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Der Geist von Arthur Burns

NEW HAVEN – Erinnerungen können problematisch sein. Mich selber quälen seit langem die Erinnerungen an die Inflation der 1970er Jahre. Vor 50 Jahren, als ich gerade meine Karriere als Ökonom bei der US-Notenbank (Fed) begonnen hatte, war ich als Notenbankinsider Zeuge der Geburt der Großen Inflation. Dies hinterließ bei mir periodisch wiederkehrende Albträume einer finanziellen posttraumatischen Belastungsstörung. Diese schlimmen Träume sind jetzt zurück.

In ihrem Mittelpunkt steht der legendäre Notenbankchef jener Zeit, Arthur F. Burns, der als Fachmann für den Konjunkturzyklus eine einzigartige Sicht in das Notenbankgeschäft hineinbrachte. Im Jahr 1946 war er Mitverfasser der maßgeblichen wissenschaftlichen Arbeit über das scheinbar rhythmische Auf und Ab der US-Volkswirtschaft bis zurück in die Mitte des 19. Jahrhunderts gewesen. Für ihn zu arbeiten war einschüchternd, insbesondere für jemanden in meiner Position. Ich war mit den offiziellen wöchentlichen Briefings genau zu den Themen beauftragt, mit denen sich Burns am besten auskannte. Er nutzte dieses Wissen, um die Präsentationen seiner Mitarbeiter zu zerpflücken. Ich lernte schnell, dass man ihm nichts erzählen konnte.

Doch fehlte es Burns, der die Fed mit eiserner Faust regierte, an einem analytischen Rahmen, um das Wechselspiel zwischen Realwirtschaft und Inflation und die Verbindung dieser Beziehung zur Geldpolitik zu bewerten. Als Datenjunkie neigte er dazu, Probleme, die sich ihm als politischen Entscheidungsträger stellten, zu segmentieren, und das galt besonders für die Entwicklung, die sich bald zur Großen Inflation auswachsen sollte. Burns glaubte, dass Preistrends wie Konjunkturzyklen stark von idiosynkratischen, oder exogenen, Faktoren beeinflusst würden – „Lärm“, der nichts mit der Geldpolitik zu tun hätte.

Dies war ein Schnitzer von epischen Ausmaßen. Als sich die US-Ölpreise nach dem OPEC-Ölembargo im Gefolge des Jom-Kippur-Krieges von 1973 vervierfachten, argumentierte Burns, dass die Fed, da dies nichts mit der Geldpolitik zu tun hätte, Öl und energiebezogene Produkte (wie etwa Heizöl und Strom) aus dem Verbraucherpreisindex streichen sollte. Die Mitarbeiter protestierten; sie argumentierten, dass es unsinnig sei, derart wichtige Aspekte zu ignorieren, insbesondere da sie im Index ein Gewicht von über 11% hätten. Burns war unnachgiebig: Wenn wir Mitarbeiter die Berechnungen nicht durchführen würden, würde er das von „jemandem in New York“ erledigen lassen – eine Anspielung an seine früheren Verbindungen zur Columbia University und zum National Bureau of Economic Research.

Dann stiegen die Lebensmittelpreise steil an. Burns ging davon aus, dass dies 1973 auf ungewöhnliche Wetterbedingungen zurückzuführen sei – konkret auf das Phänomen El Niño, das 1972 die peruanischen Sardellenbestände dezimiert hatte. Er beharrte darauf, dass dies die Ursache der steigenden Düngemittel- und Viehfutterpreise sei, die ihrerseits die Preise für Rindfleisch, Geflügel und Schweinefleisch in die Höhe trieben. Wie brave Soldaten schluckten wir und folgten seinem Befehl, Lebensmittel – die mit 25% gewichtet waren – aus dem Index herauszunehmen.

Wir wussten das damals nicht, doch wir hatten so gerade die erste Version dessen erschaffen, was heute gern als Kerninflationsrate bezeichnet wird: den bereinigten Teil des Verbraucherpreisindex, der angeblich frei ist von jenen schwankungsanfälligen „Sonderfaktoren“ Lebensmittel und Energie, bei denen sich Verwerfungen auf weit entfernte Kriege und Wetterereignisse zurückführen lassen. Burns war zufrieden. Die Geldpolitik, so argumentierte er, müsse sich auf stabilere grundlegende Inflationstrends konzentrieren, und wir hätten ihm das perfekte Instrument geliefert, um seinen Fokus zu schärfen.

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Das war bis zu einem gewissen Punkt berechtigt. Leider ließ es Burns nicht damit gut sein. Während der nächsten paar Jahre entdeckte er mit schöner Wiederkehr ähnliche idiosynkratische Entwicklungen, die die Preise von Mobilheimen, Gebrauchtwagen, Kinderspielzeug und sogar Damenschmuck (er sprach diesbezüglich von einer „Goldmanie“) beeinflussten; er warf zudem Fragen über die Eigenheimkosten auf, auf die weitere 16% des Index entfielen. Nehmt das alles raus, insistierte er!

Als Burns damit endlich zu Ende war, waren nur noch 35% des Verbraucherpreisindex übrig – und dieser stieg weiterhin zweistellig! Erst an diesem Punkt (1975) gestand Burns – viel zu spät – ein, dass die USA ein Inflationsproblem hätten. Die schmerzliche Lehre daraus: Die sogenannten vorübergehenden Einflüsse zu ignorieren, birgt erhebliche Gefahren.

Spulen wir vor auf heute. Die Fed beharrt heute darauf – und beschwört dabei bei mir ein Furcht erregendes Gefühl von Déjà-vu herauf –, dass die jüngsten Preisanstiege bei Lebensmitteln, Baustoffen, Gebrauchtwagen, Körperpflegeprodukten, Benzin, Mietwagen und Haushaltsgeräten vorübergehende Einflüsse widerspiegeln, die im Zuge der Normalisierung nach der Pandemie rasch wieder verschwinden würden. Der Arbeitskräftemangel in einigen Bereichen und die steil steigenden Eigenheimpreise sind angeblich auch bloß vorübergehender Art. Klingt vertraut?

Die 1970er Jahre bergen viele weitere Lektionen, die ein Schlaglicht auf die heutige leichtfertige Verleugnung der Inflationsgefahr werfen. Als die Fed endlich versuchte, die Große Inflation zu bekämpfen, war sie dabei auf die Lohnstückkosten fixiert – steigende Löhne, die mit nachlassender Produktivität einhergingen. Obwohl es immer gute Gründe gibt, sich Sorgen über die Produktivität zu machen, scheinen die Löhne weitgehend unter Kontrolle; die Gewerkschaften, die in den 1970er Jahren durch Koppelung der Lohnentwicklung an die Entwicklung der Lebenshaltungskosten eine bösartige Lohn-Preis-Spirale in Gang gesetzt hatten, wurden durch den globalen Wettbewerb neutralisiert. Dies jedoch schließt eine andere Form der weltweiten kosteninduzierten Inflation nicht aus – das Zusammenspiel von Staus innerhalb der Lieferketten (man denke an Halbleiter) und protektionistischem Gezeter über die Rückholung der Produktion.

Die größte Parallele freilich könnte ein anderer dicker politischer Fehler sein. Die Fed schüttete bei der Großen Inflation Öl ins Feuer, indem sie zuließ, dass die Realzinsen in den 1970er Jahren in den negativen Bereich fielen. Gegenwärtig liegt der US-Zinssatz für Tagesgelder (Federal Funds Rate) 2,5 Prozentpunkte unter der Inflationsrate. Und dazu kommen jetzt noch eine zeitlich unbegrenzte quantitative Lockerung – rund 120 Milliarden Dollar werden monatlich in die überhitzenden Finanzmärkte gepumpt – und das größte fiskalpolitische Konjunkturpaket seit Ende des Zweiten Weltkriegs. All dies passiert genau zu einem Zeitpunkt, zu dem ein postpandemischer Boom in nie dagewesenem Tempo Überschusskapazitäten absorbiert. Dieses politische Vorgehen ist beispiellos.

Was mich angeht, so finde ich, dass die Fed viel zu zuversichtlich von gut verankerten Inflationserwartungen fabuliert. Sie singt zudem das neue Loblied auf die „Verfolgung eines Durchschnittsinflationsziels“, überzeugt, dass sie eine über dem Zielwert liegende Inflation für einen nicht näher festgelegten Zeitraum hinnehmen kann, um eine jahrelange unter dem Zielwert liegende Inflationsentwicklung auszugleichen. Meine Studenten würden auch gern ihre schlechtesten Noten außer Acht lassen!

Natürlich sind dies nicht die 1970er Jahre. Doch gibt es verstörende Ähnlichkeiten, die es im Auge zu behalten gilt. Timothy Leary, einer der denkwürdigeren Gurus des Aquarianischen Zeitalters, hat angeblich einmal geäußert: „Wenn ihr euch an die 1960er Jahre erinnert, habt ihr sie verpasst.“ Auf die 1970er Jahre trifft das nicht zu. Schlaflose Nächte und lebhafte Flashbacks zusammen mit Visionen eines Pfeife rauchenden Burns: Es ist fast, als wäre man in diese Zeit zurückversetzt, nur ohne die großartige Musik.

Aus dem Englischen von Jan Doolan

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