLADIMIR SMIRNOVPOOLAFP via Getty Images_putinkimjongun Vladimir Smirnov/Pool/AFP via Getty Images

Die Achse der Geächteten

STOCKHOLM – Der russische Präsident Wladimir Putin hatte allen Grund, den nordkoreanischen Diktator Kim Jong-un diesen Monat in Wostotschny, Russlands neuem Weltraumbahnhof in Ostsibirien, zu empfangen. Wegen seines illegalen Angriffskriegs gegen die Ukraine gehen Putin sowohl die Freunde als auch die Munition aus.

Der Weltraumbahnhof Wostotschny blickt auf eine wechselvolle Geschichte zurück. Ursprünglich sollte er die Anlage im kasachischen Baikonur ersetzen, doch der Bau wurde von wiederholten Verzögerungen sowie Korruptions- und Missmanagement-Vorwürfen überschattet. Heute wird Wostotschny nur selten genutzt, obwohl die viel beachtete Luna-25-Mission von dort aus startete, ehe sie kürzlich auf dem Mond abstürzte.

Die Beziehungen zwischen Russland und Nordkorea haben eine ähnliche Vorgeschichte. Einst waren die Bande zwischen dem Kreml und dem Kim-Regime überaus eng. Schließlich war das kommunistische Nordkorea im Grunde eine sowjetische Schöpfung und jahrzehntelang stark auf sowjetische Unterstützung angewiesen. Doch nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion sah die russische Spitzenpolitik im Ausbau der Beziehungen zum boomenden Südkorea den größeren Nutzen. Der Kreml wechselte also praktisch die Seiten und schloss sich den (erfolglosen) internationalen Bemühungen an, das Einsiedler-Königreich an der Entwicklung von Atomwaffen zu hindern.

Mittlerweile hat sich die Situation wieder geändert. Putins Versuch, die Ukraine von der europäischen Landkarte zu löschen, ließ Russland zu einem internationalen Paria werden – genauso wie Nordkorea. Die meisten Industrieländer der Welt haben sich den umfassenden Sanktionen gegen Russland angeschlossen, und die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat mehrere Resolutionen verabschiedet, in denen Putins Angriffskrieg verurteilt wird. Die wenigen Länder, die sich auf die Seite Russlands gestellt haben, präsentieren sich wie ein internationales Verbrecheralbum: Eritrea, Syrien, Nicaragua, Belarus, Mali und - natürlich - Nordkorea.

Unterdessen bekunden viele Länder, die sich bei diesen UN-Abstimmungen der Stimme enthalten haben, zunehmend ihre Einwände gegen Putins Krieg. Die gemeinsame Abschlusserklärung des jüngsten G20-Gipfels in Neu-Delhi beispielsweise enthielt eine klare Bekräftigung des Prinzips der territorialen Integrität - ein offensichtlicher Verweis auf die russische Aggression und die verfehlten strategischen Ziele des Kremls.

Als Putin im Februar 2022 seinen Krieg vom Zaun brach, rechnete er mit einem schnellen Sieg, doch die russischen Streitkräfte haben seitdem etwa die Hälfte jenes Territoriums verloren, das man im Lauf der ersten Invasion eingenommen hatte. Nach fast 600 Tagen steckt man fest und hat Mühe, sich gegen ein unabhängiges, demokratisches ukrainisches Staatswesen zu verteidigen, das entschlossen ist, seine Freiheit zu verteidigen.

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Unter diesen Umständen braucht Putin jeden Freund, den er bekommen kann und so steht Nordkorea plötzlich wieder in der Gunst des Kremls. Mit einer durch und durch militarisierten Gesellschaft und den üppigen Beständen an alter Artilleriemunition sowjetischer Bauart erscheint Kims Regime wie ein Rettungsanker für Russlands verzweifelte Kriegsanstrengungen.

Putin blieb daher nichts anderes übrig, als dem nordkoreanischen Diktator den roten Teppich auszurollen. Obwohl zu den Einzelheiten des Wostotschny-Deals nichts verlautbart wurde, kann man davon ausgehen, dass Russland Munition erhalten und im Gegenzug verschiedene lebenswichtige Güter nach Nordkorea liefern wird, nicht zuletzt Lebensmittel und Energie. Darüber hinaus ist zu hören, dass Russland Nordkorea bei der Entwicklung und dem Einsatz von Satelliten unter die Arme greifen soll, einem Bereich, in dem Nordkorea bislang außerordentlich erfolglos ist.

Ungeachtet der Einzelheiten bestehen wohl kaum Zweifel, dass der Deal gegen die vom UN-Sicherheitsrat gegen Nordkorea verhängten Sanktionen verstößt, deren Einführung ursprünglich mit russischer Unterstützung über die Bühne ging. Die Behauptung des russischen Außenministers Sergei Lawrow, wonach die Nordkorea-Sanktionen keine Angelegenheit Russlands, sondern der Vereinten Nationen seien, ist in höchstem Maße unredlich.

Wir beobachten die Entstehung einer Achse der Geächteten: Länder, die ihre Bereitschaft eint, das Völkerrecht zu brechen, indem sie Kriege beginnen, Atomwaffen entwickeln, und Sanktionen umgehen. Auf dieser Achse findet sich auch der Iran, wo Russland seine Kamikaze-Drohnen bezieht, mit denen ukrainische Städte und Zivilsten angegriffen werden.

Eines ist jedoch mit absoluter Sicherheit festzustellen: die Hinwendung zu einem Land wie Nordkorea ist ein Zeichen tiefgreifender Schwäche. China und Indien mögen die russische Aggression nicht offen verurteilen, aber gebilligt haben sie diese auch nicht. Ebenso wenig hat man viel getan, um Putins Kriegsanstrengungen zu unterstützen (abgesehen vom Kauf fossiler Brennstoffe in Russland). Und unabhängig davon, welche Art von Unterstützung Belarus, Eritrea, Syrien oder Mali auch immer anbieten können, wird das dem Kreml nicht helfen, die Ziele seiner „militärischen Spezialoperation“ in der Ukraine zu erreichen.

Dennoch werden diese Geächteten - getrieben von Verzweiflung - ihre Zusammenarbeit vertiefen und damit neue Risiken für die regionale Stabilität und die globale Ordnung schaffen. Wenn beispielsweise Russland Nordkorea mit den für die Weiterentwicklung seiner Raketen- oder Nuklearprogramme erforderlichen Technologien ausstattet, wird dies zwangsläufig Auswirkungen auf die Sicherheit in Nordostasien haben.

Russland und Nordkorea mögen bei ihren Weltraumaktivitäten scheitern. Doch die Umgehung von Sanktionen und ihre Regelverstöße hier auf der Erde werden sich mit Sicherheit destabilisierend auf die internationale Ordnung auswirken.

Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier

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