james192_ARIS MESSINISAFP via Getty Images_ukrainewar Aris Messinis/AFP via Getty Images

Was, wenn die Ukraine zur Dauerkrise wird?

PRINCETON – Russlands Angriff auf die Ukraine weist zunehmend Ähnlichkeiten mit vielen früheren geopolitischen Krisen auf. Gesamtgeschichtlich betrachtet entwickelten sich Ereignisse, die zunächst wie vorübergehende Einschnitte erschienen, zu langwierigen Angelegenheiten. Was als kurze Konfrontation beginnt, endet sehr häufig in einem scheinbar endlosen Schlamassel.

Der bekannteste Fall einer derartigen Krise ist der Erste Weltkrieg, den George F. Kennan treffend als die „Urkatastrophe“ des 20. Jahrhunderts bezeichnete. Das schiere Ausmaß der Mobilisierung im August 1914 ließ die Menschen glauben, dass der Konflikt nicht lange dauern würde – dass er „bis Weihnachten vorbei wäre.” Es folgte jedoch ein Zermürbungskrieg fast ohne jede Bewegung an der Westfront. Ypern in Flandern war 1914 ebenso Schauplatz erbitterter Kämpfe wie 1918. Wird es im Jahr 2026 auch in Mariupol noch Kämpfe geben?

Kanzler Olaf Scholz hat seine Regierung zwar auf die Botschaft eingeschworen, dass Russland „nicht gewinnen darf“ und auch der große deutsche Philosoph Jürgen Habermas hat in ähnlicher Weise erklärt, die Ukraine dürfe „nicht verlieren.“ Doch wenn Europas politische und intellektuelle Führungspersönlichkeiten derart dramatische Erklärungen abgeben, ist klar, dass sie damit ein tiefer liegendes Gefühl der Hilflosigkeit kompensieren wollen. Was können derartige Aussagen in einer Pattsituation überhaupt bedeuten? Solange Russland nicht zusammenbricht oder einen plötzlichen Regimewechsel sowie eine Demokratisierung erfährt, ist es schwer vorstellbar, wie die Ukraine „nicht verlieren“ soll.

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