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Eine Brexit-Nachbetrachtung für die Londoner City

LONDON – Fast fünf Jahre nach dem Brexit-Referendum und fünf Monate seit dem Brexit selbst ist die Debatte über die Zukunft der City, des Finanzzentrums Londons, noch immer ein Dialog zwischen Gehörlosen. Wer im Juni 2016 für den Austritt aus der Europäischen Union stimmte, ist trotz aller gegenteiligen Belege überzeugt, dass die Auswirkungen minimal sein werden und Warnungen über Stellenverluste und Geschäftsverlagerungen übertrieben sind. Und die „Remain“-Wähler sind trotz aller in die andere Richtung weisenden Belege darauf programmiert, das Gegenteil zu glauben, und prognostizieren den Weltuntergang. Was können wir aus der tatsächlichen bisherigen Entwicklung lernen?

Zunächst einmal müssen wir anerkennen, dass COVID-19 das Bild im Verlauf der letzten 18 Monate mächtig durcheinandergebracht hat. Ein Umzug war selbst für diejenigen nicht leicht, die diesen anstrebten. Auch bestehen einige vorläufige Regulierungsvereinbarungen, die die Auswirkungen des britischen Abschieds aus dem gemeinsamen Finanzmarkt entschärfen. Es gibt in London für einige Unternehmen mit Sitz in der EU ein vorläufiges Zulassungsprogramm, und die Europäische Kommission hat ein Clearing auf Euro lautender Wertpapiere in London bis 2022 gestattet, um die durch eine plötzliche Umstellung zum 31. Dezember 2020 sonst womöglich verursachten Verwerfungen zu vermeiden. Was wir also heute sehen, spiegelt vielleicht nicht die vollständigen längerfristigen Auswirkungen des Brexit wider.

Trotzdem gestatten es uns die bisherigen Veränderungen, eine anfängliche Einschätzung der Zukunft der City und des dort ansässigen Finanzgeschäfts vorzunehmen. Ein Schritt, der für Schlagzeilen sorgte, war die abrupte Verlagerung des Handels mit europäischen Aktien von London nach Amsterdam zu Jahresbeginn. Es wurden an der Amsterdamer Börse im Januar täglich durchschnittlich Aktien im Volumen von 9,2 Milliarden Euro gehandelt, viermal so viel wie im Dezember 2020. Zugleich fiel der Tagesdurchschnitt Londons steil auf 8,6 Milliarden. Dies ist eine regulierungsbedingte Verschiebung: Die Europäische Kommission hat den britischen Handelsplätzen keine Gleichwertigkeit bescheinigt und hat es damit auch nicht eilig.

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