buruma172_Carl CourtGetty Images_trump supporters japan Carl Court/Getty Images

Die kulturelle Strahlkraft Amerikas ist ungetrübt

NEW YORK – Amanda Gormans bemerkenswerter Vortrag ihres Gedichts „The Hill We Climb“ bei der feierlichen Einführung von Joe Biden in das Amt des US-Präsidenten hat Millionen berührt. Auch aus diesem Grund beauftragte ein namhafter niederländischer Verlag eine bekannte Autorin mit der Übersetzung. Die Entscheidung für Marieke Lucas Rijneveld, Gewinnerin des International Booker Prize, die weiß ist und sich selbst als nicht binär identifiziert, hat sofortige Proteste schwarzer Aktivisten in den Niederlanden ausgelöst. Sie forderten, dass Gorman als Afroamerikanerin von einer schwarzen Person übersetzt werden soll. Die Vergabe an einen weißen Übersetzer fand einer der Protestierenden „schmerzhaft“. Rijneveld zog sich aus dem Projekt zurück.

Auf der anderen Seite des Erdballs, in Japan, schmücken lokale Anhänger der bei rechtsextremen Amerikanern beliebten Verschwörungstheorie QAnon die gemeinsame Überzeugung, dass Donald Trump die Präsidentschaft gestohlen wurde, mit ganz eigenen irren Phantastereien aus. Japanische QAnon-Gläubige sind überzeugt, dass Japan hinter den Kulissen von böswilligen Ausländern regiert wird und die Kaiserfamilie für so ziemlich alles verantwortlich ist, sogar die Atombombe und das verheerende Erdbeben von 2011. Und als wäre das nicht genug, hat sich eine Gruppe japanischer QAnon-Jünger ausgerechnet den in Ungnade gefallenen ehemaligen US-General Michael Flynn zum Idol erkoren.

Im Guten wie im Schlechten, der Einfluss der amerikanischen Kultur ist so stark wie eh und je. Zumindest in dieser Hinsicht sind die Nachrichten über den Niedergang der USA stark übertrieben. Trotz des Aufstiegs Chinas, des enormen Reichtums der Europäischen Union und des peinlichen Spektakels, das Donald Trump als Präsident geboten hat, bekommen Menschen in aller Welt ihre kulturellen und politischen Anregungen weiterhin aus Amerika.

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