kupchan7_BRENDAN SMIALOWSKIPOOLAFP via Getty Images_biden macron cropped BRENDAN SMIALOWSKIPOOLAFP via Getty Images

Das Atlantische Bündnis nach Afghanistan

FRANKFURT/WASHINGTON, DC – Die transatlantischen Beziehungen haben sich nach dem Einzug von US-Präsident Joe Biden in das Oval Office wieder erholt. Doch die schnelle Machtübernahme der Taliban in Afghanistan und die chaotische Evakuierung von Ausländern und gefährdeten Afghanen haben die Stimmung getrübt. Das Unbehagen der Europäer über den von Biden durchgeführten Truppenabzug aus Afghanistan und die bevorstehende Bundestagswahl in Deutschland am 26. September sind ein guter Zeitpunkt, um eine Bilanz des Atlantischen Bündnisses zu ziehen.

Die transatlantischen Beziehungen werden durch vier grundlegende geopolitische Veränderungen neu gestaltet. Erstens: Obwohl die transatlantische Verbindung Donald Trump überlebt hat, hat dessen Präsidentschaft (und Beinahe-Wiederwahl) zusammen mit dem illiberalen Populismus, der auch Europa infiziert, die Fragilität der liberalen Demokratie in ihren historischen Bastionen offengelegt. Diese interne Bedrohung stellt heute möglicherweise die größte Bedrohung für die transatlantische Gemeinschaft dar – und nicht China, Russland oder gewalttätiger Extremismus.

Zweitens: Auch wenn Bidens Wahl den Atlantizismus wiederbelebt hat, sind die innenpolitischen Grundlagen des US-Internationalismus erheblich geschwächt worden. Die NATO-Verbündeten nehmen den übereilten Rückzug der Vereinigten Staaten aus Afghanistan als besorgniserregendes Zeichen dafür wahr, dass Bidens „Außenpolitik für die Mittelschicht“ eine Konzentration auf die Heimatfront und einen weiteren Rückzug der USA im Nahen Osten im weiteren Sinne bedeutet. Ferner könnte Amerikas strategische Beschäftigung mit China dazu führen, dass die USA Europa weniger Aufmerksamkeit und Ressourcen widmen und von den Europäern erwarten, dass sie mehr für ihre eigene Sicherheit tun.

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