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Das unerwähnte Versäumnis des Westens in Afghanistan

CHICAGO: Der Abzug der USA aus Afghanistan hat weltweit Aufmerksamkeit erregt. Das Chaos, das Leid und die allgemeine Traurigkeit derjenigen, die von Amerika und seinen Verbündeten zurückgelassen wurden, hat heftige Kritik hervorgerufen. Es scheint unvorstellbar, dass 20 Jahre Krieg, zehntausende von Toten und Auswendungen von zwei Billionen Dollar nicht ausreichten, um ein neues Afghanistan aufzubauen.

Es hat in Verbindung mit dem Debakel des Westens viele Vorwürfe und Schuldzuweisungen gegeben. Doch bestehen große Hemmungen, das grundlegendste Problem anzusprechen: das Fehlen einer gemeinsamen afghanischen nationalen Identität und die Zaghaftigkeit der US-geführten Koalition dabei, eine solche zu fördern.

Alle funktionalen Staaten verfügen im gewissen Umfang über eine gemeinsame nationale Identität. Diese bestimmt sich häufig entlang religiöser, sprachlicher oder ethnischer Linien, die manchmal ausdrücklich für die Zwecke des Nationsaufbaus geschaffen werden. Während des 19. Jahrhunderts etwa schufen die Preußen die germanische ethnische Identität und förderten diese innerhalb ihres expandierenden Staatsgebietes. Die neue deutsche Sprache war mit dem Althochdeutschen verwand, aber existierte nicht wirklich, bevor die Preußen versuchten, eine neue deutsche Nation aufzubauen. Der Aufbau der Nationalstaaten in Frankreich und Italien im 18. bzw. 19. Jahrhundert verlief entlang ähnlicher Linien.

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