tyson109_ROBERTO SCHMIDTAFP via Getty Images_roe v wade protest ROBERTO SCHMIDT/AFP via Getty Images

Ein Requiem für die Rechte der Frauen in Amerika

BERKELEY – Die Aufhebung des Rechts auf Abtreibung durch den Obersten Gerichtshof der USA ist ein verheerender Rückschlag für amerikanische Frauen. Noch nie in seiner Geschichte hat der Gerichtshof ein individuelles Recht außer Kraft gesetzt. Für diejenigen von uns, die sich ihr ganzes Berufsleben lang für die soziale und wirtschaftliche Gleichstellung der Frauen eingesetzt haben, ist das Urteil ein persönliches.

Ich war 25, als im Verfahren Roe gegen Wade das verfassungsmäßige Recht auf Abtreibung festlegt wurde. Fast 50 Jahre lang gab Roe den Frauen reproduktive Freiheit – und damit einen neuen und rechtmäßigen Platz in Wirtschaft und Gesellschaft. Es war diese Freiheit, die es meinen Kolleginnen und mir ermöglichte, die gleichen Familien- und Karriereentscheidungen zu treffen wie unsere männlichen Kollegen. Der Gedanke, dass meine beiden jungen Enkelinnen nicht die gleiche Freiheit haben werden, ist erschreckend.

Das Dobbs-Urteil stützte sich auf eine enge Auslegung der Verfassung, eines Dokuments, das – bei aller Brillanz – vor 236 Jahren von einer kleinen Gruppe reicher Männer (viele von ihnen Sklavenhalter) verfasst wurde. Frauen waren an der Ausarbeitung weder beteiligt noch werden sie im Text erwähnt. Erst 1919 wurde die Verfassung geändert, um Frauen das Wahlrecht zu gewähren. Vor allem aber sind die verfassungsrechtlichen Argumente zur Rechtfertigung des Dobbs-Urteils ein Feigenblatt. Die konservative Mehrheit des Obersten Gerichtshofs kippte Roe nicht, weil die Verfassung es verlangte, sondern einfach, weil sie es konnte.

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