leonard52_Frank Augstein - WPA PoolGetty Images_borisjohnsonthumbsup Frank Augstein/WPA/Pool/Getty Images

Das Ende des brexitbedingten EU-Popularitätsschubs

BERLIN – Nachdem das Vereinigte Königreich 2016 für den Austritt aus der Europäischen Union gestimmt hatte, befürchteten politische Entscheidungsträger und Spitzenpolitiker in ganz Europa, dass auch ihnen bald eine ähnliche Krise bevorstehen könnte. Sie fürchteten einen Domino-Effekt, im Rahmen dessen populistische Bewegungen und Politiker andere EU-Mitgliedsstaaten nacheinander aus der EU führen würden und damit den jahrzehntelangen Prozess der europäischen Integration praktisch umkehren könnten.

Doch zumindest bis vor kurzem hatte der Brexit den gegenteiligen Effekt.  Sehr zur allseitigen Überraschung kam die EU in den Jahren nach dem britischen Referendum in den Genuss einer Brexit-Dividende. Die Europäer beobachteten, wie Großbritannien in das politische Chaos versank und die Menschen dort aus Angst vor zukünftigen Entwicklungen Nahrungsmittel und Medikamente horteten. EU-Mitgliedsstaaten, die sich normalerweise auf sehr wenig einigen können, standen plötzlich geeint hinter der Verhandlungsstrategie der Europäischen Kommission. Die Unterstützung für die EU unter den Europäern stieg sprunghaft an. Und ein neuer Witz machte die Runde: dank US-Präsident Donald Trump und Brexit haben Amerika und Großbritannien die Europäer ein drittes Mal in diesem Jahrhundert vor sich selbst gerettet.

Doch anstatt eine EU-weite Krise abzuwenden, könnte diese Brexit-Dividende die unvermeidliche Abrechnung nur hinausgeschoben haben. Im Gespräch mit europäischen Präsidenten, Ministerpräsidenten und Außenministern auf der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz war eine Befürchtung spürbar, wonach die Kosten des Brexits dessen Nutzen schon bald übertreffen könnten. Zahlreiche nationale Politiker und politische Entscheidungsträger auf EU-Ebene zeigen sich nun besorgt, dass aus der Dividende eine Verbindlichkeit wird.

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