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Die Wirklichkeit der multipolaren Welt des 21. Jahrhunderts

BERLIN – Dahin und vorbei sind die Zeiten globaler Stabilität, sei es nun die der bipolaren Welt des Jahrzehnte währenden Kalte Kriegs oder die der ihn ablösenden unipolaren Welt, jener Jahre der alleinigen globalen Dominanz der USA nach dem Kollaps und dem daraufhin erfolgenden Verschwinden der Sowjetunion. Zwar gab es in all den Jahrzehnten kleinere und auch größere Kriege von Korea bis Vietnam, dem Nahen Osten bis hin zu Osama bin Laden und Afghanistan, aber das Weltsystem war strategisch stabil.

Seit dem Beginn der 2000er Jahre jedoch begann mehr und mehr an die Stelle dieser globalen strategischen Stabilität eine erneute Rivalität mehrerer globaler Großmächte zu treten, vorneweg die der beiden Supermächte des 21. Jahrhunderts, den USA und China. Aber im Hintergrund zeichnete sich schon damals ab, dass Indien, Brasilien, Indonesien, Südafrika, Saudi-Arabien und der Iran an wachsendem politischen und wirtschaftlichen Einfluss gewinnen und ihre Bedeutung und Rolle im Weltsystem verstärken würden. Der aufbrechende chinesisch-amerikanische Konflikt bot einfach eine zu gute Gelegenheit, um die beiden Großen im entstehenden multipolaren Weltsystem des 21. Jahrhunderts gegeneinander auszuspielen und dadurch die eigene Rolle zu verstärken.

Und dann spukte in den Köpfen der politischen Elite in Russland der Traum von der territorialen Wiederherstellung der untergegangenen Sowjetunion, der eine entscheidende Rolle spielen sollte. Unter der Herrschaft Wladimir Putins zielte die russische Politik mehr und mehr auf die Revision der Ergebnisse des Endes des Kalten Krieges ab. Im Gegensatz dazu hielt der Westen, die USA und die seit 2004 erweiterte EU, an den Ergebnissen und demokratischen Grundwerten fest, wie dem Selbstbestimmungsrecht aller Nationen, der Unverletzlichkeit der Grenzen und des Vorrangs des Rechts vor der Macht. Damit war ein Konflikt um die Nachfolgerepubliken der früheren Sowjetunion programmiert, der dann im Februar 2022 mit Russlands Überfall auf die Ukraine offen zum Austrag kam. Damit war die Friedenszeit in Europa zu Ende und der Kontinent zerfiel erneut in zwei Lager.

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