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Abschöpfung von Gewinnen von Energieunternehmen

MÜNCHEN/KÖLN – Die Energiekrise und der Anstieg der Energiepreise haben zu einer Debatte über die Abschöpfung von Gewinnen von Energieunternehmen geführt. Das betrifft Unternehmen, die Kohle, Gas oder Öl fördern, im Fokus stehen derzeit allerdings die Stromproduzenten. Da der hohe Gaspreis die Strompreise in die Höhe treibt, können bei Anbietern, die andere Brennstoffe oder Kraftwerkstechnologien einsetzen, extrem hohe Gewinne entstehen. Angesichts der außergewöhnlich hohen Belastung der Konsumenten mehren sich politische Forderungen, die „Zufallsgewinne“ der Anbieter abzuschöpfen. Gegen derartige Sondersteuern gibt es grundsätzliche Einwände, die sich auf Aspekte der Steuersystematik und des Vertrauens in geltende Besteuerungsregeln beziehen. Angesichts des Ausmaßes der Energiepreissteigerungen will die Politik jedoch an der Gewinnabschöpfung festhalten, ganz so, wie sie in der Krise andere Unternehmen vor Zufallsverlusten schützen möchte. Das ist verständlich. Aber falls man diesen Weg geht, sind erhebliche Umsetzungsprobleme zu beachten. Sie müssen gelöst werden, weil andernfalls eine Verschärfung der Energieverknappung droht.

Was die Stromindustrie angeht, sind nicht nur die hohen Gewinne, sondern die Regelungen der Preisfindung, das so genannte Marktdesign, in die Kritik geraten. Das Merit Order System bedeutet, dass der Marktpreis jeweils dem Preis entspricht, den das teuerste Kraftwerk bietet, dessen Kapazitäten noch gebraucht werden. Derzeit haben Gaskraftwerke oft die höchsten Kosten, weil der Gaspreis ungewöhnlich hoch ist. Bei erneuerbaren Energien und Kernenergie sind die Kosten kaum gestiegen. Da Kraftwerke ihren Strom nicht unter den variablen Kosten anbieten und da ein homogenes Produkt wie Strom nicht zwei Marktpreise haben kann, folgt daraus, dass in Zeiten hohen Stromverbrauchs, wenn Gaskraftwerke eingesetzt werden, der Strompreis mindestens den sehr hohen variablen Kosten (Grenzkosten) der Gaskraftwerke entspricht. In diesen Zeiten erhalten die Stromproduzenten, die mit erneuerbaren Energien oder Kernenergie produzieren, einen Preis für den gelieferten Strom, der weit über ihren variablen Kosten liegt. Unter normalen Umständen dient der daraus entstehende Überschuss der Deckung der Fixkosten und als Investitionsanreiz. Derzeit ist die Differenz zwischen Strompreis und Grenzkosten dieser Anbieter jedoch so groß, dass über die Deckung der Fixkosten hinaus oft erhebliche zusätzliche Gewinne anfallen dürften. Außerdem kann in Deutschlands Strommarkt in großen Teilen kaum mehr von freiem Markteintritt und Marktaustritt die Rede sein; Investitionen in neue Kern- und Kohlekraftwerke werden politisch unterbunden, so dass das Fehlen von Investitionsanreizen in Form von Überschüssen über die variablen Kosten hinaus verkraftbar erscheint. Letztlich war dies auch das Kalkül hinter der Brennelementesteuer, die von den Betreibern von Kernkraftwerken im Zuge Laufzeitverlängerung von Kernkraftwerken nach Fukushima erhoben wurde. Diese Steuer wurde allerdings 2017 vom Bundesverfassungsgericht wieder einkassiert, das die Rückzahlung der eingenommenen Gelder anordnete.

Gelegentlich wird das Merit Order System als spezielles, in der aktuellen Lage ungeeignetes Marktsystem bezeichnet. Das ist irreführend. Die Merit Order ist eine normale Angebotskurve, wie sie bei Wettbewerb in Märkten entsteht, in denen homogene Güter gehandelt werden. In Märkten für Rohstoffe wie Kupfer oder Agrargüter wie Weizen beispielsweise gibt es ebenfalls Produzenten mit sehr unterschiedlichen Kosten, sie erhalten aber alle im Prinzip den gleichen Preis. Im Strommarkt muss dieser Preis sich an den variablen Kosten des teuersten Stromproduzierenden Kraftwerks orientieren. Produziert wird in der Reihenfolge der Kosten, von billig bis teuer, und auch der letzte benötigte Produzent benötigt einen kostendeckenden Preis. Das hat nichts mit den speziellen Strommarktregeln zu tun, sondern mit den Prinzipien des Wettbewerbs. Aus ganz analogen Gründen muss der Preis in einem Marktgleichgewicht gleichzeitig sicherstellen, dass er nicht größer ist als die kleinste Zahlungsbereitschaft unter allen Nachfragern, die Strom beziehen. Ein Marktpreis in Höhe der durchschnittlichen Zahlungsbereitschaft aller Käufer wäre ebenso unerreichbar wir ein Marktpreis in Höhe der durchschnittlichen variablen Kosten.

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